Gegen das Vergessen
Die Regelung bezüglich Beerdigungen betrifft seit letzter Woche auch mich direkt, nachdem mein Schwiegervater überraschend verstorben ist und die Abdankung auf Ende Januar angesetzt ist. Er reiht sich ein in die grosse Zahl der bisher offiziell in der Schweiz (7‘904) und weltweit (rund 2 Millionen) registrierten Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19. Diese Zahlen stehen für viele leidgeprüfte Menschen – Verstorbene und trauernde Hinterbliebene. Die lose Internetgruppe „Mahnwache Schweiz“ weist in allen Kantonshauptstädten auf all die in der Schweiz verstorbenen Corona-Opfer hin. Sie tut es mit Kerzen als leuchtende Mahnmale für jedes Opfer und will mit dem lauten Protest in stiller Form auf das verfassungsmässige Recht auf Leben und Gesundheit hinweisen.
Verschärft hat sich die Situation für viele Menschen auch wirtschaftlich. So auch im Langstrassenviertel in Zürich. Sr. Ariane Stocklin vom Verein Incontro ortet seit Beginn der Hilfe mit Lebensmitteln eine zunehmende Armut und Verzweiflung. Für die täglich 250 warmen Mahlzeiten stehen vermehrt auch Familien und Kinder in der Schlange. Für das Entgegennehmen, Lagern, Aufbereiten und die Abgabe der Essenspakete und warmen Mahlzeiten sind viele Freiwillige im Einsatz. Seit Mitte Dezember sind rund 200 freiwillige Helferinnen und Helfer neu dazugekommen. Eine meiner Arbeitskolleginnen im Sekretariat, Luzia Züger, gehört auch dazu: „Ich war am 24. Dezember vor Ort und erlebte so einen ‚Weihnachts-Gottesdienst‘ der speziellen Art, den ich nicht vergessen werde.“
Nicht vergessen wird der Pastoraltheologe Leo Karrer. Er ist Ende letzter Woche im Alter von 83 Jahren gestorben. Unzählige Nachrufe sind hier nachzulesen. Was er unbestreitbar verkörperte, war die Hoffnung auf eine Erneuerung der Kirche und ein Aufleben der Synodalität, so der frühere Synodalrat Zeno Cavigelli. Ernüchtert stellt er aber fest: „Es ist bei der Hoffnung geblieben. Jetzt ist Leo Karrer, der Unermüdliche, gestorben. Aber die Hoffnung ist noch nicht ganz tot.“
Zur Erinnerung: Im Nachgang zur Konzernverantwortungsinitiative (KoVi ) verlangt in St. Gallen eine Motion, dass sich die öffentlich-anerkannten Religionsgemeinschaften an den Grundsatz der politischen Neutralität halten müssen. Nicht nur die Kirchen sehen dies anders. Für den ehemaligen Bundesrichter Giusep Nay verletzt die Motion die Religionsfreiheit der Kirchen. Religiöse Gemeinschaften seien autonom und vom Staat unabhängig. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass in diesen Tagen das Bistum Chur in einem Mail allen Priestern, Diakonen und kirchlichen Mitarbeitenden empfiehlt, sich für das Referendum gegen die Vorlage «Ehe für alle» zu engagieren. Ausgerechnet, nachdem es sich im Herbst anders als Bischofskonferenz und zahlreiche Pfarreien vehement gegen das kirchliche Engagement zur KoVi in Szene gesetzt hatte.
In seinem Hirtenwort zum kommenden Sonntag schreibt Bischof Felix Gmür unter dem Stichwort «Öffentlich»: «Der Glaube ist auch öffentlich, und zwar gerade deswegen, weil er lebensrelevant ist. Das soll und darf die Öffentlichkeit wissen. Deswegen ist die Kirche immer öffentlich, bis hin zu öffentlichen Meinungsäusserungen zu gesellschaftlichen Fragen.»
Gegen das Vergessen. Gefragt sind engagierte und mutige Journalisten. Zum Beispiel Raphael Rauch, Redaktionsleiter vom Internetportal kath.ch, der gerade mit seiner Berichterstattung zur KoVi scharf angegriffen worden war. Es bleibt die Hoffnung, dass es so bleibt, wie er im Interview in der KirchenZeitung der Diözese Linz sagt: „Ich habe keinen Maulkorb.“
Schnee hat es nun wirklich genug. Eine Kerze mehr für einen lieben Menschen verträgt es alleweil. Ich grüsse Sie herzlich
Aschi Rutz
Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.
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