Vermintes Gelände
Wobei letzteres sich grammatikalisch auf Sie bezieht, welche dies eben gerade am Tun sind, nämlich unseren Newsletter lesen.
Liebe Leserin, lieber Leser,
wenn Sie ob dem gegenderten Einstieg noch nicht entnervt weggeklickt haben und immer noch lesend an Bord sind, begrüsse ich Sie herzlich auf vermintem Gelände, sei es sprachlich oder inhaltlich.
Beginnen wir sprachlich: Diese Woche haben mich verschiedentlich Anfragen zu gendergerechter Sprache erreicht. Bei allen wohldurchdachten, sensiblen und kreativen Ansätzen bleibt die Kernfrage offen: Wie gelingt es uns, sprachlich Schönheit mit Gerechtigkeit und Offenheit für Neues mit klassischer Klarheit zu verbinden? Ich halte es da mit Stefan Kiechle, Jesuit und Chefredakteur der Kulturzeitschrift «Stimmen der Zeit». Er schlägt einen pragmatischen Mittelweg vor, der auf die Etiketten von richtig und falsch verzichtet. Er weist auch darauf hin, dass die „Bibel in gerechter Sprache“ für Gott neben den traditionell männlichen eine beachtliche Reihe weibliche Worte gefunden hat, für den Teufel jedoch ausschliessliche männliche Wörter…
Und dann öffnen wir das Fass inhaltlich und beginnen mit dem Frauenstreik. Gleichstellung ist zwar als Nomen gross, in Realität jedoch klein geschrieben. Darum setzen die Frauen nach wie vor mit dem Frauenstreik Zeichen. Zwei SP-Politikerinnen listen in einem Beitrag von A bis Z auf, wo noch viel Luft nach oben ist, bis Frauen gleichberechtigt oder gleich behandelt sind. Apropos Behandlung: es war wohl eine Bieridee, als SVP-Nationalrat ausgerechnet am Frauenstreiktag im Strassencafé zu sitzen. Neben durchaus ernsthaften verbalen Debatten endete es mit dem, womit zu rechnen war: Einer Bierdusche für Thomas Matter. Auch wenn ich solche Attacken überschäumender Angriffslust nicht billige, es hätte durchaus schlimmer kommen können. Man stelle sich vor, er wäre mit einem klebrigen Süssgetränk übergossen worden… mit ein paar Handgriffen aufgestellt und in der Sommerhitze rasch getrocknet stabilisiert, wäre die Irokesenfrisur perfekt gewesen.
Beim Thema Frisuren (für Trainer Petkovic ein Menschenrecht!) sind wir bereits bei einer der Kernkompetenzen unserer Schweizer Fussball-Nationalmannschaft angekommen, also neben exklusiven Luxusschlitten und Tattoos. Ah ja, Selfies können sie auch. Fussball heisst so, weil, wer mitspielt, mit dem runden Leder irgendwie so rumginggen will, dass am Schluss ein Sieg daraus resultiert. Das hat sich offenbar seit meinen eigenen Grümpierfahrungen grundlegend geändert, wenn ich Captain Granit Xhaka zuhöre, der sagt: «Wir hatten nicht genügend Spieler, die den Ball haben wollten.» Schwach wie eine Flasche leer. Da kann ich nur sagen: «Hey, Petkovic, wechsle sofort den Gardisten Imholz ein – der will den Ball, sogar in Gardeuniform und Stiefeln mit Gamaschen brennt er für Fussball.» Einzig den Säbel müsste er weglegen. Ist zu unpraktisch beim Rennen, umsäbeln kann man zur Not aber auch effizient mit Grätschen. Und dann würde die Nati zwar auf 4.-Liga-Niveau kicken, aber mit viel Herzblut. Ich habe fertig.
Millionen von Menschen schockiert und bewegt hat das Drama um den dänischen Fussballer Christian Eriksen. Während des Spiels hörte sein Herz auf zu schlagen, und er brach zusammen. Mit viel Glück konnte er reanimiert werden und befindet sich auf dem Weg zur Besserung. Verstörend war, wie die Kameras draufhielten, als man mit Beatmen und Herzmassage um das Leben des Spielers rang oder als die Partnerin Eriksens über die Banden kletterte und aufs Feld kam. Die Mannschaftkollegen nahmen Eriksen in die Mitte und schirmten die Szene ab. Dieses Bild wird die EM ikonografisch prägen, es hat sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Johanna Di Blasi nennt es eine «Mauer der Vulnerabilität». Ein nachdenklicher und besinnlicher Beitrag, der schonungslos den Abgrund offenlegt, wie eine gamifizierte Gesellschaft die Unterbrechungen durch den Tod nicht duldet.
Über Leben und Tod von unzähligen Menschen entscheiden Präsidenten wie Biden und Putin. Mit grosser Spannung schaute die Welt auf das Treffen der beiden Supermächte in Genf. Immerhin haben sich die beiden in Zeiten von social distancing öffentlich die Hand gereicht und anschliessend nette Dinge über den je anderen gesagt. Das ist schon mal was. Bleibt zu hoffen, dass sie sich hinter den Kulissen auf Dialog verständigt haben. Bundesrat Guy Parmelin ist zu staatsmännischer Höchstform aufgelaufen und hat ihnen je eine Uhr geschenkt. Bleibt für den Weltfrieden zu hoffen, dass Biden und Putin nicht nur am Handgelenk verlässlich ticken.
Mehr als nette diplomatische Dinge sagen Jugendliche über die Kirche. Zuerst hat es mich wie immer genervt, als auf dem Handy Blick TV aufpoppte. Und dann habe ich gestutzt, denn das Thema war Kirche. Nanu, Blick TV und Kirche? Erstaunt nahm ich dann sehr differenzierte, kritische und trotzdem wohlwollende Stimmen der jungen Generation zur Kenntnis, dass die Kirche Potenzial hat. Kurzerhand griff ich zum Telefon und wollte von der Projektleiterin wissen, wo sie diese Jugendlichen gefunden hat, wie ausgerechnet das Thema Kirche aufs Tapet gekommen ist und was sie zum Resultat meint. Warum ich auch Bischöfen ab sofort Blick TV ans Herz lege (Mindestens diese Sendung…), lesen Sie hier.
Wer sich zu einem Gespräch ins SRF-Studio begibt, bewegt sich in vermintem Gelände, vor allem wenn man Bischof ist. Mit seinem Charme und seinem Humor punktete unser Bischof Joseph Maria auf alle Fälle schon am Empfangsschalter. Wie Moderatorin Olivia Röllin ihm über Gott, Bizeps und Opus Dei auf den Zahn fühlt, erfahren Sie in «Sternstunde Religion» am Sonntag um 10 Uhr.
Ich wünsche Ihnen spannende Fussballspiele, kühles Bier und ebensolchen Kopf, fröhliche Gesellschaft - und einen gesegneten Sonntag.
Arnold Landtwing
Informationsbeauftragter Generalvikariat
Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.
Kommentare anzeigen