«Sic transit gloria mundi - So geht alles zugrunde» (Thomas Hürlimann)
Mir ist bewusst, dass unter unseren Leserinnen und Lesern sicher einige ob des Namens Hürlimann die Augen rollen werden, dafür habe ich auch Verständnis. Aber wer sich für katholische Kirche, ihre Kultur und Unkultur, Geschichte und Gegenwart interessiert, für den ist dieses Buch Pflichtlektüre. Und ein Lese-Genuss der ersten Güte!
Aber aufgepasst: Jene, die Hürlimann ‘ Katechon‘ nennt, die ‘ Aufhalter‘, die dem Irrglauben verfallen sind, die Zukunft der Kirche hänge ab vom heroischen Verteidigen des vermeintlich ewig Gültigen, sollten die Finger besser lassen von diesem Buch, es dürfte für sie schwer zu ertragen sein. Denn am furiosen Ende des glorreichen Klosters in den Schweizer Bergen «Maria im Schnee», ein für die Ewigkeit errichtetes Gemäuer, bricht alles zu einem Haufen Schutt zusammen. Übrigens ausgelöst durch einen Papagei – der Vogel, der alles nachplappert, aber nicht selber denkt.
Der Zufall wollte es, dass zeitgleich zum Ende meiner Roman-Lektüre das Smartphone aufgeregt vibrierte und mir Meldungen aus der Heimat über den «Skandal von Effretikon» übermittelte. Ach du heilige Jungfrau, erbarme dich unser!
Was war passiert? Da hat doch tatsächlich ein Weib die heiligste Passage des priesterlichen Hochgebets laut mitgebetet, und das noch vorne am Altar! Heilige Jungfrau, erbarme dich unser! Und noch schlimmer: Das breite Volk in der überfüllten Kirche, unter ihnen sicher die Hälfte U40 (ja, das gibt’s tatsächlich noch!), störte sich nicht mal daran, im Gegenteil, es fand das sogar richtig gut und stärkend für Leib und Seele. Lesen Sie hier ein Zeugnis eines Mitfeiernden (lateinisch: Konzelebrierenden). Heilige Jungfrau, erbarme dich unser und stehe unserem Bischof bei.
Entschuldigen Sie meinen sarkastischen Unterton, aber ich weiss nicht, wie ich sonst auf diese neue Episode katholischer Psychopathologie reagieren könnte. Selbstverständlich, auch ich weiss, dass Rituale eine geregelte Form brauchen. Das ist nicht nur in unserer Kirche so, sondern auch in der Synagoge, im Hindu-Tempel und in der Moschee. Liturgie ist nicht beliebig und alle können damit umspringen, wie sie lustig sind. Bis hierher hab ich noch Verständnis für den Bischof.
Aber Liturgie ist für die Menschen da, nicht der Mensch Sklave der Liturgie! Und ich sehe weiss Gott nicht, wenn ich diesen vom Bischof verurteilten Gottesdienst anschaue, wo da beliebig mit liturgischen Formen umgesprungen sein soll. Ich sehe die berührt mitfeiernde Gemeinde, würdig zelebrierende Seelsorgende, ich höre stimmige Musik und sorgfältig formulierte Texte. Ausser eben, die Frau am falschen Ort, die Frau im falschen Moment und die Frau dazu noch in der Mitte, nicht der Mann. Dass das reicht, um per bischöflichem Communiqué in eiskalter Juristensprache Kirchenstrafen zu prüfen und eine Weiterleitung des ‘komplexen Missbrauchs’ an das römische Dikasterium für die Glaubenslehre – diese altehrwürdige Institution nannte sich früher die «Heilige Inquisition» – macht mich nur noch fassungslos. Oh heilige Jungfrau im Schnee, erbarme dich unser.
PS: Einen selbstkritischen Kommentar zur eigenen Berichterstattung veröffentlichte heute kath.ch-Redaktionsleiter Raphael Rauch – auch lesenswert.
