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Die Sache mit der Geduld

Informationsbeauftragter Synodalrat bis Ende November 2022
Aschi Rutz

Informationsbeauftragter Synodalrat bis Ende November 2022

Aschi Rutz
Was sich für mein katholisches Herz schmerzhaft anfühlt, fordert mein Soziologenhirn messerscharf heraus. Die Kirchen waren und sind mit ihren sinkenden Mitgliederzahlen im öffentlichen Gespräch, nachdem das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut SPI die aktuellsten Zahlen zusammengetragen und ausgewertet hat.
04. November 2022

So sind gemäss SPI im letzten Jahr schweizweit mit knapp 63 000 Personen noch nie so viele Personen aus der katholischen oder reformierten Kirche ausgetreten. Allein im Kanton Zürich hatte die katholische Körperschaft knapp 7 500 Austritte zu verzeichnen. Für die vielen Kirchenaustritte führt Urs Winter, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim SPI, auf Radio SRF1 vor allem zwei Hauptgründe an:

Einerseits sind es öffentliche Stellungnahmen und Haltungen, insbesondere der katholischen Kirche, welche die Menschen aus der Kirche treiben. Es sind Themen wie die Stellung von Frauen in der Kirche, der Umgang mit schwulen und Lesben oder mit Wiederverheirateten. Hinzu kommen auch die vielen Missbrauchs-Geschichten, die nicht enden wollen und der Umgang damit. Auf der anderen Seite zeigt die Auswertung der Daten: Vielen Menschen fehlt schlicht der Glaube oder dieser ist verdunstet. Eine untergeordnete Rolle für einen Austritt aus der Kirche spielen auch finanzielle Überlegungen. Dabei geht es – flattert die Steuerrechnung auf den Tisch – aber weniger ums Geld, sondern um die Frage: Warum soll ich eine Institution unterstützen, deren Werte ich nicht teile?

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Einweihung der Kirche Bonstetten im Jahr 2016. Foto: zVg.

Die Studien weisen keine genauen Zahlen aus, deuten aber darauf hin, dass viele Menschen in ihrer Kirche verbleiben, weil sie das soziale Engagement der Kirche schätzen: sei es die kirchliche Sozialarbeit, Gefängnisseelsorge, die Beratung von flüchtenden Menschen, die Spitalseelsorge, der Altersnachmittag, die Jugendarbeit. Hier machen die Kirchen gute Arbeit, was sowohl von Kirchen-Mitgliedern als auch von Nicht-Mitgliedern geschätzt wird.

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So meinte gestern auf Radio SRF 1 denn auch Daniel Kosch, der scheidende Generalsekretär der Römisch-katholischen Zentralkonferenz der Schweiz RKZ: «Einer Schweiz ohne Landeskirchen würde es an Organisationen fehlen, denen noch über die Hälfte der Bevölkerung angehören. Diese setzen sich für Gemeinsinn und Rücksicht auf die Benachteiligten ein und begleiten Menschen in allen Lebenslagen.»

Zur Glaubensverdunstung meinte er, dass dies dem totalen gesellschaftlichen Wandel geschuldet sei. Es würden heute viel weniger Werte und Überzeugungen «vererbt». Zudem habe Glaube mit Entscheidung, mit Freiheit zu tun. Glaubenszwang wäre nichts Gutes.

Auch mein Kollege Simon Spengler spricht auf TeleZ von einer Bewegung hin zu einer individualisierten Gesellschaft. Alle grossen Organisationen hätten Probleme, ihre Mitglieder zu halten. Betreffen würde der Mitgliederschwund der Kirchen aber nicht nur diese selber, sondern auch die Gesellschaft. An vielen Orten könne der Staat Menschen am Rande nicht mehr helfen, hier würden oft Kirchen oder mit den Kirchen verbundene Institutionen und Initiativen ein letztes Auffangnetz bieten.

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Von diesem Prozess der De-Institutionalisierung, der nicht etwas spezifisch Kirchliches ist, sprach gestern Abend auch die Religionsministerin des Kantons Zürich, Regierungsrätin Jacqueline Fehr, anlässlich einer Begegnung mit katholischen Kirchenpflegerinnen und -pflegern. Auch Parteien müssten sich auf immer weniger Mitglieder abstützen. Unabhängig davon blieben Parteien aber für eine lebendige Demokratie wichtig. Ebenso die Kirchen und die Religionen, die für Staat und Gesellschaft eine wichtige Ressource seien. Religiöse Überzeugungen würden eine wichtige Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenlebens bilden und Religionsgemeinschaften würden Leistungen von gesamtgesellschaftlichem Interesse erbringen.

In diesem Zusammenhang verwies sie auch auf die duale Struktur der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Dies ermögliche dem von der demokratisch-liberalen Kultur geprägten Kanton Zürich, mit der demokratisch organisierten Körperschaft eine verbindliche Zusammenarbeit zu pflegen. Das System der öffentlich-rechtlichen Anerkennung habe sich bewährt und soll beibehalten werden.

