Warten und Ungeduld
Ich liebe Adventslieder. Leise und getragene Melodien voller Sehnsucht, auch stilles Schluchzen im Heute verknüpft mit der Erwartung auf das, was für das Morgen verheissen ist..
«Tauet, Himmel, den Gerechten» kommt mir immer wieder in diesen Zeiten von Gewaltorgien, fanatischem Hass und perspektivenlosem Krieg in den Sinn. «Rief das Volk in bangen Nächten» geht der Text weiter und ich denke an die palästinensische Mutter, die um ihre von israelischen Bomben zerfetzten Kinder weint, um israelische Eltern, die um ihre hingeschlachteten Töchter und Söhne trauern. Nein, dieser Advent ist kein fröhlicher, Hoffnungszeichen sind rar.
«Oh komm, oh komm Emmanuel, mach frei dein armes Israel» summe ich. In Verbundenheit mit der jüdischen Gemeinde, die seit gestern das Lichterfest Chanukka feiert. Wie bei unserem Adventskranz zünden auch Juden während Chanukka jeden Tag eine Kerze mehr an. Immer schön der Reihe nach, eine nach der anderen, darauf wartend, dass dann am Ende - aber erst dann! - alle leuchten.
Bei uns Christen ist diese Haltung des Wartens etwas in Vergessenheit geraten. Noch vor dem ersten Adventssonntag werden allenthalben die Weihnachtsbäume aufgestellt und mit Lämpli überhängt, damit leuchte, was das Stromnetz hergibt. Selbst vor vielen Kirchen und in kirchlichen Gebäuden macht die Unsitte nicht Halt. «Erst ein, dann zwei, dann drei, dann vier», das war mal, Relikt aus vergangener Zeit. Jetzt wollen wir immer alles sofort und alles aufs mal. Dass der Advent keine Zeit wohlduftender Behaglichkeit sein soll, sondern stille Zeit des Fastens, der Besinnung und der Busse, das muss uns ausgerechnet der SonntagsBlick in Erinnerung rufen.
«Aus hartem Weh die Menschheit klagt, sie steht in grossen Sorgen. Wann kommt, der uns ist zugesagt, wie lang bleibt er verborgen?» fragt ein anderes Adventslied. Damit passt es in unsere Zeit wie vielleicht kein anderes. In welche Himmelsrichtung wir auch blicken, die Gottesferne umschleicht uns allenthalben. Was kann unsere christliche Antwort darauf sein?
Eine Antwort versucht unsere Weihnachtskrippe auf dem Zürcher Münsterhof. Die «Heilige Familie» an einem Ort, wo man sie nie erwarten würde, das Wunder der Menschwerdung Gottes in zerlumpten Kleidern eines Flüchtlingspaars mit ihrem Neugeborenen, mitten auf der sündigen Langstrasse. Bis zum 23. Dezember schenkt die Krippe dank spezieller 3D-Brille einen neuen Blick auf das Kommen des Erlösers. Montag, 11. Dezember, um 19:07 Uhr, erzählt übrigens Bischof Joseph-Maria Bonnemain im Kulturzelt neben der Krippe seine persönliche Weihnachtsgeschichte.
Eine zweite Antwort versucht das Projekt «Adventskranz des Friedens» der reformierten Zürcher Altstadtkirchen. Eindrücklich wird am Vorabend jedes Adventssonntags ein anderer Turm mit adventlichen Friedensbotschaften beleuchtet, morgen setzen die beiden Türme des Grossmünsters ein Zeichen für Toleranz: jeden Samstag im Advent zwischen 17 und 20 Uhr.
Morgen Abend dürfen wir auch wieder die mit «einer Million Sterne» erleuchtete Zürcher Rathausbrücke erleben. Jedes zaghafte Kerzenlicht steht für die Not eines Menschen. Wir können die Welt nicht per Knopfdruck auf den Kopf stellen und alles ist gut. Aber trotzdem bringt jede neue Kerze, und sei sie noch so klein, ein wenig mehr Licht in die Dunkelheit. An der europaweit koordinierten Caritas-Aktion beteiligen sich auch die Pfarreien St. Anton Zürich, Horgen, Pfäffikon, Wiesendangen und Seuzach. Details zu den einzelnen Orten auf der Karte.
