Für eine transparente und glaubwürdige Kirche
Können wir wieder zur Tagesordnung übergehen? Das Missbrauchsthema abhaken? Haben wir jetzt nicht endlich genug von den negativen Schlagzeilen über die Kirche gehört?
Halten wir uns vor Augen: Wir sind seit ein paar Tagen, Wochen, vielleicht auch schon länger mit dem Thema konfrontiert. Die Betroffenen, die Opfer, die Angehörigen hingegen sind es ein Leben lang, wenn sie es denn überhaupt ausgehalten und ihr Leben nicht frühzeitig beendet haben. Auch das eine schreckliche, kaum zu ertragende Wahrheit.
Nähe und Distanz. In meiner beruflichen Tätigkeit in der Kommunikationsabteilung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich habe ich in den letzten Wochen die Studie, die Medienberichte, die Kommentare auf Social Media und die Leserbriefe mehrheitlich gelesen und mich ausgiebig damit auseinandergesetzt. Ich konnte das meistens mit einer gewissen neutralen Distanz betrachten, weil ich persönlich keine belastenden Erfahrungen in der Kirche gemacht habe.
Am Abend, als die Studie herausgekommen ist, hat es mich zuhause doch erwischt: Ich konnte meine Tränen über das Leid nicht mehr zurückhalten. Die Studie konnte ich bis heute nicht vollständig lesen. Es ist unvorstellbar, dass man jahrzehntelang nicht hingeschaut, Äusserungen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen nicht ernst genommen hat. Weil man nicht klar benannt hat, was oft vielen klar war. Bloss keine Kritik - bloss keinen Ärger, ist ja alles nicht so schlimm.
Starke Frau. Einen Kloss im Hals hatte ich auch diese Woche wieder. Am Montag gab es eine schon länger geplante Podiumsdiskussion in der Paulus Akademie zur Missbrauchsstudie. Auf dem Podium zusammen mit Bischof Joseph Maria Bonnemain, Stefan Loppacher, Lea Burger und Prof. Lea Holenstein: Vreni Peterer, Präsidentin der IG MikU, der Interessengemeinschaft für missbrauchsbetroffene Menschen im kirchlichen Umfeld. Sie selbst, in ihrer Jugend missbraucht von einem Pfarrer, ist in den letzten Wochen die starke, überzeugende Stimme der Betroffenen geworden, immer authentisch, klar, stark.
An diesem Abend erzählte sie von einem Familientreffen am Wochenende, ein Zusammentreffen mit ihren Geschwistern in dem Dorf, in dem sie aufgewachsen ist, wo der Missbrauch stattgefunden hat. An diesem Treffen, also einen Tag vor dem Podium, hat sie erstmals erfahren, dass es auch bei ihrem jüngsten Bruder Übergriffe gegeben hat. Nach diesem Geständnis gab es einen Moment der Stille, in dem man eine Stecknadel auf den Boden fallen gehört hätte.
Trotz all diesem Unerträglichen ist sie gekommen, trägt ihre Anliegen vor. Und ist in der Lage, am Schluss der Veranstaltung versöhnliche Worte zu finden. Peterer sagte: «Ich wünsche mir und setze mich dafür ein, dass es einen gemeinsamen Weg gibt, den wir als katholische Kirche gehen müssen. Betroffene mit den Bischöfen, Gläubigen und Mitarbeitenden. Zum Wohl der Menschen und der katholischen Kirche.» Eine unglaublich starke und beeindruckende Person!
Starker Synodalrat. Umso dankbarer bin ich, dass der Synodalrat der Katholischen Kirche im Kanton Zürich in seiner Klausur in dieser Woche klar Stellung bezogen hat für eine transparente, gleichberechtigte und glaubwürdige Kirche. In einer Medienmitteilung hat er seine Forderungen kommuniziert. Es sind dies im Wesentlichen:
- Einsatz für Gewaltenteilung und -kontrolle sowie für Gleichberechtigung auf allen Ebenen der Kirche
- Unterstützung der Bestrebungen zur Abschaffung des Pflichtzölibat
- Persönliche Lebens- und Beziehungsformen sind Privatsache
- Unterstützung des raschen Aufbaus einer unabhängigen, nationalen Meldestelle für Missbrauchsbetroffen
Glaubwürdigkeit. Nochmals kurz zurück zu Vreni Peterer. Sie hatte sich auf ein Doppelinterview mit dem Vorsitzenden der Schweizerischen Bischofskonferenz SBK, Bischof Felix Gmür, eingelassen. Diese Woche hat sie den Termin abgesagt, denn sie spüre keine Lernkurve beim Basler Bischof. «Ich habe diesen nun abgesagt, weil ich mich momentan nicht mit dem Basler Bischof an einen Tisch setzen kann. … Meine zeitlichen Ressourcen investiere ich lieber in Gespräche mit Betroffenen, die sich seit dem 12. September bei uns melden.» So begründete Vreni Peterer ihre Absage für das kath.ch-Interview mit Bischof Felix Gmür.
