Über uns

Mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Bereichsleiter Kommunikation, Sekretär Interreligiöser Runder Tisch im Kanton Zürich
Simon Spengler

Gesamtverantwortung Kommunikation der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Katholischer Theologe und Journalist.

Simon Spengler
Nun steht es uns wieder bevor, die Feier des grössten Dramas der Weltgeschichte und gleichzeitig des grössten Mysteriums: Das Sterben Jesu, die Grabesruhe, die Auferstehung und damit der Aufstand gegen den Tod. In diesen Tagen, nüchtern Karwoche genannt, etwas feierlicher der liturgische Begriff «triduum paschale», die drei Tage von Gründonnerstagabend bis Ostersonntag.
11. April 2025

Früher machte ich mich, in gut katholischer Manier, häufig über die Protestanten lustig, für die der Karfreitag wichtiger sei als die Auferstehung selbst, die nur wir Katholiken so richtig zu würdigen wüssten. Je älter ich werde, desto dümmer komme ich mir selbst vor. Denn nur, wer die abgrundtiefe Ausweglosigkeit, die unendliche Trauer, das schwarze Nichts des Rufes Jesu am Kreuz: «Mein Gott, warum hast du mich verlassen?» aushält und nicht mit frommen Sprüchen übertüncht, der kann vielleicht erahnen, was Ostern bedeuten könnte.

Je ver-rückter und trostloser unsere Welt wird, desto wichtiger wird mir der Karfreitag. Konkrete Beispiele des um sich greifenden Wahnsinns können wir jeden Tag in den Zeitungen lesen oder in den «Sozialen Medien», die sich immer häufiger als «A-Soziale Medien» entlarven.

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Mich bedrückt bei alldem die Erkenntnis, dass es uns als Kirche immer weniger gelingt, die zentralen Botschaften unseres Glaubens den Menschen zu vermitteln, sie als Trost, Stütze, Motivation und Herausforderung der Gesellschaft näherzubringen. Geschweige denn als Kontrastmodell zu einer von Kapital- und Herrschaftsinteressen zerrissenen Welt, die immer mehr Menschen als entfremdet von ihren eigenen Wünschen und Hoffnungen erfahren.

Wenn 85 Prozent der Bevölkerung ein negatives Bild von unserer Kirche haben, wie die Sotomo-Befragung ungeschminkt belegt, dann haben wir nicht nur in der Vergangenheit so einiges falsch gemacht, dann machen wir auch in der Gegenwart weiterhin einiges falsch.

Nur was? Billige Antworten gibt es zuhauf. Aber weder «Zölibat abschaffen» noch zurück zur «guten, alten Zeit» werden der Wirklichkeit gerecht. Wenn die Sotomo-Befragung dazu beiträgt, sich dieser Frage offen, ungeschönt und mutig zu stellen, dann hat sie viel erreicht.

Seit Veröffentlichung der Daten vergeht kein Tag, an dem ich nicht darauf angesprochen werde. Zum Teil auch im Sinne von «War das wirklich nötig?», «Warum habt ihr diese negativen Zahlen überhaupt veröffentlicht?», «Das haben wir doch schon längst gewusst». Schon sind sie wieder da, die Un-Geister des Schönfärbens und der Verdrängung. Sind das nicht die Geister, die auch den Karfreitag fromm schönreden?

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In Zürich werden auch in diesem Jahr wieder Christinnen und Christen eine ökumenische Kreuzwegprozession mitten durch die Stadt abhalten. Mir scheint, sie war schon lange nicht mehr so aktuell wie heute.

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Was mich alternden Kommunikationsmenschen ebenfalls betrübt ist die Unfähigkeit der Kirchenleitung, eine glaubwürdige und kompetente Kommunikation auf die Beine zu stellen. Gerade diese Woche hat die Kommunikationsleiterin des Bistums Basel, Barbara Melzl, nach nur zwei Jahren, den Bettel wieder hingeworfen. Die Kommunikationsstelle der Bischofskonferenz ist schon lange nicht mehr besetzt – und als sie noch besetzt war, hat man von ihr nichts mitbekommen.