Frauen in der Seelsorge stossen täglich an Grenzen, welche ihnen von der männlichen Kirchenhierarchie gesetzt werden. Wir fragten erfahrene Zürcher Seelsorgerinnen, wie sie das erleben. Lesen Sie hier ihre Zeugnisse. In Freiburg i.Ue. diskutierten diese Woche katholische Frauen und Bischöfe einen Tag lang über genau dieses Problem und die Oberhirten bestätigten, dass Handlungsbedarf bestehe. Zum Abschluss gabs einen Gottesdienst. Diesmal streng nach Messbuch und in der guten alten Ordnung: vorn am Altar die Bischöfe, hinten in den Bänken die Frauen. Zumindest die, die noch geblieben waren. Die meisten waren vorher abgereist…
Trotzalledem, das Kloster Einsiedeln, Vorbild für Hürlimanns «Maria im Schnee», steht noch. Tausende Gläubige vieler Konfessionen und Religionen finden auch heute bei der Schwarzen Madonna Trost und Kraft, das Internat ist quicklebendig. Kirche lebt, nicht nur dort oben «im Schnee», auch in Zürich. Nicht Katechonen gehört die Zukunft, sondern engagierten Menschen, die Zeugnis geben von ihrer Hoffnung und ihrem Glauben.
Gedicht an der Klosterwand in Fahr
Wie die Schwestern im Kloster Fahr, die morgen und Sonntag zu einem spannenden Lyrik-Erlebnis einladen. Gedichte hören, sprechen, mit Musik im sakralen Raum erleben. Drei stündliche Aufführungen finden am Wochenende statt, Anmeldungen sind noch möglich.
Oder die beiden deutschen Vorkämpferinnen für Frauenrechte in der Kirche Maria Mesrian und Lisa Kötter, die sich nächste Woche Freitag in der Paulus Akademie mit dem provokativen Titel «Entmachtet diese Kirche» zur Diskussion stellen. Eine spannende Debatte ist garantiert.
Oder die Gläubigen verschiedener orthodoxer Kirchen, die heute Abend in einer farbenprächtigen Prozession durch die Zürcher Altstadt und anschliessendem ökumenischen Gebet in der Wasserkirche unsere Stadtheiligen Felix, Regula und Exuperantius feiern. Alle sind eingeladen, auch zum Apéro.
Nein, die Epoche DER Kirche ist nicht am Ende, aber die Epoche EINER bestimmten Form von Kirche. Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen, wie auch die diese Woche erschienene Studie des Pastoralsoziologischen Instituts SPI zu Religionstrends in der Schweiz aufzeigt. Was die Entwicklung in finanzieller Hinsicht bringen könnte, zeigt sehr gut zusammengefasst ein Artikel des Soziologen und Kirchenexperten Michael Marti auf dem Portal religion.ch auf.
Wir sollten uns davon nicht entmutigen lassen, sondern anstacheln zum frohen, kreativen und wo nötig auch widerständigen Gestalten unseres kirchlichen Lebens. Und die heilige Jungfrau steht uns bei, da bin ich mir ganz sicher!
Ich wünsche uns allen ein erholsames Wochenende, den Zürcherinnen und Zürchern ein frohes «Knabenschiessen», wo ebenfalls unterdessen die Mädchen oft treffsicherer sind als die Knaben. Und auch wenn ich persönlich für jedes Adelsgedöns keinerlei Verständnis habe, so drücke ich den anglikanischen Gläubigen unter uns mein Mitgefühl aus im Wissen darum, dass die verstorbene Queen für zahlreiche Menschen im Vereinigten Königreich und darüber hinaus viel bedeutet hat.
Ihr Simon Spengler
Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.
Für mich war es schwierig, dieses Video zu schauen. Es ist hier eine Grenzüberschreitung geschehen, die nicht einfach eine Form der liturgischen Möglichkeit betrifft, sondern eine Abwandlung des zentralsten Sakraments der kath. Kirche.