Schwierige Zeiten. Jugendliche dieser Generation müssen sich mit Krieg, Corona und anderen Plagen auseinandersetzen. Wie die Rundschau im Schweizer Fernsehen berichtete, hätten auch Jugendliche, die eine Firmung feierten, aktuell Mühe, sich in der Schule als «katholisch» zu outen. Nicht schön, wo doch eigentlich die Firmung ein freudiges Ereignis sein sollte. Bei der gehäuften Zahl an Kirchenaustritten sind es vermehrt auch Jüngere, die sich nicht mehr mit der Kirche identifizieren. Das sollte uns zu denken geben. Es hilft aber auch kein Schönreden der Situation. Es ist wie es ist und jetzt gilt es für uns alle, eine Kirche der Zukunft zu gestalten, die wieder Quelle der Freude und Geborgenheit ist. Die Basis setzt sich mit allen Kräften dafür ein. Wie sieht es an der Spitze aus?
In derselben Sendung wird Bischof Bonnemain als allgegenwärtiger Krisenmanager dargestellt, der sogar auf den Helikopter zurückgreifen muss, um all seine Termine wahrnehmen zu können. Das wirkt dynamisch, zeigt ihn als Macher. Was dann effektiv dabei herauskommt, werden wir noch sehen.
Aber es gab etwas ganz anderes, was mich berührt hatte. Auf die Frage, ob er sich ohne Beziehung (er wollte ursprünglich mal heiraten, hat sich dann aber anders entschieden, wie wir wissen) auch manchmal einsam fühle. Seine Antwort: «Darum versuche ich auch, möglichst immer unter Leuten zu sein.» Wie traurig ist das denn? Nicht, dass ich wahnsinnig Mitleid gehabt hätte. Er hat sich sein Leben, seine Funktion selbst ausgewählt. Es zeigt aber auch, wie die Luft dünn ist, sowohl bei Managern in der Privatwirtschaft wie auch bei den Kirchenoberen. Jeder Mensch sehnt sich nach Nähe und Geborgenheit, nach einem echten, ehrlichen Austausch. Der findet aber oft nicht mehr statt. In den kirchlichen Strukturen mit dem Zölibat noch weniger. Umso wichtiger ist es, dass auch kritische Stimmen gehört werden, damit man im Elfenbeinturm nicht den Bezug zur Realität, zum Alltagsleben der Menschen verliert, die zwar kein solch privilegiertes, aber offenbar weniger einsames Leben führen.
Perspektivenwechsel. Albin Mitsche, in diesem Jahr neu gewählter und engagierter Kirchenpflegepräsident von Uster, und seine Kolleginnen und Kollegen haben einen offenen Brief geschrieben, nach Rom, an die Bischöfe und weitere Institutionen. Und sich auch in Interviews dezidiert zur aktuellen Krise geäussert. Uster ist eine der vier grössten Kirchgemeinden im Kanton und zählt ein Vierfaches an Austritten in den letzten zwei Wochen gegenüber dem letzten Jahr. Die Gemeinde will sich weiterhin einsetzen für ein lebendiges, offenes kirchliches und spirituelles Angebot. Seelsorger und Pfarreileiter ad interim, Zeno Cavigelli, äusserte sich im Interview: «Ich will, dass wir noch mehr wegkommen von einer pfarrerzentrierten Pfarrei hin zu einer, die auf einer breiten Basis steht. In der auch die normalen Leute etwas zu sagen haben und vielleicht auch jene, die nicht jeden Sonntag in die Kirche kommen.»
Blick nach Rom. Ab dem 4. Oktober beginnt die lange angekündigte Weltsynode. Viele erhoffen sich dabei auch Öffnungen zu den Themen Zölibat und Rolle der Frauen in der Kirche. Bis jetzt hat sich ein Schweizer Bischof dahin gehend geäussert, Felix Gmür, und das auch erst als PR-Strategie im Nachgang zur Studie. Was ist mit den anderen Bischöfen, was ist mit der ganzen Gilde der Schweizerischen Bischofskonferenz? Wieso tut man sich nicht mit den deutschen Bischöfen zusammen. Ein solches Votum hätte allenfalls in Rom Gewicht. Ich bin gespannt, was bei dem grossen Brimborium herauskommt. Die Hoffnung stirbt zuletzt und ich hoffe sehr, dass durch enttäuschte Erwartungen nicht noch mehr Menschen aus der katholischen Kirche austreten.
