Über Auf- und Abrüstung
Formuliert hatte er dabei nur eine ganz banale demografische Realität: Hunderttausende Menschen muslimischen Glaubens leben in der Schweiz, sind Teil unserer Gesellschaft und werden das auch bleiben.
Aber in den Hirnen etlicher Zeitgenossen wird diese Realität einfach ausgeblendet und durch Kampfslogans einer «christlichen» Schweiz verdrängt, die sich gegen religiöse Überfremdung zu wehren haben. Haben nicht erst die irischen Wandermönche vor über 1000 Jahren die fremde christliche Religion ins Land gebracht und die einheimische, ur-ur-ur-schweizerische Naturreligion verdrängt? Und was ist mit den Kelten, die noch früher hier waren, und die Religion der Pfahlbauer am Bodensee? Was ist nun die original-schweizerische Religion?
Sie sehen, diese historischen Schein-Argumente sind nur ideologische Polemik und führen ins Absurde. Dankbar bin ich für die Stellungnahme von Jonathan Kreutner, dem Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds: «Wir Juden reagieren zu Recht ablehnend, wenn wir pauschalen Urteilen ausgesetzt sind, genau darum müssen wir uns auch dagegen aussprechen, wenn andere Minderheiten unter pauschalen Zuschreibungen leiden.» Eine besonnene Stimme im Geschrei politischer Religionskämpfer. Dankbar bin ich auch dem SonntagsBlick, dass er (ja, ausgerechnet er) uns den Satz des grossen Schweizer Theologen Hans Küng in Erinnerung ruft: «Kein Friede unter den Nationen ohne Frieden zwischen den Religionen.»
Zunehmender Antisemitismus, wachsender antimuslimischer Rassismus, wachsender christlicher Fundamentalismus prägen unsere Zeit. Zur wahnwitzigen militärischen Aufrüstung allüberall und koste es, was es wolle, gesellt sich zunehmend auch eine religiöse Aufrüstung. Wenn dann «christliche» Politikerinnen und Politiker die militärische Aufrüstung noch religiös rechtfertigen, ist für mich die Perversion (=Umkehrung) der Werte des Evangeliums perfekt!
Von seinem Krankenbett aus richtete Papst Franziskus per Brief eine eindringliche Botschaft zur Abrüstung: «Wir müssen das Reden abrüsten, das Denken abrüsten, die ganze Erde abrüsten.» Der Krieg zerstöre Gesellschaften und die Umwelt und bringe keine Lösung für Konflikte. Eine einsame Mahnung im weltweiten Aufrüstungsgeheul, das mich zunehmend an die Kriegseuphorie vor dem ersten Weltkrieg erinnert, als die Millionen aller europäischen Nationen der obrigkeitlichen Propaganda erlagen und fröhlich gegeneinander ins Felde zogen – aus dem dann Millionen nicht mehr heimkehrten.
Bei dieser Gelegenheit weise ich gern auf das Benefizkonzert am Sonntag im Grossmünster hin, präsentiert von «Artists for a better planet». Die jungen Künstler glauben weiterhin daran, dass «Kunst befriedet. Kunst beruhigt. Kunst überbrückt. Kunst macht Mut. Kunst gibt Hoffnung.» Der Eintritt ist gratis, es wird um eine grosszügige Spende gebeten. Der Gewinn geht an junge Künstler in Gaza, in der Ukraine, im Sudan, in Myanmar und in Syrien.
Vom Krankenbett aus hat der Papst auch noch eine weltweite «kirchliche Versammlung» für Oktober 2028 einberufen – zumindest trägt der Brief an alle Bischöfe des Erdkreises die Unterschrift des Heiligen Vaters. Kurios am Vorgang ist die Aufforderung an tausende Empfänger des Schreibens, den Inhalt bis Mai vertraulich zu behandeln. Diese Groteske hat dann doch der Vatikan noch selbst bemerkt und das Schreiben etwas verspätet veröffentlicht.
Aber abgesehen von dieser Schmonzette fragt sich natürlich der geneigte Leser, was dieses Manöver soll. Will der Papst vom Bett aus, das zum Zeitpunkt des Versands des Briefes sein Sterbebett zu sein schien, schnell noch sein Erbe sichern und dem Nachfolger die Richtung vorgeben? Welchen Stellenwert soll diese «kirchliche Versammlung» haben, wer daran teilnehmen, mit welchem Ziel?