Wenn ich oben das «Warten» als adventliche Grundhaltung beschrieben habe, so ist damit sicher nicht tatenloses «Zuwarten» gemeint in der falschen Hoffnung darauf, Probleme lösten sich von selbst, wenn man sie nur lange genug versteckt. Das musste letzte Woche auch unsere Bistumsleitung in Chur bitter erfahren, die nun auch in den Strudel des katholischen Missbrauchsskandal geraten ist.
Vorwürfe von sexuellem Missbrauch durch einen Priester stehen im Raum, wobei selbstverständlich bis zu einem Urteil die Unschuldsvermutung gilt. Die Verantwortlichen haben jetzt gehandelt, die Justiz ermittelt, der Bischof hat Massnahmen ergriffen. Soweit alles richtig. Was mich aber beelendet, ist die Geschichte hinter der Geschichte.
Da wird ein in innerkirchlichen Kreisen weit herum wegen seines unbändigen Jähzorns und seiner cholerischen Ausbrüche bekannter Priester (es soll jetzt bloss niemand behaupten, das habe die Bistumsleitung nicht ganz genau gewusst!) von der Pfarreiseelsorge abgezogen, weil man ihn schlicht niemandem mehr zumuten kann. Stattdessen wird der verhaltensauffällige «Gottesmann» als Spiritual in ein Nonnenkloster versetzt.
Wer für «normale Leute» nicht zumutbar ist, ist für Ordensschwestern offenbar noch immer gut genug. Sollen die den Priester erdulden und ertragen, sie haben ja Übung darin. Für mich zeigt sich hier einmal mehr die furchtbare Fratze klerikaler Frauenfeindlichkeit, die so tief in der DNA der Hierarchie verankert ist - aller schönen Sprüche zum Trotz. «Sonne der Gerechtigkeit, gehe auf in unsrer Zeit, brich in deiner Kirche an, dass die Welt es sehen kann.»
Betroffen und bewegt, aber auch gefreut, hat mich das Porträt unseres Präventionsbeauftragten Stefan Loppacher im neuen Beobachter (leider hinter der Aboschranke – kirchliche Mitarbeitende können es in unserem Intranet ikath finden). Hier begegnet uns ein von spirituellem Missbrauch zutiefst verletzter Mann, der erst durch den radikalen Bruch mit den zerstörerischen Kräften eines überhöhten Priesterbilds und klerikaler Herrlichkeit zu sich selbst zurückgefunden hat. Welchen Schmerz dieser Bruch bedeutet, kann wohl nur nachvollziehen, wer ihn selbst in seiner religiösen Biografie erlebt hat. Ich danke meinem Kollegen Stefan für seine mutige Offenheit, die auch für andere Betroffene befreiend sein kann. «Denn es ging dir zu Herzen sehr, da wir gefangen waren schwer.»
Wenn Sie an einer der Personen interessiert sind, die hinter der Schweizer Missbrauchsstudie steht (zu deren Zustandekommen auch Stefan Loppacher viel beigetragen hat), dann können Sie heute Abend in der Paulus Akademie die Historikerin Monika Dommann live erleben in Monikas Watchlist. Direktor Csongor Kozma und forum-Chefredaktor Thomas Binotto befragen Dommann nach Filmen und Bildern, die sie geprägt haben.
Wir feiern heute gemäss liturgischem Kalender das Fest der «unbefleckten Empfängnis Mariens». Tja, eigentlich feiern wir es in Zürich ja leider nicht. Und viele von uns verstehen auch kaum noch, was dieses Fest soll. Dabei finde ich die biblische Geschichte, die am heutigen Festtag im Evangelium gelesen wird, einfach nur toll. Vielleicht muss man all die spekulativ-theologischen Deutungen mal vergessen und lesen, was in der Bibel bei Lukas steht.
