Preise zu vergeben
Fast jeden Tag werden Menschen mit Preisen oder Auszeichnungen geehrt, aber auch abgestraft. Denn nicht jede Prämierung ist positiv konnotiert. So geht der Award «Sexist man alive 2021» der feministischen Zeitschrift EMMA an Papst Franziskus. Wahrlich starker Tobak! Aus meiner Sicht eine sehr harte, ja unfaire Beurteilung des Papstes, gibt es doch «viel Gutes zu sagen» über diesen Mann, wie es EMMA in der Einleitung selber schreibt. Er quartiere sich im Gästehaus ein, trage Sandalen und eine schlichte weisse Papstsoutane und erteile damit dem päpstlichen Prunk eine Absage. Er suche die Nähe des Volkes, nutze seine Autorität gegen die Armut und zur Kapitalismuskritik, gegen den Rassismus und für die Rettung des Klimas.
Gerade in diesen Tagen brachte sich Franziskus lautstark ein zum Klimagipfel, der noch bis zum 12. November in Glasgow stattfindet: «Der Schrei der Erde und der Armen müsse endlich gehört werden», sagte er am letzten Sonntag beim Mittagsgebet auf dem Petersplatz. Und in einer Botschaft an den Klimagipfel bekennt sich Franziskus als Staatschef des Vatikans zum Null-Emissions-Ziel bis zum Jahr 2050, was den Ausstoss von Treibhausgasen betrifft. Eine wichtige Rolle weist er den Glaubensgemeinschaften zu auf dem Weg von einer «Kultur des Wegwerfens zu einer Kultur der Pflege des gemeinsamen Hauses», was sich die Katholische Kirche im Kanton Zürich ebenfalls auf die Fahnen geschrieben hat.
Zurück zum EMMA-Award, der der katholischen Kirche auf brutale Weise den Spiegel von aussen hinhält. Die Jury begründet die «Auszeichnung» vor allem damit, dass Papst Franziskus der Chef des ältesten Männerbundes der Welt sei, eines Systems, das Frauen als Menschen zweiter Klasse behandle und den epidemischen, strukturellen Missbrauch von Kindern, Jugendlichen und Frauen nicht unmissverständlich bekämpfe, sondern weiterhin Täter und Mitwisser schütze. Bis heute hätten hier weder Papst noch der Vatikan eingegriffen, «sondern die Basis hat seine Heiligkeit dazu zwingen müssen». So ganz falsch liegt EMMA in meinen Augen dann doch nicht.
Er hat keinen Preis erhalten, war aber mit acht anderen Menschen nominiert für den diesjährigen Prix Courage der Zeitschrift Beobachter und verdient grossen Respekt: Albin Reichmuth. Er wurde als Kind von einem katholischen Pfarrer während sechs Jahren sexuell missbraucht, hat nach seiner Pensionierung eine Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen und will erreichen, dass die katholische Kirche endlich Verantwortung übernimmt für Taten, aber auch für alle Folgeerscheinungen. Zum Reden statt zum Schweigen ermutigt auch das Werk der Filmemacherin Alice Schmid, das letzte Woche seinen Kinostart hatte. Die Regisseurin hat darin ihren eigenen sexuellen Missbrauch aufgearbeitet.
Die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) hatte 2019 beschlossen, die Geschichte sexueller Ausbeutung im Umfeld der katholischen Kirche in der Schweiz mit einer unabhängigen Studie aufzuarbeiten. Im April dieses Jahres sagte Bischof Bonnemain gegenüber der Zeitschrift Beobachter, dass er die Ungeduld der Opfer verstehe und in diesem Sommer eine Pilotstudie beginne. Nach dem aktuellen Zeitplan der SBK startet das Pilotprojekt erst im kommenden Frühling und soll ein Jahr dauern. Erst dann, also im Frühjahr 2023 werde entschieden, wie die eigentliche Untersuchung durchgeführt wird und wer sie bezahlt. «Für manche Opfer von Missbräuchen in den 1950er- und 1960er-Jahren dürfte das zu spät sein», monierte vorgestern ein Artikel im Beobachter.
