Mehr als die Liturgie
Habt keine Angst, geht raus und erzählt den Menschen von Gott und seiner Gnade: Lange wurde in diesem Sinne geplant, vorbereitet und beworben. Heute ist es soweit: Die christlichen Kirchen im Kanton Zürich laden ein zur Langen Nacht der Kirchen. 470 Kirchgemeinden und Pfarreien in der ganzen Schweiz öffnen ihre Pforten für Menschen aller Konfessionen und zeigen, was Kirche alles sein darf.
Das Programm reicht von Alphornblasen und Lichtinstallation über Tanzdarbietungen, Hip-Hop in Winterthur und Church-Clubbing in Höngg – und das alles zur Ehre Gottes. Wenn auch die bekannteste Form des Lobpreises Anbetung und Gottesdienst sind, das Spektrum reicht viel weiter. Das Kirchenschiff ist ein Ort, an dem wir zusammenkommen dürfen, um unseren Glauben zu feiern – im Gottesdienst, aber eben auch anders.
Nicht jedem ist das bewusst – manch einer fremdelt mit der Vorstellung, dass Kirche so viel mehr ist als die Einhaltung der Liturgie. Nicht jeder akzeptiert diese Vielfalt des Lobpreises. Der Ärger, den ein zu enges Verständnis des Lobpreises hervorbringen kann, ging in Strassbourg sogar soweit, dass ein Pfarrer Morddrohungen erhalten hat. In der Ev. Kirche Saint-Guillaume lädt Pfarrer Daniel Boessenbacher zur Poledance-Darbietung zu den Klängen des Marien-Hymnus Stabat mater von Giovanni Battista Pergolesi.
Die Karten für die Show der Künstlergruppe Passions Croisees um den ehemaligen französischen Poledancemeister Vincent Grobelny waren schnell ausverkauft. Genauso schnell kamen leider auch die Drohbriefe.
Dabei hat Erotik, die Faszination über die Schönheit des menschlichen Körpers, ihren berechtigten Platz in der Kirche, erklärt Simon Spengler, Leiter der Kommunikation der Katholischen Kirche Zürich, im Radiointerview dem etwas überraschten Moderator der Morgenshow vom Winterthurer Regionalsender Top. All das ist Gottes Schöpfung, die Kirche muss sich dem nicht verschliessen. Habt keine Angst! (Es ist nur Poledance…)
Und dann ist Kirche auch noch mehr als das, was rund um den Altar geschieht. Was mit der Messfeier am Sonntag beginnt, hört nicht an der Kirchenpforte auf. Davon erzählte diese Woche auch die Theologin und Autorin Andrea Meier bei der Vernissage des ersten Buches «Von Kloster bis Kommune» aus der Reihe Zürcher Zeitzeichen in der Paulus Akademie. Kirche sei für sie auch sichtbar im nachhaltigen Zusammenleben. Auf dem Areal der ehemaligen Kehrrichtverbrennungsanlage in Bern hat sie mit der Wohnbaugenossenschaft Warmbächli einen Wohn- und Arbeitsraum für heute rund 500 Mitglieder geschaffen. «Wir teilen uns Ressourcen, wir versuchen unseren Teil zur Bewahrung der Schöpfung beizutragen», sagt Meier. Auch das gehöre zu einem kirchlichen Leben.
Wer mehr zu christlich-nachhaltigen Lebenskonzepten lesen möchte, dem empfehle ich einen Blick ins erste «Zürcher Zeitzeichen» des Synodalrats im Kanton Zürich, erschienen im TVZ (Theologischer Verlag Zürich).
Zur Bewahrung der Schöpfung beteiligt sich die Katholische Kirche im Kanton Zürich jetzt übrigens auch an der Initiative «Christ:innen für Klimaschutz». Gefordert wird ein Ja zum Klimaschutz-Gesetz bei der bevorstehenden Abstimmung am 18. Juni. Nur so kämen wir der Klimagerechtigkeit in dieser Welt einen Schritt näher, sagt Synodalrat für Soziales und Ökologie der Kath. Kirche im Kanton Zürich Daniel Otth (im Bild oben). Einzelperson und Organisation sind dazu aufgerufen, sich anzuschliessen und sich öffentlich zum Klimaschutz-Gesetz zu bekennen.
Kirche ist Teil von Gottes Schöpfung. Tanzen ist Teil von Gottes Schöpfung. Hip-Hop-Beats und Erotik sind Teil von Gottes Schöpfung. All das ist es wert, bewahrt zu werden.
In diesem Sinne darf ich Sie noch auf einige Veranstaltungen der kommenden Woche aufmerksam machen:
- Hilfswerk «Kirche in Not (ACN)»: Vom 08. bis zum 09. Juni wird Msgr. Obiora Ike aus Nigeria in den Pfarreien Heilig Geist, St. Gallus, St. Ber Gottesdienste feiern und Vorträge halten, um auf die Verfolgung der Christen in seiner Heimat aufmerksam zu machen. Die Kollekte soll direkt in Projekte vor Ort fliessen. Für Projekte in Nigeria stehen jährlich rund CHF 2 Mio. aus ACN-Mitteln zur Verfügung.
- Nachhaltig ist eine Reise nach Südamerika nicht unbedingt, aber eine Schweizer Ikone sehen wir das nach: Die Ausstellung «Heidi – Kunst aus Lateinamerika. Weltliteratur aus Zürich» stellt Arbeiten von Künstlern aus Argentinien, Venezuela, Mexiko und Peru vor, die sich mit dem Heidi-Mythos auseinandergesetzt haben. Zudem werden Dokumente aus dem Heidi- und dem Johanna Spyri-Archiv ausgestellt. Zu sehen ist die Ausstellung ab dem 02. Juni im Heidiseum in Zürich.
- Am 10. Juni öffnet die «Ding Dong Bar» in Wipkingen erneut und lädt ein zu Drink und Zürichpanorama. Oben im Glockenturm hat Pfarrer Marcel von Holzen Bar und Terassenlounge eingerichtet. Alle 15 Minuten gibt es ein Ding Dong zu hören, verspricht das Veranstaltungsplakat. Wer sich diese besondere Atmosphäre nicht entgehen lassen möchte, steigt ab 19.30 Uhr die Stiege zur Bar in der Pfarrei Guthirt in Zürich Wipkingen hinauf. Prost!
Ich wünsche Ihnen allen eine gesegnete Woche und bedanke mich für das Lesen meiner nachpfingstlichen Botschaft.
Ihre Magdalena Thiele
Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.
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