Über uns

Fluch und Segen

Bereichsleiter Kommunikation, Sekretär Interreligiöser Runder Tisch im Kanton Zürich
Simon Spengler

Gesamtverantwortung Kommunikation der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Katholischer Theologe und Journalist.

Simon Spengler
Zwei Megathemen prägten diese Woche unsere Medien. Die zum «Titanenduell» stilisierte Trump-gegen-Harris-Debatte und der beispiellos tiefe Fall der GLP-Politikerin Sanija Ameti. Zum ersten Thema will ich schweigen, weil ich dieses Land nicht verstehe – wahrscheinlich genauso wenig wie die vielen selbsternannten USA-Experten in unseren Medien, die, wie mir scheint, erstaunlich oft voneinander abschreiben und alle die gleiche Meinung haben. Je nachdem, wie der Wind gerade dreht.
13. September 2024

Der Fall Ameti beschäftigt mich mehr. Nicht nur, weil der Ausgangspunkt des Skandals ein zerschossenes Madonnenbild ist oder weil auch christliche Brüder und Schwestern den unentschuldbar dummen Schuss ins eigene Knie als willkommenen Anlass für antimuslimische und sexistische Hetze nutzten.

Hier danke ich unserem Bischof, dass er dieser Hetze entschieden entgegengetreten ist und Ametis Bitte um Vergebung öffentlich nachkommt: «Ich vergebe Sanija Ameti und ich bitte alle gläubigen Katholiken, Christen, Muslime, jeder, der sich in seinen religiösen, menschlichen Gefühlen verletzt fühlt, mir zu folgen. Hass und Verfolgung können nicht die Antwort sein», schreibt Bischof Joseph Bonnemain in seinem Communiqué.
 

20min Bischof _Ameti3.JPG
Screenshot 20min Online


Auch die schon vorher abgegebene Stellungnahme der Bischofskonferenz ist beachtenswert. Nicht die Tatsache, dass ein religiöses Bild als Zielscheibe dienen musste, ist der Kern des Problems, sondern dass überhaupt auf Menschenbilder geschossen wird. «Auch wenn sie auf ein Bild einer anderen Frau mit einem anderen Kind geschossen hätte, wäre das für mich gleich schlimm und eine Verletzung der menschlichen Würde», sagte mir der Bischof im persönlichen Gespräch.

Ich möchte ergänzen: Auch wenn das Gesicht eines jungen Mannes in einer Soldatenuniform als Zielscheibe dient, wird damit die Würde des Menschen als Abbild Gottes mit Füssen getreten. Ich wünsche mir, unsere Bischöfe würden sich gleich mutig wie Papst Franziskus auch zur aktuellen Aufrüstung, Waffenexporten und Kriegsrhetorik äussern. Aber das ist ein anderes Thema.
 
Zurück zu Ameti. Mich bewegt hier noch etwas anders: Das politische und kulturelle Umfeld Ametis ist das säkulare, urbane, religionslose (grün-)liberale Milieu, für das Religion eine Privatangelegenheit von Ewiggestrigen ist, das vehement gegen Kirchensteuern ankämpft und wo Agnostizismus und Atheismus schlicht zum guten Ton gehören. So überrascht mich auch der gnadenlose Umgang der GLP-Parteileitung mit ihrem gefallenen Politstar nicht wirklich.

Begriffe wie Reue, Vergebung, Gnade, Barmherzigkeit kommen in ihrem positivistischen Menschen- und Weltbild schlicht nicht vor. Eine Generation bestens ausgebildeter Menschen, die aber bezüglich Religion nichts verstanden hat. Ich würde mir wünschen, dass auch in diesem Milieu ein Nachdenken darüber einsetzt, was der Verlust jedes religiösen Bezugsrahmens für unsere Gesellschaft bedeutet.
trennlinie.png

 Was nicht heisst, dass Religion kritiklos zu überhöhen wäre, im Gegenteil. Religion ist immer ein zweischneidig Ding, kann Segen ebenso bedeuten wie Fluch. Letzteres wurde ja überdeutlich in der Missbrauchsstudie, deren Publikation sich gestern jährte.
 
Viel Positives hat diese Studie ausgelöst: Opferberatung hat eine neue Qualität und Priorität erlangt, Prävention ist aus kirchlichem Alltag nicht mehr wegzudenken. Ein segensreicher Kulturwandel bahnt sich endlich an.
trennlinie.png

 Der Fluch ist aber, dass es keinerlei Strukturwandel gibt. Die sakrale Überhöhung des männlichen Amtspriestertums wird nicht angetastet, obwohl sie massgeblicher Faktor dafür ist, dass Missbrauch in diesem erschreckenden Umfang geschehen und vertuscht werden konnte. Frauen werden weiterhin strukturell diskriminiert und das mit «Offenbarung Gottes» theologisch gerechtfertigt.

Ich erlebe gerade in meinem persönlichen Umfeld wieder zwei Theologinnen, die an der systematischen Hintansetzung zu zerbrechen drohen wie schon so viele Freundinnen und Studienkolleginnen, die engagiert in den kirchlichen Dienst traten und es irgendwann einfach nicht mehr aushielten. Wie viele Opfer darf die klerikale Männerherrschaft noch produzieren, bis endlich was geschieht?
trennlinie.png

 Das bewegt auch Amazonas-Bischof Erwin Kräutler, der in einem aufsehenerregenden Beitrag in der theologischen Zeitschrift «Herder Korrespondenz» mit seinem Freund Franziskus und der bevorstehenden Weltsynode arg ins Gericht geht. Ich weiss, dass es auch in der Schweiz Bischöfe gibt (zugegeben eine Minderheit), die ähnlich denken wie Kräutler.

Aber sie haben leider nicht den Mut, das auch öffentlich zu sagen. Dabei wäre das so befreiend. Sehr lesenswert ist auch das Gespräch mit dem Tübinger Neutestamentler Michael Theobald, der gründlich mit dem bibeltheologischen Habakuk aufräumt, Jesus habe halt nur Männer zu Aposteln berufen und deshalb könne die Kirche keine Frauen weihen.
 
praying-hands-6467371_1280.jpg

«Betet, freie Schweizer, betet!» wird am Sonntag in vielen Gottesdiensten gesungen. Auch wenn der «Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag» viel von seiner Bedeutung eingebüsst hat, so bleibt das Anliegen doch aktuell. Das Gebet weist über uns selbst und unseren Horizont hinaus.

Nur da, wo auch gebetet wird, ist eine andere Welt denkbar. Ich bete für eine freie Schweiz, befreit von den Götzen Mammon, Eigennutz und Selbstzufriedenheit – und für eine Kirche ohne Trennung zwischen Eidgenossen und Ausländern, Sklaven und Freien, Männern und Frauen, in der alle eins sind in Christus – wie es der Apostel Paulus im Galaterbrief 3,28 schreibt.
 
Ich wünsche uns allen einen besinnlichen Bettag.
Simon Spengler
trennlinie.png

Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.

Sie können den Newsletter hier abonnieren