Segen und Unheil
Mit dem morgigen Auffahrtsfest wird vielen von uns ein verlängertes Wochenende beschert. Deshalb schicken wir unseren Newsletter schon heute mit auf den Weg in die hoffentlich halbwegs trockenen und sonnigen Tage.
Eli mit Jill und Mailin mit Andrea sei dieses «Grüss Gott Zürich» gewidmet. Vier junge Frauen, zwei Paare, die sich lieben. Denen auch der Glaube wichtig ist und ihre Beziehung zur Kirche. Die bisher aber immer wieder von ihrer Kirche zu hören bekamen, dass ihre Liebe Sünde sei. Bis sich vorgestern der Zürcher Theologe Meinrad Furrer traute, diesen und weiteren lesbischen und schwulen Paaren öffentlich den Segen Gottes zuzusprechen.
Trotz vieler Kameras und Blitzlichter herrschte doch eine feierliche Ruhe rund um den Pavillon am Platzspitz. Dass hier etwas Spezielles geschah, war förmlich spürbar. Keinerlei Jahrmarktstimmung, vielmehr gespannte Ernsthaftigkeit. So hab zumindest ich den Anlass erlebt.
Sicher, man darf auch Fragezeichen setzen, wie dies Bischof Joseph im Beitrag von 10vor10 tat. Ist diese öffentliche Protestform dem Anliegen angemessen? Man kann geteilter Meinung sein, die Frage muss diskutiert werden. Aber auch die Gegenfrage: War vielleicht genau diese öffentliche Form (die es im ganzen deutschsprachigen Raum an rund 100 Orten gab) notwendig oder gar überfällig, damit endlich etwas in Bewegung kommt?
Wichtig scheint mir vor allem, dass wir als Kirche offen und ehrlich darüber reden. Dass alle Aspekte beleuchtet werden und niemand vom Dialog ausgeschlossen wird. Dass wir heute überhaupt darüber nachdenken, wie dieser Prozess konstruktiv gestaltet werden kann und nicht über drohende Sanktionen, Verbote oder Amtsenthebungen streiten, ist schon ein gewaltiger Fortschritt. Stellen wir uns nur vor, diese Segensfeier hätte vor einem Jahr noch unter einem anderen Bischof stattgefunden. Ein Unterschied wie Tag und Nacht.
Wer am Montagabend nach dem Beitrag von 10vor10 über die Segensfeier zur ARD umgeschaltet hat, erlebte ein düsterstes Kontrastprogramm. Die Dok-Sendung «In Gottes Namen» berichtete ausführlich über den vielleicht schlimmsten (bisher bekannt gewordenen) Missbrauchsfall in der deutschen Kirche, wo in Speyer Ordensschwestern in einem Kinderheim über Jahre einen regelrechten Zuhälterring für pädophile Priester und Politiker betrieben. Ein einziges Bild des Grauens in menschliche Abgründe, das die Kirchenleitung über Jahre und Jahrzehnte vertuschte und jeden Versuch einer Aufklärung verschleppte.
Der heutige Bischof brach angesichts dieses Ausmasses an Verbrechen und dem Leid der Opfer zusammen und landete in der Nervenklinik, der junge, neue Generalvikar kann auch nur seine Fassungslosigkeit zum Ausdruck bringen (was er meines Erachtens glaubwürdig tut!) Symptomatisch für den Zustand einer Kirche, die es bisher nie schaffte, offen und ehrlich über Sexualität zu sprechen; einer Kirche, die im Wahn verhärtet ist, sie könne alles Unbändige, Queere, Berauschende wie Verletzliche am Sex kontrollieren und verdrängen. Und die glaubt, alles unterdrücken zu müssen, was nicht ins hehre Bild passt. Man kann mir jetzt entgegenhalten, die Verbrechen von Speyer hätten doch gar nichts mit der Segensfeier in Zürich zu tun. Ich glaube hingegen, dass da sehr wohl ein innerer Zusammenhang besteht, über den wir in der Kirche (und auch in anderen Bereichen der Gesellschaft) dringend sprechen müssten – und dann auch die Konsequenzen zu ziehen hätten.
Mit diesem dunklen Kapitel wollen wir es vor dem Fest von Christi Himmelfahrt aber nicht bewenden lassen, schliesslich gibt’s neben der Segensfeier noch mehr Erfreuliches zu berichten. Erstmals findet am Freitag, 28. Mai, im Kanton Zürich die «Lange Nacht der Kirchen» statt, ökumenisch von den grossen Kirchen getragen. Besucherinnen und Besucher haben die Chance, Kirchenräume ganz neu zu erleben, Unbekanntes zu entdecken, Altbekanntes im neuen Licht zu sehen. Im ganzen Kanton sind Kirchen von 18 Uhr bis Mitternacht geöffnet. Halten Sie sich diesen Abend frei und freuen Sie sich auf Überraschungen.
Für die Katholische Kirche im Kanton Zürich dürfte auch die jüngste Video-Botschaft von Papst Franziskus eine echte Herausforderung darstellen, die ziemlich unbequem ist: Er spricht dort Klartext über aufgeblähte Finanzmärkte und ungebremste Spekulation einerseits und die Realwirtschaft in der Corona-Krise auf der anderen Seite. Seine Forderung: Finanzmärkte müssten «strikte» reguliert werden, damit nicht am Schluss wieder die Armen für die Folgen zahlen. Was heisst das für uns in Zürich, die wir doch nicht unwesentlich vom Paradeplatz aus regiert werden und auch gut davon leben?
40 + 50 = unendlich. Diese ganz und gar unökonomische Rechnung stellt Pastoralamtsleiter Rudolf Vögele an. Er zählt Fastenzeit und Osterzeit zusammen und erhält als Summe das Pfingstereignis, das uns die unendliche Wirklichkeit des Geistes Gottes eröffnet. Von dieser himmlischen Heilsökonomie, die eben nach anderen Gesetzen als Geld, Macht und Profit funktioniert, sollten wir uns als Kirche immer wieder neu herausfordern und befruchten lassen. Immer unter der bereits vom Apostel Paulus aufgestellten Prämisse: «Es bleiben diese drei: Glaube, Hoffnung, Liebe. Das grösste unter ihnen ist die Liebe.» (1. Korintherbrief Kapitel 13)
Womit wir wieder bei Eli mit Jill und Mailin mit Andrea wären. Ihnen wünsche ich Erfüllung in ihrer Liebe. Möge sie ein Segen für viele sein.
Beste Wünsche für den Auffahrtstag und ein erholsames langes Wochenende wünscht
Simon Spengler
Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.
Rolf Anliker
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