Preiswürdig ist diese schleppende Aufarbeitung von Missbrauch in der katholischen Kirche durch die SBK nicht. Ebenso wenig die Massregelung des Redaktionsleiters von kath.ch von letzter Woche. Dass die Bischöfe sich öffentlich von einem im März erschienenen Artikel auf kath.ch per Medienmitteilung distanzieren, ist das eine, wie sie es begründen, mutet noch seltsamer an: «Zum Inhalt der Berichterstattung kann sich das Präsidium der SBK mangels umfassender Kenntnis nicht äussern; es missbilligt jedoch klar diese Art von Berichterstattung.» Ich würde da eine professionellere und reifere Streitkultur erwarten, die solche Unstimmigkeiten erst mal intern zu lösen versucht.
Sie haben keinen Preis oder eine Auszeichnung erhalten, haben aber grosse Anerkennung verdient. Jene Menschen zum Beispiel, die sich unermüdlich für den interreligiösen Dialog, für Versöhnung und konkrete Begegnungen einsetzen. Morgen beginnt die Woche der Religionen und bietet ein überaus attraktives Angebot. Oder jene, die sich speziell um von Armut betroffene, randständige, einsame und kranke Menschen sorgen und nach Ursachen und Rahmenbedingungen für diese Ungleichheit und Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft forschen und diese aufzeigen. Letzte Woche tauschten sich Expertinnen und Experten am Caritas-Armutsforum aus. So auch die Zürcher Nationalrätin Li Min Marti, die auf den speziellen Wert der sogenannten Sorgearbeit hinweist.
Am Martinitag kommende Woche zieht ein Diakonie-Tag Bilanz zum ökumenischen Corona-Manifest, mit dabei auch Regierungsrat Ernst Stocker.
Christoph Sigrist, der geistige Vater des Martini-Anlasses im Zürcher Grossmünster, zu Kernfragen und Leitsätzen des Manifests: «Die Kirchen wollen den Spaltungstendenzen in der Gesellschaft entgegentreten und verschiedene Welten in Kontakt bringen. In der Corona-Krise hat sich die gesellschaftspolitische Relevanz der Kirchen verdichtet. Welcher Art die Bedeutung sein kann, hat das Manifest aufgezeigt.»
Grosse Bedeutung kommt dem Synodalen Prozess zu, den Papst Franziskus Mitte Oktober eröffnet und alle Katholikinnen und Katholiken aufgerufen hat, daran teilzunehmen. Dieser Prozess scheint auch in der Schweiz Fahrt aufzunehmen. In den deutschschweizer Bistümern läuft eine Umfrage, vorgestern fand an der Paulus Akademie eine Tagung zur Synodalität statt und an der gestrigen Sitzung der Zürcher Synode hat deren Präsident Felix Caduff angekündigt, dass zum Synodalen Prozess eine Stellungnahme vorbereitet werde.
Der eigentliche Paukenschlag der Sitzung war aber die nicht preiswürdige Ankündigung von zwei Synodalen, dass sie die Rechtmässigkeit der Ersatzwahl in den Synodalrat in Frage stellen und einen Rekurs ankündigten. Wie ihre Begründung des Rekurses genau lautet, bleibt unklar und muss abgewartet werden, bis die beiden den Rekurs schriftlich einreichen. Offensichtlich geht es ihnen nicht um die Person von Vikar Martin Stewen, sondern um das Wahlprozedere und um die Frage, ob die freie Wahlmöglichkeit des Parlaments beschnitten wurde. Allenfalls ein Fingerzeig dafür, dass das in der Kirchenordnung formulierte Sonderrecht des Seelsorgekapitels, der Synode einen Kandidaten für die Exekutive der Körperschaft aus dem geistlichen Stand vorzuschlagen, im parlamentarischen System ein Fremdkörper darstellt. Einschneidend für den Synodalrat und Martin Stewen ist auf jeden Fall, dass der Vikar bis zum Ende der Rekursfrist und bis zum Entscheid über den allfälligen Rekurs sein Amt nicht antreten kann.
Sehr grosse Bedeutung kommt übermorgen Sonntag auch dem dreitägigen Besuch des Kardinalstaatssekretärs in der Schweiz zu. Pietro Parolin, die Nummer zwei des Vatikans, ist vom Bundesrat eingeladen und wird u.a. am Montag die Synode der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz besuchen. Allzu gerne würde ich mithören, was der katholische Bundesrat Ignazio Cassis als Aussenminister im Béatrice-von-Wattenwyl-Haus in Bern seinem vatikanischen Amtskollegen zum Synodalen Prozess mit auf den Weg nach Rom gibt.
Ich wünsche ein farbenprächtiges und gesegnetes Herbstwochenende.
Herzlich
Aschi Rutz
Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.
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