Geistreich gegen Aber-Geister
Natürlich gings dabei auch viel um Formen des Gottesdienstes, der Glaubensvermittlung, der Kirchengestaltung. Ins Zentrum aber stellte Werlen immer wieder neu: «Kirche muss in der Welt und für die Welt sein!»
Was bedeutet das für eine Kirche, die selbst aus den Fugen gerät und die in einer Welt lebt, die ebenso aus den Fugen gerät? Für Werlen gibt es nur eine Option: Die Kirche muss radikal auf der Seite der Opfer stehen, die Menschen in Not in den Mittelpunkt stellen.
Seien es heute Flüchtlinge aus Syrien, die von gegenwärtigen wie kommenden rechtspopulistischen Regierungen von Abschiebungen in ihre zerstörte Heimat bedroht sind, seien es Migranten aus Lateinamerika, die gerade in den USA im Visier der neuen Trump-Administration stehen.
Und die aus den Fugen geratene Kirche? Nach Werlen eine riesige Chance! Denn «wir können gar nichts mehr zerstören, wir dürfen aufbauen». Kirche als Baustelle, wo Neues entsteht, war eines seiner Lieblingsbilder. Nur brauche es die Kreativität von uns allen, die Chance zu packen, neue Wege zu wagen, ohne das Wertvolle des Alten zu verlieren. Dafür brauche es Mut, die ständigen «Aber-Geister» zu überwinden, die sich in überkommenen Strukturen und Katechismen verschanzen (und, was den Kirchenraum angeht, nicht selten in der Denkmalpflege).
«Pilger der Hoffnung» sollen wir sein, fordert uns das Motto des «Heiligen Jahres» auf. Das ist schön gesagt und in ihren Predigten zum Jahresbeginn sprachen die Bischöfe in pathetischen Worten von Erneuerung, von neuen Wegen, vom Aufbruch. Nur, wohin? Was soll erneuert, was vom Alten verschwinden und was erhalten bleiben?
Ein Jahr ist eine sehr konkrete Zeitspanne, 12 Monate, 365 Tage. Was soll also am 31. Dezember 2025 anders sein, als es am 1. Januar war? Ich habe trotz langer Suche noch sehr wenig Konkretes dazu gehört. Ich bin gespannt auf die Bilanz, die zeigen wird, ob das Jahr ein heiliges war. Der erste Monat ist schon fast vorbei.
Eine wichtige Nagelprobe steht im Sommer an, wenn die RKZ über drastische Sparmassnahmen angesichts der immensen Zusatzkosten der Anti-Missbrauchs-Massnahmen entscheiden muss. Wo und bei wem wird künftig ‹abgespeckt›?
Montag erinnern wir uns, am 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz, an die Opfer des faschistischen Wahnsinns. Millionen jüdischer Menschen, aber auch Sinti und Roma, Homosexuelle, Kommunisten und Sozialisten, abertausende russische Kriegsgefangene und viele andere wurden dahingeschlachtet.
Zu ihrem Gedenken werden etliche öffentliche Gebäude am Abend erleuchtet, auch die Stadthäuser von Uster, Winterthur und Zürich. Nie war die Erinnerung an das Grauen wichtiger als in diesem «Heiligen Jahr», in dem auch Europa aus den Fugen zu geraten droht.
Ebenfalls am Montag diskutiert der Kantonsrat über die neue Bestattungsform der Re-Erdigung, sprich Schnell-Kompostierung des Leichnams in einem Bad aus Mikroorganismen, was in wenigen Wochen zu vollständigem Zersetzen in Humus führen soll. Angesichts der Ewigkeit sind ja 1000 Jahre wie ein Tag, und ob der Leichnam langsam im Sarg vergeht oder beschleunigt, spielt eigentlich gar keine Rolle. CO2-freundlich ist die Kompostierung noch dazu, also eine gute Alternative zum energiefressenden Krematorium. Warum also nicht?
Ich persönlich habe nur Mühe mit der zunehmenden Anonymisierung des Todes, in welcher Form auch immer er aus dem Auge und auch aus dem Sinn geschafft wird. Bestattung nur nach dem Gradmesser von Effizienz und Energiebedarf ist mir ein Gräuel. Der Friedhof sollte Ort der kollektiven Erinnerung und Mahnmal unserer Endlichkeit bleiben. Ich finde, wir müssten dem Grabstein Sorge tragen.
Aber feiern wir vor allem das Leben! Immer auch mit Tanz und Musik. Drei bevorstehende Kirchenkonzerte, die unterschiedlicher nicht sein könnten, sind mir besonders ins Auge gestochen.
In Zürich Höngg rockt die Band Hardstreet in Heilig Geist. Klassiker von AC/DC bis ZZ Top bringen nächsten Freitag die Pfarrei zum Beben. Auch wenn die Songs (noch) nicht Eingang ins Kirchengesangbuch gefunden haben, sie sind doch Ausdruck der Sehnsucht nach dem vollen, begeisterten Leben und Protest gegen alles, was dieses behindert. Eigentlich also sehr christlich. Der Heilige Geist tanzt sicher mit.
Eher besinnliche Töne erklingen am Donnerstag im Konzert «East meets West» des Chores des Priesterseminars Karlovci (Serbien), der auf Initiative des Priesters der Serbischen Gemeinde Zürichs, Branimir Petkovic, in der christkatholischen Augustinerkirche in Zürich gastiert. Die östliche orthodoxe Chortradition trifft im Konzert auf die westliche Orgeltradition. Ein spannendes musikalisches Kontrastprogramm im Zeichen der Ökumene und der gegenseitigen heiligen Begeisterung.
Poetisch und sinnlich geht es dafür in Wallisellen in der Antoniuskirche zu und her, wo heute Abend die zweite Ausgabe des «Konzerts für Liebende» gegeben wird. So facettenreich wie die Liebe ist auch das Liedprogramm von Klassik bis Moderne. Und wie die Liebe selbst ist auch das Konzert ganz gratis.
Zum Schluss noch einen Tipp für alle, denen das Thema «Kirche in der Welt» am Herzen liegt. Das umfasst ja auch «Kirche in der Medienwelt», zu dem sich die Chefredaktorin des Berner Pfarrblatts, Annalena Müller, auf der Online-Plattform «feinschwarz» in einem lesenswerten Beitrag äussert. Sie begründet darin die Notwendigkeit eines unabhängigen Kirchenjournalismus, will die Kirche in Zukunft noch ihre Botschaften auch ausserhalb der eigenen Bubble verbreiten – sprich, in der Welt.
Schade nur, dass sie sich nicht zum eigenen Medium, dem Pfarrblatt, äussert. Welche Rolle können und müssen diese kirchlichen Medien spielen, die ja an vielen Orten im Umbruch sind, nicht zuletzt auch in Zürich? Hier besteht aus meiner Warte noch erheblicher Diskussionsbedarf. Gut, ist mal ein Anfang gemacht.
Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende und einen geistreichen, besinnlichen und sinnlichen Sonntag.
Ihr Simon Spengler
Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.
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Vergessen wir den Satz von Pater Martin Werlen nicht: ...aber das Alte nicht vergessen.....
Das hilft ganz besonders, dass die Aber-Geister nicht in Überzahl aufkommen.
Einen gesegneten Sonntag und freundliche Grüsse
Margrit Ruckstuhl
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