Über uns

Tag des Zorns, Tag der Befreiung

Bereichsleiter Kommunikation, Sekretär Interreligiöser Runder Tisch im Kanton Zürich
Simon Spengler

Gesamtverantwortung Kommunikation der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Katholischer Theologe und Journalist.

Simon Spengler
Heute Abend, spielt sich in der Kathedrale Churs ein seltenes Schauspiel ab: eine Totenmesse ohne Toten. Bischof, Geistlichkeit, Vertreter der Landeskirchen und sicher auch «einfache Gläubige» feiern das Requiem für den Alt-Bischof Vitus Huonder, der aber bekanntlich schon am Mittwoch bei der Traditionalisten-Bruderschaft in Ecône beigesetzt wurde. Der für ihn vorgesehene Platz in der Gruft der Churer Bischöfe wird leer bleiben.
19. April 2024

Zu diesem äusserst ungewöhnlichen Vorgang will ich mich nicht weiter äussern. Ich will mir auch kein Urteil erlauben über die Teilnahme des neuen Bischofs an der Beisetzung des alten neben seinem Bruder im Geiste Marcel Lefebvre. Einem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen und seinen letzten Willen zu erfüllen, ist ein hehres Motiv, trotz aller Ambivalenz, die Bischof Bonnemain ja selbst angesprochen hatte.
 
Das heutige Requiem hat für mich vor allem deshalb etwas sehr Gutes: Es setzt einen Schlussstrich unter ein sehr schmerzhaftes und unrühmliches Kapitel der Churer Bistumsgeschichte. Huonder locuta, causa finita – er möge ruhen in Frieden (eine lesenswerte Analyse zur Bedeutung des Geschehens in Ecône lieferte übrigens die NZZ). Konzentrieren wir uns auf die Kirche der Zukunft, auf die Frage, wie christliche Gemeinde im 21. Jahrhundert glaubwürdig gelebt werden kann.

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Obwohl, so ganz ohne Tradition wird auch die Kirche der Zukunft nicht auskommen. Und eines muss man den Pius-Brüdern neidlos zugestehen: Sie verstehen was vom gregorianischen Choral. Als die Schola beim Beerdigungsgottesdienst den alten Hymnus «Dies irae» anstimmte, wurde ich, ganz ehrlich, wehmütig. Dieser Hymnus gehört zu meinen absoluten Favoriten und ich wünsche mir, dass er auch an meiner eigenen Beerdigung gesungen wird – habe aber wenig Hoffnung, dass mein Wunsch in Erfüllung geht.
 
«Dies irae», zu Deutsch «Tag des Zorns», mahnt ans Jüngste Gericht. Es kommt der Tag, da wird die Rechnung präsentiert! Diese Ernsthaftigkeit ist einem Wohlfühl-Spiritualitätsgedusel unserer Tage ziemlich abhandengekommen, das mich eher an kapitalistische Selbstverwirklichungsideologie erinnert denn an die biblische Botschaft vom Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit. Die Ernsthaftigkeit von «Dies irae» brauchen wir auch in Zukunft, davon bin ich überzeugt. Und etwas mehr Pflege der eigenen Tradition, auch der liturgischen, täte uns gut (mir zumindest). Die sollten wir nicht einfach den Pius-Brüdern überlassen.

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 Kraft für die Zukunft aus dem Weitererzählen der überlieferten Geschichten schöpfen, das ist wohl eine Gemeinsamkeit aller Religionen. Ob Judentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus oder Christentum oder die ‘Naturreligionen’: All diese religiösen Kulturen sind auch Erzählkulturen. Dem Wert des Erzählens alter Geschichten widmet sich ein tolles Buch: «Erzähl nochmal. Geschichten aus Religionen, Kulturen und Zeiten», das bei TVZ erschienen ist.
 