Allerdings: Eine zukunftsweisende Religionspolitik im Kanton Zürich bedeute, mit verfassungsrechtlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaften klare Handlungsgrundlagen zu schaffen. Finanziell stelle sich zum Beispiel die Frage, wie der heutige Staatsbeitrag an die anerkannten Religionsgemeinschaften neu verteilt werden müsse. Bettina Lichtler, Präsidentin der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen AGCK und Abduselam Halilovic, Präsident der Vereinigung islamischer Organisationen Zürich VIOZ, welche am Kirchenpflege-Anlass ebenfalls teilnahmen, regten eine Studie an, die Integrationsleistungen von nicht-anerkannten christlichen Kirchen und Muslimen aufzeigen könnte.

Mit Blick aufs Wochenende: Ab morgen lädt das Zürcher Forum der Religionen ein zur Woche der Religionen.

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Zurück zur Tatsache, dass noch nie so viele Menschen wie 2021 den Kirchen davongelaufen sind. Wie gehen die Kirchen damit um? Wie wollen sie auf den gesellschaftlichen Wandel mit Glaubensverdunstung, Entfremdung und institutionellen Entkoppelung reagieren? Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht. Wenn neue Forschungsergebnisse des SPI zu Religionstrends in der Schweiz davon sprechen, dass sich gut ein Drittel aller katholischen und reformierten Mitglieder einen Austritt aus der Kirche überlegt – im Kanton Zürich also gut 120 000 katholische Kirchenmitglieder, dann scheint mir prioritär, das Augenmerk bei jenen zu haben, die noch Kirchenmitglieder sind.

Mit Blick aufs Wochenende: Ab heute kann im Podcast «Gotte und Filterkaffee» ins aktuelle Gespräch mit Comedian Stefan Büsser reingehört werden. Er ist Mitglied der reformierten Landeskirche, sein Grossvater war Pfarrer: «Ich bin nicht aus der Kirche ausgetreten, obwohl ich nicht aktiv bin. Ich zahle meine Kirchensteuer gerne, weil ich weiss, dass die Kirchen im sozialen Bereich wahnsinnig wichtige Arbeit leisten.»

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Daniel Kosch, abtretender Generalsekretär der Römisch-katholischen Zentralkonferenz RKZ. Foto: Christian Merz/kath.ch

Auch die katholische Kirche in der Schweiz hat einen synodalen Prozess angestossen, der Missstände aufgedeckt und Forderungen nach Partizipation, Transparenz und Gleichberechtigung sowie strukturellen Veränderungen auf den Tisch gebracht hat. Die Menschen wollen nun, so bin ich überzeugt, dass diese Rückmeldungen, Ängste und Sorgen ernstgenommen und die Reformbemühungen zügig vorangehen werden. Wenn aber Bischof Joseph Bonnemain in seiner Predigt zu Allerheiligen die Gläubigen trotz dieses Reformstaus zur Geduld aufruft, dann ist die Chance gross, den Zeitpunkt zum Handeln zu verpassen. In diesem Sinne reagiert Daniel Kosch auf den Churer Bischof, wenn er auf kath.ch meint: «Zuhören ist sicher gut und wichtig. Dennoch bleibt für mich eine Frage offen: Hören die Bischöfe, die zur Geduld aufrufen, mit ganzem Ohr auch auf jene, die keine Geduld mehr haben?» 

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Ich gehöre ehrlich gesagt auch zu jenen, die (fast) keine Geduld mehr haben. Ich bin zutiefst überzeugt, dass die Kirche jetzt handeln und umkehren muss. Und das immerhin nach über 31 Jahren im Dienst der Züricher Kirche. So wünsche ich mir nichts sehnlicher als eine Kirche, die die Menschen ernst nimmt, ihnen Frohbotschaften anbietet und so handelt, wie es uns Jesus vorgelebt hat.

Mit Blick aufs Wochenende: Davon träumen können wir unter spezieller Lichtdekoration in der Kapelle der Flughafenkirche, die am Sonntag zur Feier ihres 25-jährigen Jubiläums einlädt (Anmeldung erforderlich).

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Lichtinstallation Meta-Light, die aktuell bis Ende November in der Flughafenkirche besichtigt werden kann. Foto: Saskia Richter

Ende kommender Woche gehe ich in Rente. Ich danke allen, die mich in meiner Arbeit unterstützt und ausgehalten haben und wünsche uns, dass uns der Geduldsfaden zur Kirche nicht endgültig reisst.

Nächste Woche trifft sich das neue Kommunikationsteam zu einer Retraite, weshalb das nächste «Grüss-Gott-Zürich» erst am 18. November erscheint.

Herzlich

Aschi Rutz

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Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.

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