Grüss Gott Zürich Der Berg ruft!
«Viele Wege führen zu Gott, einer geht über die Berge», so lautet die Inschrift eines Gipfelkreuzes in der Arlberg-Region, die mich auf einer Skitour mit Freundinnen erfreute. Die Worte stammen von Reinhold Stecher. Er war begeisterter Skifahrer, Bergsteiger, Wanderer – und hochangesehener Bischof der Diözese Innsbruck.
Auch einige Schweizer Bischöfe und Domherren scheinen bergaffin zu sein. Weihbischof Alain de Raemy besass ein Berg-Chalet, das in dieser Woche zu Berümtheit kam - als Schauplatz für einen Missbrauch. Der Mitbesitzer des Chalets, Paul Frochaux, inzwischen Domherr in Freiburg, soll dort von einem 17jährigen Jungen Oralsex verlangt haben. Was mich als Mutter wirklich abstösst: Die alleinerziehende Mutter des Jungen hatte ihren damaligen Pfarrer gebeten, ihrem Sohn als väterlicher Freund beizustehen.
So fragte die «Rundschau» dann am Mittwoch: «Sexvorwürfe gegen Domherrn: Was ist los in Freiburg?», auch der «Tagi» berichtete. Michael Meier kommentierte und sprach von Doppelmoral, Lüge und Vertuschung mit Blick auf die Bistumsleitung. Und wie reagiert Bischof Charles Morerod, der gerade den bisher schlimmsten Missbrauchsskandal in seinem Bistum erlebt? Bis gestern Abend gar nicht. Er liess ausrichten, er sei in den Ferien. In welchem Chalet er, der passionierte Slalom-Skifahrer, wohl weilt?
Dann gab Morerod gestern Abend ein Telefoninterview auf RTS, dem Westschweizer Radio und Fernsehen, und räumte ein, einen Fehler begangen zu haben, in dem er den Hinweisen auf den Missbrauch nicht früh genug nachging.
In seiner «Schweizer Illustrierten»-Kolumne nennt Peter Rothenbühler nun Morerod in einem Atemzug mit dem Lyoner Kardinal Philippe Barbarin, der dem Papst seinen Rücktritt angeboten hatte, weil er Missbrauchsfälle zum Schutz der Kirche nicht öffentlich gemacht hatte. «Nach einer ersten Verurteilung wegen dieser Unterlassung wurde Barbarin gerade kürzlich in zweiter Instanz freigesprochen, aber seinen Kardinalshut gab er trotzdem ab,» schreibt Rothenbühler an Morerod. «Eine ehrenhafte Haltung. Die eigentlich auch Ihnen gut anstehen würde.»
Eigentlich ist ein regenreicher Sommer Saison für dreckige Schlammlawinen, aber in diesem Winter löst die Kirche selbst die Lawine aus. Kein Sturm, kein Gewitter, keine sintflutartigen Regenfälle sind schuld. Und wie das so ist: Eine ordentliche Lawine reisst alles mit und verursacht Schäden. Zum Beispiel diesen: Heute früh veröffentlichte das Statistische Amt Zürich die Bevölkerungsstatistik 2019, die auch die Mitgliederzahlen der Kirche zeigt. 5`600 Mitglieder hat die katholische Kirche im vergangenen Jahr verloren – durch Abwanderung, Tod und Kirchenaustritt. Über Gründe für den Austritt muss niemand mehr lange sinnieren (siehe oben).
Die Missbrauchs-Lawine hat auch in unserem nördlichen Nachbarland eine Schneise gezogen. Eine Reaktion darauf war die Anberaumung der ersten Synodalversammlung, die am vergangenen Wochenende stattfand. Aus der Schweiz waren unter anderen Daniel Kosch von der RKZ als Beobachter dabei (seine Einschätzung hier) und auch Bischof Alain de Raemy durfte die Versammlung beobachten. Die Synodalversammlung war eine Reaktion auf die MHG-Studie, die Studie über Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche Deutschlands, veröffentlicht 2018. Ein Grundlagendokument, das an der Versammlung immer wieder zitiert wurde. De Raemy gab zu, es gar nicht gelesen zu haben. Ein Schneebrett am Rande der Piste, das beobachtet werden sollte.
Manchmal möchte man wirklich flehen: «Käme doch endlich vom Berg Zion die Rettung für ganz Israel (Psalm 14)», aber der Weg bleibt voller Geröll. Auch was die Rolle der Frau in der Kirche angeht.
Doch es tut sich was: Raus aus der «Ohn-Macht», rein die Verantwortung. Kirchen-Frauen wie Priorin Irene äussern sich in unserem aktuellen Infoblatt und zeigen, was sie für Gleichberechtigung in der Kirche tun.
Und auch Annette Greber aus Gontenschwil AG, pensionierte Pflege- und Familienfrau, hat uns ihre Gedanken zur Rolle der Frauen in der Kirche zugesandt – eigentlich per Mail. Wir fanden allerdings: Das sollten alle lesen können! Danke, Frau Greber, dass wir Ihre Worte veröffentlichen dürfen.
Wenden wir uns so direkt vor den Ferien, die viele in ihren Chalets verbringen, doch der Erhabenheit der Berge zu. Wieder liefert Bischof Stecher die passenden Worte:
Die Berge schweigen - über einer lauten Welt,
die Berge ruhen - über einer hastenden Welt,
die Berge fordern - in einer verweichlichten Welt,
die Berge wärmen - in einer erkalteten Welt,
die Berge strahlen - über einer dunklen Welt.
In diesem Sinn, von uns hören Sie nach den Sportferien, herzlich Kerstin Lenz
Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.
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