Nächsten Donnerstag diskutieren Mit-Autor und Theologe Rolf Bossart, die Bibelwissenschaftlerin und Märchenerzählerin Moni Egger und Winfried Bader vom Bibelwerk in der Paulus Akademie über das Thema, die Schauspielerin Ruth Schwegler liest vor. Das sehr schön gestaltete Buch, das auch von der Zürcher Kirche und der Stiftung Weltethos gefördert wurde, eignet sich übrigens nicht nur für den Religionsunterricht, sondern auch für den Sessel zuhause. Bei mir liegt es immer griffbereit am Stillen Örtchen.

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Zum Thema «Kraft der Erinnerung» wurde mir diese Woche eine zweite, sehr lesenswerte Neuerscheinung zugeschickt. In «Rettung vom Totenwagen» (ebenfalls durch die Zürcher Kirche gefördert) geht die Journalistin Katrin Schregenberger den Erinnerungen des alten Juden Peter Iczkovits nach, einem Überlebenden des Holocausts, der als Kleinkind auf schier wundersamen Wegen vom KZ Bergen-Belsen in die Schweiz fand. Die Spurensuche ist auch ein Weg, den Ungeist der Vergangenheit für heute und morgen zu bewältigen. Und den wir bei allem Schrecklichen, das wir aktuell aus Israel, Gaza und Palästina hören, nie verdrängen dürfen. Denn der Ungeist lebt weiter.

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Dieser Ungeist zeigt sich auch im Aufflammen des Antisemitismus, leider auch in Zürich – die erschreckenden Attacken sind bekannt. Aber auch im Aufflammen von antimuslimischen Sprüchen, Schmierereien, Anpöbelungen und Drohungen, unter denen die islamischen Gemeinschaften bei uns vermehrt zu leiden haben. Nur sind sie in der Öffentlichkeit kaum ein Thema, schon gar nicht in der Politik. Insofern ist nicht nur der Friede zwischen den Religionen ein Gebot der Stunde, sondern auch der Schutz der Religionsgemeinschaften. Die grossen Kirchen als «Mehrheitsreligion» stehen hier in besonderer Verantwortung.

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Am Montagabend beginnt für alle Juden das achttägige Pessachfest. Auch in dessen Zentrum steht eine alte Geschichte, die zugleich eine grosse Verheissung ist: die Befreiung des Volkes Israel aus der Sklaverei des Pharao. Ich wünsche allen jüdischen Gemeinden «Chag Sameach!», ein frohes Fest! Mögen wir alle gemeinsam den Pharaonen unserer Tage die Erinnerung an die Befreiung aus der Knechtschaft entgegenhalten.

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Zum Schluss möchte ich auch Hella und Gregor Sodies zur «Wandermedaille der Herbert-Haag-Stiftung für die Freiheit in der Kirche» gratulieren, mit der sie als Gemeindeleitungs-Ehepaar der Pfarrei Greifensee für ihr Engagement für eine geschwisterliche Kirche ausgezeichnet werden. Einige denken nun sicher: «Was ist daran besonders, das tue ich in meiner Pfarrei auch, nur rede ich nicht gross darüber.» Ja, wahrscheinlich haben sie sogar recht, aber genau das macht eben den Unterschied: Die beiden Sodies reden auch darüber, und das finde ich wichtig. Denn in unserer Kirche wird nicht zu viel über die Gestaltung unseres kirchlichen Lebens diskutiert und debattiert, sondern zu wenig.

In diesem Sinne freue ich mich über jeden Kommentar, den Sie, liebe Leserin und lieber Leser, uns zu den wöchentlichen Newslettern zukommen lassen, egal ob zustimmend oder kritisch. Nur anständig sollte er sein (leider ist das keine Selbstverständlichkeit). «Grüss Gott Zürich» freut sich nun auf die Frühlingsferien. Geniessen auch Sie hoffentlich ein paar freie Tage mit hoffentlich besserem Wetter.

Ihr Simon Spengler

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Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.

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