Selber als Kerze leuchten
Seine Aussage machte der Churer Bischof gegenüber kath.ch im Zusammenhang mit dem synodalen Prozess und der Umfrage «Wir sind Ohr». Seine Einschätzung der Umfrage im Bistum Chur: «Die Polarisierung in zwei Tendenzen ist einmal mehr sehr deutlich zum Vorschein gekommen. Es gibt eine Mehrheit von Gläubigen, die viele Veränderungen in der Kirche erwarten, verlangen und erzielen wollen und eine Minderheit, welche sich in der Kirche bereits heimatlos fühlt, weil sie sie als zu wenig katholisch und zu wenig kirchentreu empfindet.» Dieses Resultat der Befragung bestätige, dass die wirkliche Synodalität erst begonnen habe.
Die Ergebnisse der Umfrage hat Bischof Bonnemain gestern am «Tag des Geweihten Lebens» mit Vertreterinnen und Vertretern von Klöstern, Orden und religiösen Gemeinschaften diskutiert, nachdem er mit ihnen in der Kathedrale den Gottesdienst gefeiert hatte. Seine Predigt schloss er mit den Worten: «Ich habe mir überlegt, ob auch wir hier heute Kerzen segnen sollten, damit alle eine solche Kerze mit nach Hause nehmen können. Doch ich bin zum Schluss gekommen, dass wir selber die Kerzen sind, die angezündet werden müssen und leuchten dürfen. Ich denke, das gemeinsame Anliegen in der heutigen Eucharistiefeier sollte sein, Feuer zu fangen, um dann in dankbarem Staunen in die eigene Realität zurückzukehren und dort das Licht des Herrn weiterzugeben.» Staunen darf man aber auch darüber, dass es offenbar im Bistum Chur unhinterfragt ist, dass Minderheiten die Mehrheit dominieren.
Bischof Joseph Bonnemain diskutiert mit Ordensvertreterinnen die Ergebnisse der «Wir sind Ohr»-Umfrage.
Selber leuchten und das Licht Gottes weitergeben. Damit ist es aktuell mit Blick auf die Weltkirche nicht weit her. Das Missbrauchsgutachten im Erzbistum München und Freising macht zwar vor allem in Deutschland grosse Schlagzeilen, geht uns aber alle an. Das Gutachten wirft u.a. auch Kardinal Reinhard Marx und dem emeritierten Papst Benedikt XVI. fehlerhaftes Verhalten vor und spricht von einem «Totalversagen eines Systems». Kardial Marx spricht von einem Desaster. «Die Kirche war offensichtlich für viele Menschen ein Ort des Unheils.» Seine grösste Schuld sei das Übersehen der Opfer. Das sei unverzeihlich. Benedikt XVI. gab eine gemachte Falschaussage zu und will nach dem Studium des fast 1’900-seitigen Gutachtens ausführlich Stellung beziehen. Ob er dazu wirklich noch in der Lage ist, scheint aufgrund seiner körperlichen Verfassung allerdings fraglich. Wahrscheinlich sind es wieder Berater, die für ihn sprechen werden. Und mit seinen Beratern sei Benedikt XVI. schlecht beraten, meinte Georg Bätzing, Präsident der deutschen Bischofskonferenz, offenherzig in der Talksendung von Anne Will vom letzten Sonntag.
Der sichtlich angespannte Bischof Bätzing hatte in dieser Talkrunde bei Gott einen schweren Stand. Genauer: Er stand gegenüber Christiane Florin, Redakteurin von «Religion und Gesellschaft» beim Deutschlandfunk und profunde Kennerin der katholischen Kirche, auf verlorenem Posten. Sie beobachte seit 2010 – in Deutschland wurden in größerem Umfang Sexualdelikte in katholischen Einrichtungen bekannt – wie erschüttert sich die Bischöfe jeweils gegeben hätten. Passiert sei wenig, es seien alle noch da, keiner sei zurückgetreten oder der Rücktritt vom Papst angenommen worden. Sie verstehe Rücktritte nicht als Selbstzweck, sondern als Zeichen ehrlicher Reue und darum notwendig. Und bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle hätte die Kirche immer das Heft in der eigenen Hand behalten und nicht unabhängig untersuchen lassen.