Die junge Maria, fast noch ein Mädchen, wird ungeplant schwanger. Sie weiss nicht, wie ihr geschieht, und in ihrer Not und Hilflosigkeit wendet sie sich nicht an ihren Freund, nicht an einen Priester, auch nicht an ihre Eltern, sondern zuerst an eine «Verwandte». An eine andere Frau namens Elisabeth, der sie wirklich vertraut.
Eine Geschichte, wie sie sich seitdem millionenfach wiederholt, wo unter gesellschaftlichen und religiösen Zwängen leidende Frauen sich gegenseitig Mut zusprechen. Auch die Freundin Elisabeth nimmt der jungen Maria die Angst: «Gesegnet ist die Frucht deines Leibes.» Aus dieser vertrauensvollen Begegnung der beiden Frauen wächst neues, kraftvoll-revolutionäres Leben, das im Magnifikat mündet: «Meine Seele preist die Grösse des Herrn, … er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen…»
Sollten Sie noch keinen Adventskalender haben und die Schokolade fasten, sagt Ihnen vielleicht der digitale Kalender mit Zusprüchen für jeden Tag im Advent zu, der vom Katholischen Medienzentrum gemeinsam mit dem Bistum Basel und dem Bibelwerk realisiert wurde. Ich finde diese Tradition, jeden Tag eine Tür zu öffnen (im Advent sollten Türen geöffnet werden, nicht geschlossen…) eine sehr hilfreiche Übung beim Warten auf das, was uns verheissen ist. Ich wünsche einen gesegneten zweiten Advent.
Ihr
Simon Spengler
Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.
Danke für den Lesenswerten Newsletter. Nur ein kleiner dogmatischer Hinweis: Heute feiern wir nicht, wie Maria Jesus empfangen hat (was in der Tat bedenkenswert ist), sondern dass sie trotz ihrer "normalen" Entstehung durch eine Frau und einen Mann frei von der Erbsünde ist... Ein Dogma unserer Kirche, das sich nur schwierig biblisch verorten lässt.
Gruss,
Patricia
sehr geschätzte Mitglieder des Synodalrates, sehr geehrter Herr Synodalratspräsident Meyer,
sehr geschätzte Leserschaft des Newsletters,
ich wende mich an alle Seiten dieses Newsletters. An den Verfasser, der wieder seine Frustration über die Verantwortlichen der Kirche freien Lauf lässt. An den Synodalrat, der diesen Newsletter zu verantworten hat und mitträgt - auch durch unsere Kirchensteuern. An die LeserInnen, die ihn Lesen und frei ihre Meinung darüber kundtun können. Beim Lesen dieses Newletters habe ich mich wirklich gefragt, ob Spengler's Wortwahl"normalen Menschen" zumutbar ist. Was soll der Beifall über die neuen "Offenbarungen" des und die grosse Betroffenheitsbekundung für den diözesanen Präventionsverantwortlichen Loppacher. Er ist wie es Iten war eine Fehlbesetzung. Wer ihre Kurse verliess, war schockiert über ihre Abneidung gegen alles Kirchliche. Der Synodalrat frage ich an, ob die Formulierung "die furchtbare Fraze der klerikalen Frauenfeindlichkeit, die in der DNA der Hierarchie so verankert ist" von ihm so mitgetragen wird? Oder handelt es sich wieder Mal um die persönliche Meinung des Schreibenden, dem die Kirchensteuern zufließen, um in einer Narrenfreiheit alles von sich zu geben? Und die Leserschaft frage ich an, ob wir uns eine solche aggressive Wortwahl gegenüber unseren Regierungsvertreter, Behördenmitgliedern oder anderen Verantwortungsträgern hinnehmen würden? Für die Adventszeit ein schlechter Newsletter.
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