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Falsche Zeit für Kirchen-Lyrik

Bereichsleiter Kommunikation, Sekretär Interreligiöser Runder Tisch im Kanton Zürich
Simon Spengler

Gesamtverantwortung Kommunikation der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Katholischer Theologe und Journalist.

Simon Spengler
08. September 2023

Die Kirche Schweiz zittert. Die Bischöfe bibbern. Die Landeskirchen bangen. Seelsorgende sind schon ob der öffentlichen Berichterstattung im Vorfeld erschüttert. Was kommt da noch alles auf uns zu?

Dienstag werden wir es wissen. Dann wird um 9:30 Uhr an der Uni Zürich der «Bericht zur Geschichte des sexuellen Missbrauchs im Umfeld der Katholischen Kirche Schweiz seit Mitte des 20. Jahrhunderts» vorgestellt. Theoretisch ist der Bericht heute noch hoch geheim, aber alle säkularen Medien haben ihn schon seit Tagen mit Sperrfrist erhalten und dutzende Journalistinnen und Journalisten werden eifrig am Recherchieren sein. Stellen wir uns darauf ein, dass die öffentlichen Wogen schon am Sonntag hochschlagen werden.

Parallel dazu mehren sich in meinem Umfeld Stimmen, die nicht einsehen können oder wollen, warum Kirche selbst überhaupt dieses unbequeme Thema aufs Tapet bringt. So nach dem Motto: «Wir schiessen uns damit ja nur selbst ins Knie». Stattdessen sollte mit kirchlichen Good-News gekontert werden, mit Beispielen, was Kirche alles Gutes tut, wir sollten halt die glänzenden Seiten der Kirche ins beste Licht setzen und mit wohlmeinenden Worten beschreiben.

Ich habe sogar ein gewisses Verständnis für diese Reaktion, denn tatsächlich gibt es in der Kirche sogar sehr viel Gutes, sehr viele engagierte Menschen, Priester, Bischöfe, Laien. Deshalb bin und bleibe ich auch in dieser Kirche.

Aber die Optik, die Perspektive ist falsch!

Es geht jetzt nicht um das Wohl der Kirche, sondern um die Opfer. Um die Betroffenen von jahrzehntelangem Vertuschen, Abwiegeln, Kulpabilisieren in tausenden Fällen von sexuellem und spirituellem Missbrauch, der im klaren Mitwissen von höchsten Verantwortungsträgern geschehen konnte. Auch von staatskirchenrechtlichen Institutionen wie Kirchgemeinden und Landeskirchen?

Es geht um die Frage der Gerechtigkeit für die Opfer, nicht um das Image der Kirche. Um nichts anderes. Und darum, was Kirche tun kann und tun muss, um künftige Opfer möglichst zu vermeiden. Ohne Rücksicht auf Amt, Würde, Mitra, Weihe oder Institution.

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Ich bin dankbar, dass die Zürcher Kirche die Initiative ergriffen und ein neues Meldesystem «Kirche schaut hin» aufgebaut hat, das nächste Woche gestartet wird. Hier kann auf selbst erfahrenes oder beobachtetes Fehlverhalten im Umfeld der Kirche anonym hingewiesen werden. Ich bin dankbar, dass auch der Generalvikar die Einführung dieses Systems voll unterstützt und alle am gleichen Strick ziehen, denn nur so kann jede Massnahme auch glaubwürdig sein. «Kirche schaut hin» darf nicht nur ein leeres Versprechen bleiben, sondern muss konkret werden. Deshalb dieses neue Meldesystem, das eine konkrete Umsetzung und Folge des bereits länger geltenden Verhaltenskodex ist. Ein konkreter Beitrag dafür, dass Schutzbefohlene, Angestellte und Ehrenamtliche in unserer Kirche einen sicheren Ort haben, dass Fehlverhalten bereits frühzeitig erkannt und weiteres Leid möglichst verhindert werden kann.

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Die Auseinandersetzung mit der grauenhaften Missbrauchsgeschichte wird auch nach der Veröffentlichung des Berichts am Dienstag noch lange nicht abgeschlossen sein. Neben verschiedensten Sofortmassnahmen, die Bischöfe, Diözesen und Landeskirchen wahrscheinlich ergreifen werden, interessiert mich persönlich aber vor allem, wann sich die Kirchenverantwortlichen endlich, endlich, endlich auch den tieferen Ursachen stellen und daraus auch Konsequenzen ziehen. Da sehe ich bis heute noch kaum bis keine Bereitschaft, zumindest nicht in der Hierarchie. Synodale Prozesse und Versammlungen hin oder her.

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Eine phantastische Gelegenheit, sich in die ganze Thematik zu vertiefen, bietet die Universität Zürich mit ihrer Ringvorlesung «Sexueller Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche», die Ende Monat startet. Eine so facettenreiche Vortragsreihe mit dermassen vielen höchst kompetenten Beteiligten habe ich noch nirgendwo gesehen. Eigentlich ein Pflichtprogramm für uns alle.

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Ein zentrales Problem der ganzen Systemkrise unserer Kirche ist die Frauenfrage. Auch dazu gibt es eine sehr interessante internationale Konferenz der katholischen Akademie Dresden, an der man auch online teilnehmen kann: «Gottes starke Töchter – Frauen und das kirchliche Amt im Katholizismus». Mit dabei neben ganz vielen anderen auch die RKZ-Präsidentin Renata Asal Steger und die Generalsekretärin der Landeskirche Aargau Tatjana Disteli. Hier der Link zu Online-Anmeldung.

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Kommen wir am Schluss wieder zurück nach Zürich. Wir feiern am Sonntag unsere Stadtheiligen Felix, Regula und Exuperantius. Ökumenisch gestaltet von den beiden Landeskirchen sowie dem Verband der Orthodoxen Kirchen im Kanton Zürich. Auch wenn an ihrer Geschichte viel Legende ist, finde ich das Gedenken doch wichtig. Gerade jetzt. Immer wieder der Opfer gedenken, ihr Leid anerkennen und daraus Wege und Perspektiven für die Zukunft zu finden. Eben auch die Opfer ins zentrale Blickfeld nehmen, die die Kirche selbst zu verantworten hat.

 

Ich wünsche uns allen einen besinnlichen Sonntag.
Simon Spengler

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Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.

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