Der katholische Theologe Eugen Drewermann | © KNA
Der Schaden für die Kirche ist immens, stehen doch nicht nur einzelne Kirchenfürsten am Pranger, sondern die katholische Kirche als ganze. Es ist dem Vatikan und den meisten Bischöfen mit ihrer Überidentifikation mit dem klerikalen System und ihrer Komplizenschaft untereinander letztlich immer darum gegangen, das System zu schützen und nicht darum, die tatsächlichen und potentiellen Opfer in den Fokus zu stellen.
Gestern hat in Frankfurt die dritte Versammlung des Synodalen Wegs begonnen. Aufmerksamer Beobachter dort ist Daniel Kosch, Generalsekretär der RKZ. Via Facebook sind wir mitten drin dabei. Bis in die Mitte der Kirche geschwappt ist auch die Welle der Kirchenaustritte in Deutschland. Das machte die Benediktinerin Philippa Rath deutlich: Sogar Ordensleuten widerstrebe es inzwischen, sich im Credo zu der «einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche» zu bekennen. Manche fragten sie, ob es nicht möglich sei, aus der Kirche auszutreten und zugleich im Orden zu bleiben.
Es wird ein radikaler Wechsel erwartet, dem selbst Bischof Bätzing das Wort redete und in der Talkrunde kleinlaut eingestand: «Die Lehre der Kirche muss sich ändern.» Und im Gespräch mit seinem Biografen ist Eugen Drewermann überzeugt, dass das Pontifikat Benedikt XVI. «das Ende einer 1'500 Jahre alten Kirchengeschichte ist. Es ist das Ende, definitiv das Ende.» Der Zug habe den Prellbock erreicht, der endgültig anzeige, dass es hier nicht mehr weitergehe.
Von einem kranken System ist kaum etwas zu erwarten. Es liegt nun an den Menschen an der Basis, ihre Kirche zu retten und sich zu äussern. So wie jene 125 kirchlichen queeren Mitarbeitenden. Die europaweite Petition «Für eine Kirche ohne Angst» haben inzwischen gegen 100'000 Personen unterschrieben. Einen Aufbruch von unten spürt Pierre Stutz, einer der 125, in der Schweiz noch nicht. Er wünscht sich, dass sich queere Seelsorgende (auch Bischöfe) outen. Die Stigmatisierung gegen queere Personen in der Kirche könne nur durch Gesichter und Geschichten und durch Solidarität untereinander beendet werden. In Solidarität übt sich auch Martin Werlen. Er ist einer von insgesamt 102 Autoren im Buch «Frauen ins Amt! Männer der Kirche solidarisieren sich», das am letzten Montag erschienen ist.
Selber leuchten und das Licht Gottes weitergeben. Nicht wenige fragen sich, was zu tun ist und wo in dieser sehr schwierigen Situation Gott bleibt. Letzterem geht an der Uni Luzern am kommenden Dienstag eine Podiumsveranstaltung nach. In gut zwei Wochen kommt der Benediktinermönch und Bestsellerautor Anselm Grün nach Zürich und wird den Menschen mit seinem Referat «Versäume nicht dein Leben» Mut zusprechen, den wir so dringend nötig haben. Und ich erinnere mich an das Interview mit Weihbischof Peter Henrici Ende letzten Jahres, wo er uns zwei Dinge auf den Weg mitgibt: «Die Institution Kirche ist eher ein Hindernis, sie ist nur ein Mittel zum Zweck, vielleicht gibt es andere Mittel und Orte, wo man die Botschaft besser verkünden kann.» Die ureigene Aufgabe der Kirche bestehe darin, den Menschen zu dienen.