Jedenfalls soll diese Versammlung, vorbereitet wieder durch kontinentale Treffen, den synodalen Prozess auf Weltebene abschliessen, wie der zuständige Kardinal Mario Grech erklärt. Aha, bis dann sind dann alle auf den beiden Weltsynoden von 2023 und 2024 ungeklärten Fragen geklärt? Frauen, Zugang zu Weiheämtern, synodale Leitungsstrukturen, Mitbestimmung des Volkes Gottes bei Bischofswahlen? Da bin ich ja mal gespannt. Mir zeigt das Vorgehen vor allem, dass auch in der Kurie die Aufrüstung im Kampf um die Nach-Franziskus-Ära im vollen Gang ist.
Zur kontrastreichen Erinnerung die Worte des Vorsitzenden unserer Schweizer Bischofskonferenz, Felix Gmür, anlässlich des ersten «Synodalitätstags» der neuen, 30-köpfigen «Synodalitätskommission» im Dezember: «Wir stehen am Anfang», und sein Sekretär Davide Pesenti ergänzte eifrig: «am Auftakt eines langen Prozesses», für den es «keine Absicht und kein Ziel» gebe. Fünf Jahre allein soll die erste «Erprobungsphase» dauern, also bis 2030. Mir wird vor lauter Synodalität langsam schwindelig. Und die anvisierten Ziele scheinen mir dermassen offen, dass sie auch mit Leere verwechselt werden könnten.
Wenden wir uns dem Konkreten zu, das Hoffnung, Freude und Mut schenkt. Unsere Kollegin Silja Horber vom Sekretariat der Behindertenseelsorge hat als Eiskunstläuferin von den Special Olympics in Turin – der Olympiade für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung – eine Goldmedaille mit nachhause genommen. Wir gratulieren Silja von Herzen, freuen uns riesig und wünschen ihr und allen anderen Sportlerinnen und Sportlern der Special Olympics weiterhin viel Mut und Anerkennung für ihre grossartigen Leistungen. Silja ist übrigens die erste Schweizerin, die an Special Olympics im Eiskunstlauf ihr Land vertreten durfte. Hier das Video ihres Siegeslaufs.
Dankbar blicken wir gemeinsam mit unseren reformierten Kolleginnen und Kollegen zurück auf den ökumenischen Stand an der Giardina. Überraschend viele gute Gespräche und Begegnungen lassen von einem neuen Frühling und gemeinsamen Wachsen träumen.
Dieser Wochenrückblick soll nicht enden ohne ein Wort des am letzten Samstag verstorbenen Peter Bichsel. Mich haben nicht nur seine poetische Sprache und sein unbeirrbares politisches Engagement beeindruckt, sondern ganz besonders auch seine theologische Tiefe.
«Ich glaube an Gott, auch wenn ich weiss, dass es ihn nicht gibt. Aber ich habe das nötig, an ihn zu glauben», sagte er einmal in einem Interview in der Zeitschrift reformiert. Und an anderer Stelle: «Ich brauche ihn, damit das alles, was ist, nicht sinnlos ist und damit das alles, was ist, nicht alles ist.» Die Zeitschrift veröffentlichte zum Tod Bichsels auch einen lesenswerten Beitrag zum Verhältnis des Autors zur Religion.
Negative Theologie ist die Form der Theologie, mit der ich am meisten anfangen kann. «Ich weiss, dass ich nichts weiss», war schon die Spitze der Erkenntnis des Sokrates. Wie viel tiefer und weiser als so viele fromme Sonntagspredigten, die mir vorgaukeln zu wissen, wo Gott hockt. Aber ich weiss, dass ich ihn brauche, dass wir ihn brauchen. Heute dringender denn je. Damit wieder Ostern werde.
Ich wünsche uns allen ein erholsames, friedliches und sonniges erstes Frühlingswochenende.
Ihr
Simon Spengler
Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.
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Herzlilche Grüsse aus der Stäfner Kirchgemeindebasis,
Roger Stupf, Präsident Kirchenpflege Stäfa
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Ich möchte nur einen Punkt auswählen, nämlich den derzeit stattfindenden Ramadan!
Die Fastenzeit ist ja ein wichtiger Bestandteil des christlichen Glaubens.
In jedem Jahr ist der Ramadan ein wichtiger Bestandteil der muslimischen Bevölkerung, auch hier in Zürich.
Mein Coiffeur und sein Bruder begehen diese Zeit nach den geltenden Regeln.
Wie in jedem Jahr, wünsche ich ihnen jeweils einen guten Ramadan und sie bedanken sich immer!
Ich würde mir wünschen, dass alle Religionen friedlich miteinander existieren können.
Denn schliesslich wünscht sich doch jeder Frieden in seinem Leben und in dieser Welt.
In diesem Sinne, eine gute Zeit und viel Freude an den Frühlingsboten, die wir jeden Tag geniessen dürfen,
Andrea Katharina Kiefer-Meier
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