Es geht dabei nicht darum, dass eine Frau konzelebriert, sondern eine nicht geweihte Person, auch noch mit selbst gewählten Worten. Die Eucharistie ist nicht einfach ein Ritual.
Der Mensch ist nicht Sklave der Liturgie, da haben Sie Recht. Die Liturgie ist für den Menschen da. Und gerade diese Liturgie gibt mir und vielen anderen Hilfe, Trost und Sinn. Aber eben auch gerade die gewachsene, immer gleiche Liturgie, in der ich immer mehr die Schönheit der Riten und Formulierungen entdecke. Auch die Bibel ist immer die gleiche, ich erlebe sie aber bei jeder Betrachtung wieder neu. Trotzdem gehe ich mit Ihnen einig, dass man da durchaus neue Formen suchen kann, um Menschen anzusprechen, die nicht mit einer solchen Liturgie aufgewachsen sind und auch einen neuen Ausdruck zu wagen, wie man selber Gott begegnen kann. Die Eucharistie ist da aber eine Ausnahme. Ich bin keine Theologin, aber nach meinem Verständnis kann die Eucharistie als Sakrament nicht beliebig abgeändert werden.
Als ich einmal im Studium eine Interrail-Reise nach Schweden gemacht habe, habe ich mich gefragt, warum es mir dort nicht so gefallen hat. Die Leute waren ja sehr offen, unkompliziert und das Land sehr schön, vor allem auch Stockholm eine wunderbare Stadt. Erst als ich wieder zu Hause war, habe ich gemerkt: es hat mir die Anwesenheit Christi gefehlt.
Die Kirchen dort waren für mich ohne das Ewige Licht wie leer. Später war ich einmal in New York. Im Gewühle der Stadt habe ich die alte St. Patricks Cathedral entdeckt. Es ist keine architektonisch ausnehmende Kirche, aber die Präsenz des Allerheiligsten hat die Stadt für mich sofort zur Heimat gemacht.
Sie schreiben, dass die Gemeinde berührt mitgefeiert hat. Das mag stimmen. Sie sehen aber nicht, für wieviele Leute das eine Verunsicherung und Zumutung war. Ich gehe fast jeden Sonntag zur Messe. Die Seitenhiebe auf die Kirchenführung, das Ausprobieren neuer Liturgieformen, das Ausloten der Grenzen, was noch toleriert wird, sind für mich immer anstrengend, aufwühlend und verstörend. Ich wünsche mir einen „normalen“ Gottesdienst mit einer guten Predigt. Keine alten Riten, keine rückwärtsgewandten Priester. Einfach einen selbstverständlichen katholischen Gottesdienst in seiner ganzen Fülle und Schönheit.
Auch eine Seelsorgerin hat eine Macht. Sie kennt die Leute und weiss, dass sie ihr wohlgesinnt sind. Dass sie dann ihre Version der Liturgie durchzieht und die Leute das tolerieren, weil sie sie schätzen, mag ihr selber eine Befriedigung geben, aber ich frage mich, wozu das nötig ist. Ich bin auch eine Frau und auch ein Kirchenmitglied. Auch wenn ich mich im Berufsleben und im sozialen Umfeld für die Rechte der Frauen und die Gleichberechtigung einsetze, empfinde ich es in der Eucharistie nicht als nötig, das Hochgebet mit dem Priester mitzusprechen. Ich sehe einfach den Mehrgewinn nicht. Es verliert sich vielmehr das Geheimnis des Sakraments.
Ich hoffe, Sie verstehen auch meine Ausführungen und sind sich auch Ihrer Macht als Journalist bewusst. Auch dass Sie viele gläubige Katholiken in die Ecke der verstaubten Ewiggestrigen stellen.
Mit freundlichen Grüssen
Margareta Lipp, Synodale Hl. Kreuz
Freundliche Grüsse, Simon Spengler
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