Ihre Medienkommission haben die Bischöfe längst aufgelöst, weil sie keine Beratung nötig haben. Das angekündigte Nachfolgeprojekt gibt es bis heute nicht, zumindest hat man nie mehr davon gehört. Das katholische Medienzentrum ist von inkompetenten Verantwortungsträgern in SBK und RKZ dazu verdammt, nur noch ein Schatten seiner selbst zu sein.

Ich bilde mir beileibe nicht ein, Lösungen für all die Probleme zu kennen. Aber die Sprachlosigkeit ist symptomatisch. Eine wichtige Erkenntnis wäre ganz sicher, dass auch kirchliche Kommunikation zuerst mal mediale Kompetenz voraussetzt.

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Vielleicht müssen wir aufhören darauf zu warten, dass die Einsicht von oben kommt und damit etwas in Bewegung gerät. Bewegung gibt es längst, jeden Tag setzen sich Menschen in unserer Kirche dafür ein, dass es anderen Menschen besser geht. Österliche Hoffnungsfunken, die auch in der Bevölkerung wahrgenommen werden. Auch das zeigt die Sotomo-Umfrage. Jüngstes Beispiel ist die Milleniums-Million-Pfarrei St. Peter und Paul in Winterthur, die seit dem Jahr 2000 eine Million Franken für die Fastenaktion gesammelt hat. Ich will nicht nur zur Auszeichnung gratulieren, sondern vor allem danken. Das ist ein Fasten, das Gott gefällt.

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Täglich halten Spitalseelsorgende Kranken und Sterbenden die mitfühlende Hand, trösten Angehörige, ringen mit Patienten und medizinischem Personal um Hoffnungszeichen angesichts von Schmerzen und Tod. Permanent sind sie mit dem Wunsch der Schwerkranken konfrontiert, sterben zu dürfen – allenfalls auch durch assistierten Suizid.

Wie damit umgehen, wenn wir doch glauben, das Leben sei geschenkt und nicht in unserer Verfügung? Eine neue Handreichung der Zürcher Spitalseelsorge lädt ein, sich dieser schwierigen Frage zu stellen. Der von Silke Winkler und André Böhning verfasste Band «Ich kann nicht mehr» rät Seelsorgenden, gemeinsam mit den Patienten eine Entscheidung reifen zu lassen und diese dann, trotz aller Ambivalenz, zu respektieren und die Sterbenden im Prozess zu begleiten – bis zum Schluss. Ein neuer Ansatz in der katholischen Welt, gilt doch bis anhin die Order, katholische Seelsorgende hätten beim assistierten Suizid vor der Einnahme des tödlichen Medikaments aus dem Zimmer zu gehen, die Sterbenden allein zu lassen. Das Buch kann bei der Spitalseelsorge für 10 Franken bestellt werden.

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Nun will ich aber doch nicht ohne süsse Vorfreude auf Ostern enden. Was liegt näher, als an dieser Stelle die Schokolade zu würdigen – vor allem, wenn sie fair produziert und gehandelt wird. Am Sonntag lädt die vierte Ausgabe des «Schoggifestivals Ehrundredlich» in der Mühle Tiefenbrunnen ein, die Welt der Kakaobohne und der Schokolade neu zu entdecken. Zu Gast sind in diesem Jahr Kakaoproduzenten aus Ghana. Die Zürcher Kirche unterstützt das Festival mit einem kleinen Beitrag.

Ab dem Wochenende dürfen Sie auch wieder die Rosenbrunnen in der Zürcher Altstadt bewundern. Hoffentlich zeigt sich zwischendurch mal die Sonne. Und achten Sie beim Stadtbummel auf den Stundenschlag der Altstadtkirchen. Sie klingen anders, neu, dezenter als sonst. Eine spezielle Übung der Achtsamkeit als Vorbereitung auf das Triduum paschale.

Wenn Ihnen beim angekündigten Regenwetter am Sonntag langweilig ist, wäre vielleicht die Sternstunde Religion auf SRF eine lohnende Abwechslung. In «Jesus goes to Hollywood» können Sie das grösste Drama der Weltgeschichte in 100 Jahren Filmgeschichte miterleben: von Pasolini über Scorsese bis Gibson.

Mit diesen Hinweisen wünsche ich uns allen eine besinnliche und bereichernde Karwoche.

Ihr
Simon Spengler


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Der Inhalt dieses Newsletters gibt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin wieder. Diese muss nicht in jedem Fall der Meinung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich entsprechen.

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