Queere Kirche von oben bis unten
Fangen wir oben an, das heisst für uns also beim Papst. Der hat bekanntlich seine Leitlinien für den «synodalen Prozess» der Weltkirche vorstellen lassen. (hier das Dokument im Original, Zusammenfassung auf kath.ch)
Um einen neuen Stil soll es gehen, um mehr Aufeinander-Hören, mehr Miteinander-Reden. Also Bischöfe und Kleriker mit dem Kirchenvolk in Kontakt treten, die Hierarchen sollen mit den Lakaien, sorry, den Laien, den Austausch suchen und zuhören, was die zu sagen haben. Und danach entscheiden die Hierarchen an ihrer eigenen Synode, was daraus zu machen sei – und am Schluss entscheidet der Papst persönlich und allein über die Vorschläge der Hierarchen. Über «konkrete Fragen» soll aber erst mal nicht geredet werden, das könne dann später kommen. Ist das wirklich synodal, oder nicht vor allem ziemlich queer?
Optimistinnen und Optimisten glauben, darin eine jesuitische Strategie zu entdecken, die durch langes «Unterscheiden» sich einer neuen Erkenntnis annähert, welche dann irgendwann zu einer neuen Wirklichkeit führen könne, zum Beispiel zu einem neuen Konzil, auf dem dann die «konkreten Fragen» auf den Tisch kommen könnten. Lesenswert für diese Interpretation der Beitrag des Kirchenrechtlers Wolfgang Rothe.
Pessimisten – zu denen ich mich eher zähle – sehen primär die Absage, die drängenden Probleme wie Frauenfrage, Verständnis des Weiheamts und die tiefen Wurzeln des Missbrauchs in der hierarchischen Struktur der Kirche endlich anzugehen. So wird das nix, möchte ich Bruder Franziskus zurufen, wenn er mich denn hören könnte. Ohne Verabschiedung von der vermaledeiten Triade von «Macht – Weiheamt – Männlichkeit» ist wirkliche Erneuerung der Kirche nicht zu haben, da können wir noch so lange stilvollendet miteinander reden und beten. Irgendwann müssen wir halt auch mal auf den Heiligen Geist und seine Zeichen der Zeit hören und handeln, statt nur über ihn zu singen. Lesenswert für diese Interpretation der Beitrag des Theologen Daniel Bogner.
Gehen wir eine Stufe tiefer, zu unseren Bischöfen. Hier ist nach wie vor völlig unklar, wie ein synodaler Prozess der Schweizer Kirche aussehen könnte. Klar ist nur, dass fast alle Bischöfe irgendwas anderes wollen, alle Regionen ihren queeren Sonderzug fahren, dass es also keinen gemeinsamen Prozess geben wird. In der Romandie will man die Klimafrage ins Zentrum rücken (konkret sowie symbolisch), im Bistum Basel eine wissenschaftliche Befragung durchführen, in Chur ein Jugendtreffen organisieren (17. Oktober). Ist ja alles gut und recht. Aber hat irgendwer einen Fahrplan?
Immerhin soll es Gerüchten zufolge jetzt doch eine Koordination der deutschschweizer Bistümer geben (offiziell ist bis dato aber noch nichts bekannt), vielleicht sogar eine gemeinsame Befragung des Kirchenvolks. Hoffentlich bewirkt die dann, sollte sie tatsächlich kommen, mehr als die Befragung vor Amoris laetitia, bei der sich das Schweizer Kirchenvolk schon 2013 äussern durfte zu Fragen rund um Ehe, Beziehung und Sexualität (knapp 25'000 Kirchenmitglieder beteiligten sich!) Hat irgendwer je wieder was davon gehört? Die Antworten ruhen im Frieden der tiefen Schubladen bischöflicher Archive.
So, jetzt aber zu uns hier in Zürich. Da hat sich doch Bischof Joseph am Seelsorgekapitel von Mittwoch mit dem violetten Button «Gleichberechtigung. Punkt. Amen» geschmückt.
Diese Aktion fordert die «gleichberechtigte Teilhabe von Frauen» in der Kirche. Ist das nun ein bewusstes Statement des Bischofs oder nur ein queerer Gag? Und was stellt sich Bischof Joseph konkret unter dieser «gleichberechtigten Teilhabe» vor? Sind wir gespannt, was folgt.
Das Zürcher Seelsorgekapitel, also die Versammlung aller Seelsorgenden im Kanton, nominierte bekanntlich ihren Kandidaten für den Synodalrat, Martin Stewen setzte sich durch. Dass aber gemäss Kirchenordnung nur ein Geweihter (also Priester oder Diakon) aus den Reihen der Seelsorgenden im Synodalrat Einsitz nehmen darf, also alle verheirateten Gemeindeleiter ausgeschlossen sind und alle Frauen sowieso, war auch diesem Seelsorgekapitel anno domini 2021 keine Silbe wert. Das ist nun echt queer! Nicht nur, dass der alte Zopf immer noch gilt, sondern vor allem, dass sich offenbar niemand daran stört – zumindest nicht vernehmbar.
Ganz generell frage ich mich, ob nicht auch wir in Zürich uns noch Gedanken zu machen haben, was «synodal» für uns bedeutet. Wir sind ja – zurecht – stolz auf unser «duales» System. Aber dual ist noch lange nicht synodal! Je nach Interpretation kann dual sogar ein ziemlicher Bremsklotz sein auf dem Weg zur synodalen Kirche. Muss natürlich nicht sein, kann aber. Es gäbe also noch viel zu tun – packen wir es an?
Queer auch eine andere Erfahrung der letzten Wochen: Für unsere Serie zu «Ehe für alle» sucht unser Team bisher vergeblich nach einem Autor oder Autorin aus den Reihen unserer Seelsorgenden für einen Beitrag, der sachlich, differenziert und ohne billige Polemik ein Nein begründet. Die Angefragten geben zwar off the record zu, Nein zu stimmen, aber niemand will das bisher öffentlich sagen und die Argumente offenlegen. Ich gebe zu, für die «Ehe für alle» zu argumentieren ist leichter, dagegen provoziert weniger Beifall. Mich jedenfalls würden die Gegenargumente interessieren. Aber nur, wenn sie nicht billig auf «die Bibel» verweisen. Denn was die Bibel zu Homosexualität (nicht) sagt, können Sie im Beitrag der Theologin Sabine Biberstein bereits lesen.
Meine eigene Einstellung dazu ist klar und öffentlich, aber wenn ich sehe, wie die «Ehe für alle» vom Kommerz vereinnahmt wird, sträuben sich meine Nackenhaare. Ob Ikea auch dort, wo viele ihrer Möbel herkommen, also in Osteuropa, für «Ehe für alle» wirbt?
Nach diesen «queeren» Gedanken rund ums kirchliche Wochengeschehen wünsche ich uns allen nun «fadegrad» einen gesegneten und hoffentlich erholsamen Sonntag.
Ihr Simon Spengler
Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.
Kommentare anzeigen