Höchste Zeit, aufrecht zu gehen
Ich startete im HB Zürich mit Espresso und Gipfeli und suchte meine Gruppe auf dem Perron und im Zug vergebens. Ein Handyanruf genügte: Ich habe offensichtlich ein letztes Info-Mail zum Ausflug übersehen, die anderen waren schon eine halbe Stunde in einem anderen Zug gen Osten unterwegs.
Ich machte es mir im Abteil gemütlich, checkte ein paar Mails, liess meine Augen auf der vorbeiziehenden Landschaft weiden. Eher zufällig fiel mein Blick auf die herumliegende 20 Minuten-Ausgabe mit dem Bild einer jungen Frau auf dem Cover. Der Artikel thematisiert das Oberste Gericht in den USA und dessen Entscheid, das grundsätzliche Recht auf Abtreibung abzuschaffen. Rebecca, eine junge Zürcherin und Katholikin, freut sich über das Urteil. Für sie ist klar, dass Abtreibungen Menschenrechtsverletzungen sind: «Kinder werden ermordet.»
Wer will es der jungen Frau und «Marsch für s’Läbe»-Teilnehmerin verargen, wenn sie so denkt, wie es ihr Papst Franziskus vorgibt. Dieser hatte am Montag in einem Interview mit der Agentur Reuters die Abtreibung erneut mit Auftragsmord verglichen. Diesem «schockierenden» Vergleich des Papstes widerspricht der Schweizerische Katholische Frauenbund entschieden. Abtreibung sei kein Verbrechen, die Aussagen hingegen von Franziskus eine Diffamierung von Frauen, schreibt das Frauen-Netzwerk mit 120'000 Mitgliedern.
Die wiederholte Aussage von Papst Franziskus drückt aus, was er von Frauen hält: Herzlich viel, wenn es um Mütter und Dienerinnen geht, viel weniger hingegen, wenn er es mit Frauen zu tun hat, die gleichberechtigte Partnerinnen sein wollen. «Ohne Frauen keine Kirche», betitelte er 2016 eines seiner Bücher. Und er will weitere hochrangige Posten in der Kurie mit Frauen besetzen. So kündigte er am Mittwoch an, zwei Frauen in die Kommission zur Auswahl von Bischöfen in die entsprechende Kongregation zu berufen. Was eine positive Mitteilung aus dem Vatikan sein sollte, machte Franziskus mit der folgenden, zutiefst paternalistischen Aussage gleich wieder zunichte: Er sei offen, Frauen eine Chance zu geben. Worauf Christiane Florin, Redaktorin «Religion und Gesellschaft» beim Deutschlandfunk, umgehend twitterte: «Weiber haben schon soviel verbockt in der römisch-katholischen Kirche! Und trotzdem will uns der Papst eine zweite Schangse geben! Danke, danke, danke, Franz!»
Den Anschluss an meine Reisegruppe habe ich gestern in Kreuzlingen dann doch noch gefunden. Eine entschleunigende Schifffahrt mit Frühstück führte uns rheinabwärts nach Ermatingen, wo die Kirche von reformierten und katholischen Christen paritätisch genutzt wird. Nach einer lockeren Weindegustation im «Wy & Kafi», dem ehemaligen Mesmerhuus, führte uns ein kurzer Spaziergang am Untersee entlang nach Mannenbach-Salenstein zum Zmittag. Im Gespräch in meiner männlichen Debattier-Gruppe dominierte schon bald das Frauenbild der Kirche und damit auch das Interview von Bischof Bonnemain mit «reformiert». Auf die Frage, ob in 50 Jahren auch Frauen zu Priesterinnen geweiht werden, antwortete er: «Bis in der Kirche eine andere Überzeugung reifen könnte, braucht es sicher länger.» Allein diese Aussage lässt tief blicken. Noch gravierender ist aber seine Rückmeldung, wie er persönlich zum Frauenpriestertum steht. «Ich will dazu keine eigene Meinung haben, sondern bin eins mit der Überzeugung der Kirche.» Aus, fertig, Amen!
Solche Aussagen zeigen, wohin der im Herbst von Papst Franziskus letzten Jahres initiierte Synodale Prozess hinführen wird. Wie kann oder soll sich etwas ändern, wenn Bischöfe sich verbieten, eine eigene Meinung zu haben und sich damit dem von ihnen selbst angestossenen Entwicklungsprozess verschliessen?
Daniel Bogner, Moraltheologe und Ethiker an der Universität Fribourg, ist überzeugt, dass «eine bestimmte Kultur des Kircheseins an ein Ende gekommen ist. So meint er im Interview mit dem Magazin credo, das in diesen Tagen im Briefkasten der kirchlichen Mitarbeitenden und Behördenmitgliedern liegt, auch mit Blick auf die Sexuallehre der Kirche: «Wir brauchen eine neue Kirchenverfassung mit wirksamer Machtkontrolle und verbindlichen Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechten. Das geht viel weiter als die schöne ‘Synodalität’. Wenn wir an einen Gott glauben, der Männer wie Frauen mit gleicher Würde geschaffen hat, wie können wir uns da eine Kirche leisten, die einen Grossteil der Menschen und Frauen besonders wesentliche Beteiligungsrechte abspricht?»
Ein Abstecher ins einzige deutschsprachige Museum zur napoleonischen Geschichte auf dem Schloss Arenenberg, einer der schönsten Aussichtspunkte der Bodenseeregion, bildete den Abschluss unseres Sommerausflugs. Wir nahmen zur Kenntnis, wie Hortense de Beauharnais, Stieftochter Napoleons I., das Schloss als Exilsitz ausbaute, mit ihrem Sohn Louis lebte und dieser später als Napoleon III. der letzte Kaiser Frankreichs wurde. Zusammen mit meinen Arbeitskolleginnen und -kollegen erreichte ich wohlbehütet und sicher wieder Zürcher Boden.
Schliessen will ich mit einem Ausblick auf die Wanderausstellung zu Metall-Ikonen von Josua Boesch zwischen dem 10. und 23. Juli. Der Goldschmied, reformierte Pfarrer und wortgewaltige Eremit war ein ökumenisch offener Grenzgänger und eng mit katholischen Theologen befreundet. Von ihm stammt folgender Satz, der uns begleiten und ermutigen möge: «Wir haben 2000 Jahre lang vom Gekreuzigten gesprochen, es ist höchste Zeit, dass wir aufrecht gehen (auferstehen), dass etwas Neues beginnt.»
Ich wünsche Ihnen ein sommerliches Wochenende.
Herzlich
Aschi Rutz
Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.
dein heutiger text ist auch in bern gut angekommen. gut, dass ihr immer wieder auf die längst fällige gleichstellung der frauen und das immer noch grundsätzliche manko hinweist. ich war entsetzt über das interview eures bischofs im 'reformiert'. ich war von anfang an in bezug auf den mann hin und her gerissen. mal war er mir sehr sympathisch, mal habe ich ihm nicht über den weg getraut. immer mehr zeigt es sich, dass er dogmatisch und kirchenrechtlich fixiert ist. auf diese weise entstehen keine fundamentalen veränderungen. für den guten alten papst franziskus in rom gilt das gleiche. diese art von männern ist in der einzelbegegnung wohl seelsorgerlich offen, und wenn es ums grundsätzliche geht, sind sie steinhart.
macht weiter - ihr letzten mohikaner.
markus friedli
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