Die Themen Frauenweihe und Zölibat sind übrigens nicht nur ein deutschsprachiges oder europäisches Problem. Eine Tagung letzte Woche in Leipzig, «Gottes starke Töchter», hat klar gezeigt, dass diese Themen weltumspannend zu Diskussionen führen. Von Südamerika über Indien, Asien und Afrika. Überall dort, wo Bildung die Frauen erreicht, funktioniert das hierarchische System nicht mehr. Gebt den Menschen Bildung und Macht wird geteilt werden müssen. Will man(n) das?
Engagement. Wir schauen hin.
Diese Grafik in der Signatur unserer E-Mails soll das Engagement der Katholischen Kirche im Kanton Zürich weiterhin sichtbar machen und zeigen, dass wir es ernst meinen.
Es wird solange ein Thema bleiben, bis die Betroffenen Gerechtigkeit erfahren haben, bis alle Mitglieder der Schweizer Bischofskonferenz nicht nur einen Gottesdienst unter Polizeischutz feiern, sondern vor der Betroffenen zu Knie gehen und sich öffentlich gemeinsam entschuldigen und die Verantwortung in Interviews nicht immer wieder nach Rom abschieben.
Film-Geschichten. Jetzt zu einem ganz anderen Thema: Gestern hat das Zurich Film Festival ZFF begonnen. Filme erzählen Geschichten, fiktive oder wahre wie beispielsweise «Unser Vater», der das Missbrauchsthema schon vor der Studie zum Thema hatte und dessen Fakten sich nicht leugnen lassen, dass ein Priester mehrere Kinder gezeugt hat und Frauen missbrauchte unter dem Schutz der «Mutter Kirche».
Beim ZFF werden die unterschiedlichsten Filme gezeigt. Dabei wird auch ein Preis der Kirchen vergeben. Unser letztjähriger Gewinnerfilm «Foudre» wurde sogar bei der Oscar Academy eingereicht.
Wir freuen uns daher, dass wir noch Freikarten für den (jetzt noch nicht bekannten) Siegerfilm des Filmpreis der Kirchen, am 5. Oktober um 20:00 Uhr im Kino Arena Sihlcity Zürich vergeben können.
Interessiert? Dann schreiben Sie ein E-Mail an filmpreis@zhref.ch. Bitte geben Sie unbedingt folgende Angaben an: Vor- und Nachname, Jahrgang, E-Mail mit dem Stichwort «katholisch» für den Versand der Gewinnbestätigung. Bitte beachten Sie die Altersangaben für die Begleitperson und gewinnen Sie jeweils zwei Tickets. Die Personendaten werden nur für diesen Wettbewerb genutzt. Es wird keine Korrespondenz geführt.
Wenn es Ihnen nicht reicht, um ans ZFF zu gehen, gönnen Sie sich sonst eine Gelegenheit, Geschichten anzuhören: die Lebensgeschichte einer guten Freundin, diejenige eines Nachbars, einer fremden Person. Seien Sie nahbar für andere und einfühlsam. So entstehen positive Nähe und eine Bereicherung für unsere Leben.
Austausch. Wie geht es Ihnen? Was brauchen Sie von uns? Haben Sie Menschen in Ihrer Nähe, in Ihrer Pfarrei, mit denen Sie sich austauschen können? Schreiben Sie uns gerne. Oder kommen Sie zu einem Kaffee vorbei (gerne mit Voranmeldung)? Auch das Angebot für einen Wiesn-Besuch meiner Kollegin Magdalena Thiele gilt immer noch. Wir nehmen uns Zeit und hören zu. Und haben Sie Nachsicht, wenn wir nicht sofort antworten können. Es läuft viel im Moment…
Ich bedauere, dass ich heute keine leichte Kost im Newsletter vorsetzen konnte. Aber ich wünsche Ihnen und Ihren Liebsten, dass Sie umso mehr jeden Tag als kostbar und einzigartig erleben und in Ihrem direkten Umfeld echte Liebe weitergeben können. Das ist das grösste Geschenk, dass Gott uns gegeben hat.
Herzlich
Sibylle Ratz
Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.
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vielen Dank für diesen Newsletter, der in allen Facetten die Zerrissenheit darstellt, die bei uns Katholiken zurzeit herrscht. Jeder versucht zurzeit in seinem Bereich zu (re)agieren, intensiver als in den letzten Jahren sowieso schon. Ich hoffe, dass ich persönlich mit meiner Arbeit beitragen kann. Du schaffst es mit Deinem Talent für die Aufnahme der Stimmung - und auch noch mit breiter Wirkung als Journalistin. Nochmals Danke!
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