Über uns

«Gemeinsam unterwegs» - wohin?

Bereichsleiter Kommunikation, Sekretär Interreligiöser Runder Tisch im Kanton Zürich
Simon Spengler

Gesamtverantwortung Kommunikation der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Katholischer Theologe und Journalist.

Simon Spengler
Wir sind wieder unterwegs und freuen uns über jedes Stück zurückgewonnene Freiheit - hoffentlich künftig verantwortungsvoller unterwegs als in der Vergangenheit.
18. Juni 2020

«Gemeinsam unterwegs» ist auch ein Schlagwort, dass auf unzähligen Kirchenflyern, Plakaten und Broschüren prangt. Von wo aus unterwegs, auf welches Ziel hin, mit wem gemeinsam? Dazu wird meist wenig bis nichts gesagt, womit der Slogan denkbar vage und beliebig bleibt – und wohl deshalb so beliebt.

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«Gemeinsam unterwegs» war diese Woche auch eine Pilgergruppe engagierter Katholikinnen und Katholiken unseres Bistums. Aber mit klarem Ausgangspunkt, dem Central mitten in Zürich, und mit klarem Ziel, dem Bischofssitz in Chur. Und mit klarer Absicht: 1) Die Solidaritäts-Petition mit dem gefeuerten Generalvikar Martin Kopp dem dafür verantwortlichen Apostolischen Administrator zu überreichen, 2) Kopp für sein Wirken zu danken und 3) der noch immer vorhanden Hoffnung auf einen guten, neuen Bischof Ausdruck zu verleihen.

Der Adressat der Petition, der gern von Dialog spricht, aber wenig Dialog führt, hatte Wichtigeres zu tun (wen wundert’s) und schickte seine Kanzlerin vor – um die Kohlen aus dem Feuer zu holen, sind Frauen halt doch gut. Mein Kollege Aschi Rutz mischte sich unter die Pilgergruppe, hier seine Eindrücke vom Geschehen.

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Hoffen auf einen dialogbereiten Bischof, das tun im Bistum Chur und darüber hinaus sehr viele. Einer tut das explizit nicht: Thomas Gullickson, Erzbischof und päpstlicher Nuntius in der Schweiz. Seine Vision tat er gestern gegenüber der Luzerner Zeitung kund: «Das Erfolgsrezept für das Bistum Chur ist eher auf die Bereitschaft des Klerus gebaut, den neuen Bischof bedingungslos anzunehmen und ihn durch dick und dünn zu tragen.» Da kann ich nur sagen: Mir graut vor dieser Vision einer «erfolgreichen» Kirche, die mich eher an eine Diktatur als an die Freiheit jedes Christenmenschen erinnert! In diese Richtung möchte ich nicht unterwegs sein.

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«Chur» ist in kirchlichen Kreisen fast zu einem Unwort geworden. Dabei hat Chur einiges zu bieten: tolle Landschaften in der näheren und weiteren Umgebung, einen wunderschönen Dialekt, tiefgründigen Wein – und vor allem auch eine Hochschule, in der weltoffene und menschenfreundliche Theologie gelehrt und gelernt wird. Churer Theologiestudierende legen in einem flotten Kurz-Video Zeugnis ab von ihrem Unterwegssein in und für eine lebendige Kirche.

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Dass kirchliche Gesetze sehr flexibel interpretiert werden können, zeigte letzte Woche die Diözese Lausanne-Genf-Freiburg. Da wurde erstmals seit vielen Jahren wieder ein deutschsprachiger Priester geweiht, die Freude war gross. Der bisherige Lebenslauf des Neupriesters war in der öffentlichen Freude hingegen kein Thema: verheiratet – Kinder – geschieden. Und jetzt Priester. Ich mag ihm sein neues Lebensglück von Herzen gönnen, der liebe Gott kann bekanntlich auch auf krummen Linien gerade schreiben. Schade nur, dass die Kirchenhierarchie nicht auch in anderen Fällen ihre Gesetze so flexibel anwendet.

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Gott sei Dank endet unsere Kirche nicht an den Grenzen Zürichs oder der Diözese Chur, sondern ist weltweit. Dem werden wir aber nur gerecht, wenn uns das Schicksal der Menschen jenseits unseres kleinen Horizonts nicht egal ist. Millionen von Flüchtlingen sind weltweit unterwegs, meist mit festem Ziel, aber ohne Chance, je anzukommen. Übermorgen am Flüchtlingssonntag fühlen wir uns ihrem Schicksal nahe. Wer nicht am Gottesdienst teilnehmen kann oder will, darf gern hier spenden: http://www.caritas.ch/fluechtlingssonntag

Morgen werden Freiwillige in der Zürcher Wasserkirche die Namen von 40'555 Opfern vorlesen, die in den letzten sieben Jahren auf der Flucht ihr Leben verloren: ertrunken, verdurstet, erschlagen und erschossen. Unterwegs sein in Richtung Sicherheit und Würde führt leider allzu oft über mit Blut und Tränen getränkte Pfade.

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Ein besonderer Anlass findet am Sonntag um 14 Uhr im Grossmünster statt: Der ökumenische Pride-Gottesdienst erinnert an Gottes Geschichte mit dem Regenbogen. Wie schwer sich gewisse Kirchenkreise mit der Vielfalt der Geschöpfe Gottes tun, zeigt gerade dieser Tage auf erschreckende Weise das Schweizerische Katholische Kirchenblatt (keine wirkliche Kirchenzeitung, sondern ein Erzeugnis aus dem Dunstkreis der traditionalistischen Petrusbruderschaft und anderer erzkonservativer Katholiken handelt).

Auf Geheiss des „geistlichen Leiters“ sollte ein Interview mit dem TV-Mann Kurt Aeschbacher über Gott, Glaube, Zweifel und Hoffnung aus dem Blatt gekippt werden, da Aeschbacher „bekennender Homosexueller“ sei, was den Lesern nicht zugemutet werden könne. Dieser „geistliche Leiter“ ist kein Geringerer als Generalvikar Andreas Fuchs, einer der ranghöchsten Kleriker der Diözese Chur. Nachdem Aeschbacher angekündigt hatte, diese Diskriminierung öffentlich zu machen, krebste das Blatt zwar zurück. Aber der Moderator blieb dabei: «Homophobie ist in konservativen Kirchenkreisen noch immer tief verankert. Das ist skandalös und muss endlich aufhören. Deshalb habe ich den Vorfall öffentlich gemacht.»

Synodalratspräsidentin Franziska Driessen-Reding kommentierte seinen Facebook-Post so: «Schlimm! Die Homophobie ist eine Seuche und leider fester Bestandteil des klerikalen Systems. Weiteres kann sich jeder selber denken. Soviel noch von mir: Wir dürfen niemals schweigen!»  Aeschbacher hat den Fall nun vor den Presserat gebracht. Und Franziska Driessen-Reding setzt Sonntag im Grossmünster beim Pride-Gottesdienst mit ihrer Präsenz ein Zeichen.

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«Gemeinsam unterwegs», das Ziel einer menschenfreundlichen, gleichberechtigten, solidarischen und lebensfrohen Kirche vor Augen. Ein Pilgerweg, der Gott gefällt. Ich wünsche uns allen einen gesegneten Sonntag.

Simon Spengler

 

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Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.