Was sich mir persönlich schmerzlich offenbart ist: Es reicht wirklich! Es reicht nicht, Gutes zu tun und darüber zu reden. Es reicht nicht, mit dem Finger auf die Missstände in der Kirche zu zeigen und immer wieder Erwartungen zu äussern. Es reicht nicht, von den Exponenten des kranken Systems einen Weg der Gesundung zu erwarten. Ich selbst muss mich verstärkt solidarisch mit anderen für eine angstfreie und dienende Kirche im Kanton Zürich in allen Bereichen einsetzen. Auch wenn es fünf nach zwölf ist. Damit immer mehr Kerzen leuchten.
Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Wochenende.
Herzlich
Aschi Rutz
Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.
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Danach: Was ich nicht verstehe: Wenn Sie so unglücklich sind mit der römisch-katholischen Kirche, warum treten Sie nicht aus? Oder gründen ihre eigene Kirche? Was mögen Sie an der röm-kath. Kirche? Inwieweit stimmt Ihr Glaube mit demjenigen der röm-kath. Kirche überein? Wie wichtig sind die Sakramente für Sie?
Im Pauluskalender bin ich kürzlich auf folgenden Text von Erzbischof Karl-Josef Rauber gestossen:
"Wir müssen neuen Mut schöpfen zum Christsein, zum Kirchesein. Wir werden diesen nur gewinnen, wenn wir auch zum Leiden in der Kirche - und an ihr - bereit sind."
Bleibt dran, so lange Ihr den Schnauf hat. Dank von Herzen.
Markus Friedli, Theologe/Diakon
Ich danke Dir für das Gehör und für Deine / Eure so wichtige Arbeit.
Danke für deinen interessanten, differenzierten, guten Newsletter, der sich von vielen anderen der letzten Zeit positiv abhebt. - Den Optimismus unseres Bischofs kann ich leider nicht teilen. Für mich ist's in der Kirche nicht erst 12.05 Uhr, sondern eher kurz nach Mitternacht, also etwa 00.05 Uhr. Ich befürchte, dass wir als Kerzen dabei etwas gespensterhaft wirken dürften. Ich bin da also näher bei Drewermann. Als wichtigsten Satz des Newsletters würde ich das einfache Zitat von Bischof Bätzing nennen: "Die Lehre der Kirche muss sich ändern!" Bloss, was kann man zur Lehre zählen? Über allem steht für mich das Wort der hl. Schrift. Andere neigen dazu den Katechismus der Katholischen Kirche ganz oben zu sehen, der ist zwar belehrend, aber auf diese Art möchte ich mich nicht belehren lassen. Da steht zu vieles drin, was sich mit der Jesus-Bewegung nicht in Einklang bringen lässt (siehe Drewermann). Sehr, sehr viel müsste da ersatzlos gestrichen werden. Andere setzen den CIC ganz oben hin. Der CIC ist keine Lehre, sondern ein mehr oder weniger willkürliches Regelwerk, das in Ton und Inhalt nur an wenigen Stellen an Jesus erinnert, wohl aber an diverse selbstherrliche Machthaber der Kirche. Eher als eine Lehre ist er Zement zur Herstellung von Betonköpfen - in dieser Rolle aber leider sehr erfolgreich. Wie wär's, den Katechismus und den CIC für etwa 100 Jahre auf einen Index zu setzen? In einer solchen Auszeit könnte man sich befreit mit dem auseinandersetzen, was Jesus ein Anliegen war. Auf jeden Fall müsste der sog. "Synodale Weg" wesentlich radikaler sein und sich weniger mit Ladenhütern herumschlagen, die schon vor 50 Jahren, als ich Theologie studierte in der damaligen jungen Generation grundsätzlich geklärt waren.
Etwas mehr als bloss ein nettes Reförmchen wäre schon notwendig, wenn es denn gelingen soll, die Kirche in die Zukunft hinein zu retten. Zweifel sind nicht nur erlaubt, sondern notwendig.
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