Echte und falsche Zeitenwende
Imperiale Kriege wurden in den letzten Jahrzehnten überall auf der Welt geführt; 2008 wurde eine Grossbank mit Geldern der Allgemeinheit gerettet, heute wird eine andere Grossbank mit Geldern der Allgemeinheit liquidiert. Gabs im Tanz ums goldene Kalb also wirklich eine Wende, oder wurde nur der Rhythmus angepasst?
Die Rede von «Zeitenwende» verstehe ich vor allem als Nebelpetarde. Auf der Strecke bleiben die Opfer und Geschädigten. Im Fall der CS zigtausend Angestellte mit ihren Familien, viele von ihnen leben im Kanton Zürich. Auch wenn die Betroffenen wahrscheinlich nicht auf der Langstrasse um Esspakete anstehen müssen, so bahnen sich doch vor unseren Augen viele Dramen an. Finden wir als Kirche passende Worte? Und finden wir den Mut, uns der Frage nach unserem Umgang mit Kirchengeld zu stellen?
Auch in unserer Kirche ist viel von Wende und struktureller Reform die Rede. Weg von klerikaler Machtfülle, weg von kirchlicher Bevormundung, Hinwendung zu mehr Synodalität und zum Leben der Menschen. Wo die Kirche am Ende des Synodalen Weges ankommen wird, ist völlig offen. Nebelpetarde oder neues Licht für die Welt?
Gelingt es den Verantwortlichen, selbst errichtete ideologische Zwänge zu sprengen, nicht zuletzt im Hinblick auf Partnerschaft, Sexualität und Familienmodelle? Die deutschen Bischöfe haben grossmehrheitlich einen kleinen Schritt gewagt und führen ganz offiziell Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare ein. Die Schweizer Bischöfe bleiben brav in der Deckung und warten ab, was der Vatikan dazu meint.
Mutig war hingegen ein anderer. Vor 20 Jahren schwor der Nidwaldner Priester Karl Bürgler der klerikalen Doppelmoral ab und stand zu seinem Partner. Der Churer Bischof Amédée Grab setzte den beliebten Seelsorger gegen den Willen der Pfarrei sofort ab, Bürgler stand vor dem Nichts. Aber er konnte wieder in den Spiegel schauen. Er jobbte als Zügelmann und durfte später im Bistum St. Gallen, gegen permanente Interventionen und Drohungen aus Chur, wieder als Seelsorger wirken.
Nun ist Kari im Alter von 58 Jahren gestorben. Hier das berührende Porträt auf kath.ch. Wann wird die Kirche den Mut finden, um Vergebung zu bitten für all die seelische und materielle Not, die sie Priestern angetan hat, die nur ehrlich in den Spiegel schauen wollen?
Aber ehrlich, eigentlich sind das ja für den Grossteil der Bevölkerung, vor allem der jungen, Fragen von gestern. Die Kirche hat hier den Anschluss an die Menschen längst verpasst. Das darf uns nicht davon abhalten, heute zu überlegen, welche Rolle die Kirche(n) morgen haben können. Und zwar in einer Gesellschaft, in der es keine Dominanz einer christlichen Konfession mehr geben wird.
Diese Zeit hat ja schon begonnen, aber die Entwicklung wird noch viel weiter gehen und gravierende Auswirkungen zeigen. Einerseits finanziell, weil die Kirchenbindung weiter zurückgehen wird und damit die Einnahmen. Andererseits auch inhaltlich: Wie kann christliche Gemeinde in dieser neuen Ära Salz der Erde bleiben oder werden? Und nicht zuletzt stellt sich die Frage nach den kirchlichen Räumen. Finden wir neue Nutzungsformen, oder werden Kirchen einfach wie im benachbarten Ausland verramscht und zweckentfremdet?
Die Zürcher Kirche hat dazu zwei Studien erstellen lassen. Das Forschungsinstitut Ecoplan untersucht die finanziellen Perspektiven der Zürcher Kirchgemeinden in allen Regionen des Kantons. Und die Theologin Regula Grünenfelder fragt, was die «Kirche im Dorf», respektive im Quartier, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedeutet? Was würde fehlen, wenn es sie nicht (mehr) gäbe? Ihre Studie ist ein wichtiger Impuls für eine notwendige Zukunftsdiskussion, die unsere Kirche nicht verpassen darf.
Synodalratspräsidentin Franziska Driessen-Reding sagt dazu im Interview: «Kirchenräume müssen auch künftig für die Menschen offenstehen. Für alle Menschen. Für suchende Menschen, für verletzte Menschen, für Menschen am Rande der Gesellschaft, für Menschen wie du und ich. Offene Räume als Orte, wo auch nicht-materielle Dimensionen unseres Lebens Platz finden. Für die Gesellschaft, nicht für einzelne Auserwählte. Wir brauchen Kirchen nicht als Gourmettempel für Reiche, sondern als Nahrungsstätten für die Seele.»
Am Puls der Zeit ist das theologische Portal «feinschwarz». Ich kenne kein anderes deutschsprachiges Medium, das so innovativ und kreativ Fragen der Zeit theologisch beleuchtet. Am Sonntag wird die Redaktion mit dem «Herbert-Haag-Preis» ausgezeichnet. Wir gratulieren von Herzen! Eigentlich wäre ja «feinschwarz» Anwärter des Medienpreises der Bischofskonferenz. Aber: zu spät.
Jemand, der Freude an «feinschwarz» gehabt hätte, wäre die deutsche Theologin Dorothee Sölle gewesen. Die 2003 verstorbene Mystikerin und Poetin gehört für mich zu den wichtigsten theologischen Impulsgeberinnen des 20. Jahrhunderts. Regelmässig war sie auch in Zürich präsent, vor allem in Boldern. Die Paulus Akademie lädt gemeinsam mit der Zeitschrift «Neue Wege» und den Evangelischen Frauen Schweiz dazu ein, sich anlässlich des 20. Todestags neu vom Werk Dorothee Sölles inspirieren zu lassen.
Am Sonntagabend lohnt sich ein Ausflug ins Kloster Fahr ganz besonders. Dann findet wieder der «Tanz im Abendgebet» statt (weitere Termine auf der Homepage). Wenn die Verhältnisse zu tanzen beginnen, ereignet sich Neues. Das gilt vielleicht sogar für unser Verhältnis zu Gott. Sie sind herzlich eingeladen, sich gemeinsam mit der Fahrer Schwesterngemeinschaft in Schwingung versetzen zu lassen.
Jetzt noch das Dessert. Weil in der Fastenzeit die Sonntage vom Fasten ausgenommen sind, darf ich Ihnen wärmstens den Besuch des kirchlich unterstützten Schoggi-Festivals empfehlen: Sonntag in der Mühle Tiefenbrunnen. Lernen Sie alles über Kakao und Schokolade und giessen Sie schon mal den eigenen Osterhasten – natürlich mit fair gehandelter Schoggi. Für den guten Geschmack und nachhaltigen Genuss.
Jetzt bleibt mir nur noch, Sie an den Zeitenwechsel am Sonntag hinzuweisen. Wer die Uhr nicht anpasst, kommt künftig nur noch zu spät – was auch im übertragenen Sinne gilt.
Ihr
Simon Spengler
Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.
Ist die Kirche too big to reform?
Wir stossen seit Jahrzehnten bei den gleichen Problemen an.
Mit freundlichen, aber auch wütenden und traurigen Grüssen
Elisabeth-Henny
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