Kirche aktuell

Barrierefreie Sakralräume Wenn der Zugang zur Hürde wird

Der Glaube gibt Menschen mit Behinderung oft Kraft in einem oft herausfordernden Alltag. Die Teilnahme an Gottesdiensten und religiösen Festen schafft ein Gefühl der Zugehörigkeit. Es sei denn, der Zugang ist durch Barrieren versperrt.
31. Januar 2025 Katholische Kirche im Kanton Zürich

«In den Räumen unserer Gemeinschaft bin ich einfach nur Mensch, meine Behinderung spielt hier keine Rolle», sagt Mandali Bhadra Dasa. Mandali ist Priester der Hare-Krishna-Tradition und hat Multiple Sklerose. Er ist einer der anwesenden Gäste an der Podiumsdiskussion «Hürden und Hindernisse hinterfragen – Barrierefreiheit von Sakralräumen».

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Von links nach Rechts: Mandali Bhadra Dasa, Regula Eiberle, Moderatorin Saphir Ben Dakon, İpek Kuruluş, Fiona Bollag und die Dolmetscherin für Gebärdensprache.

Auch die gehörlose Katholikin Regula Eiberle, die schwer sehbeeinträchtigte Muslima İpek Kuruluş und die gehörlose Jüdin Fiona Bollag haben sich am Mittwoch auf den Weg in die serbisch-orthodoxe Kirche Maria Entschlafen in Zürich gemacht, um aufzuzeigen, wie wichtig es ist, dass Sakralräume barrierefrei gestaltet werden. Denn in einem sind sich alle einig:

«Es ist wichtig, den Glauben vor Ort, in den religiösen Räumlichkeiten gemeinsam mit anderen, ausleben zu können.»

Die Religion wird dadurch zu einem ausschlaggebenden Faktor für gesellschaftliche Teilhabe. Neben der Teilhabe ist auch die «Teilhabe» ein wichtiger Punkt, der es Menschen mit Behinderung ermöglicht, ihre Fähigkeiten und Talente einzubringen, wie Regula Eiberle, die sich seit Jahrzehnten aktiv in der katholischen Kirche engagiert und auch als Gebärdensprachedolmetscherin tätig ist, aufzeigt. Durch aktives Mitmachen und Einbringen in Gottesdienste oder die Organisation spezifischer Feiern, zum Beispiel für Gehörlose, können Menschen mit Behinderung der Gemeinschaft auch etwas geben.

Mehr als Rampe oder Fahrstuhl

Gemäss Leitfaden für hindernisfreies Bauen der Katholischen Kirche im Kanton Zürich müssen Kirchen, Kirchgemeindehäuser, Pfarreisäle und Pfarrämter «von allen Menschen, ob jung oder alt, behindert oder nicht, gesund oder krank, aufgesucht werden können. Niemandem darf aus baulichen Gründen der Zugang an diesen Einrichtungen und deren Nutzung verwehrt werden.» Das wird zwar bereits teilweise umgesetzt, aber von einer vollständigen Barrierefreiheit sind wir noch weit entfernt.

Zumal es rein mit einem freien Zugang zu sakralen Räumlichkeiten durch Rampen, Fahrstühle, breitere oder automatische Türen nicht getan ist. Menschen mit Behinderung können dann zwar die Gotteshäuser betreten, aber wie sieht es innen aus?

«In mir unbekannten Moscheen habe ich teils Schwierigkeiten herauszufinden, welche Räume ich betreten darf, da ich die Ausschilderung, ob dieser für Frauen oder für Männer gedacht ist, nicht erkennen kann. Ich muss dann Freunde oder andere Anwesende um Hilfe bitten.» (İpek Kuruluş)

Sind die Räume gross genug, um sich frei zu bewegen? Ist die Ausschilderung so gestaltet, dass sich auch Menschen mit Sehbehinderung zurechtfinden? Wie ist die Lichtsituation - gibt es genug Licht, das aber auch nicht zu hell ist oder blendet? Ist es erlaubt, beziehungsweise gibt es Möglichkeiten, Hilfen wie beispielsweise Blindenhunde mitzuführen? Werden Textstellen im Gesangbuch oder der heiligen Schrift digital angezeigt? Dies sind nur einige der zahlreichen Fragen, die sich Glaubensgemeinschaften stellen sollten, wenn es daran geht, ihre religiösen Gebäude vollständig barrierefrei zu gestalten.

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Der gut besuchte Gottesdienst zum 50-jährigen Jubiläum der Behindertenseelsorge im Jahr 2022.

Lohnt sich das überhaupt?

Viele Gemeinden fragen sich, ob es überhaupt notwendig ist, «so viel Aufwand zu betreiben», wenn es nur wenige oder gar keine Mitglieder mit Behinderung gibt. Denn die Umsetzung eines vollständig barrierefreien Zugangs braucht Budget und Ressourcen.

«Ich bin die einzige gehörlose Jüdin in der Schweiz, die ich kenne.»

Dies betont die schwer hörbeeinträchtigte Fiona Bollag immer wieder während der Diskussion. Doch ist das wirklich so? «Ist es vielleicht nicht eher der Fall, dass viele Menschen mit Behinderung sich gar nicht öffentlich zeigen, weil sie sich nicht willkommen fühlen und keinen grossen Umtrieb verursachen wollen», wirft İpek Kuruluş ein.

Ein barrierefreies Gotteshaus dient der gesamten Gemeinschaft, ob mit oder ohne Behinderung, denn wir alle werden einmal alt oder sind aufgrund eines Unfalls kurzzeitig beeinträchtigt. Und wie sieht es dann mit der Teilhabe aus?

Unterstützende Umbauten und Angebote werden teils schon heute von den Gemeinschaften finanziert. So können katholische Kirchgemeinden und Stellen zum Beispiel einen Dolmetschdienst für Gebärdensprache buchen, der Gottesdienste übersetzt. 

Balanceact

Dem Publikum stellte sich am Ende des Abends die Frage, wie man den Spagat zwischen speziellen Angeboten für Menschen mit Behinderung und Angeboten, bei denen Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam regulär zusammenkommen, gestaltet. Auch stand die Frage im Raum, wie stark der Wunsch nach Unterstützung mit Blick auf die religiöse Teilhabe ist.

Für alle Podiumsteilnehmenden war klar, dass sie sich zwar  wünschen, aktiv am Gemeindeleben teilzunehmen, dass eine übertriebene Unterstützung aber eher negativ ist. Sie alle möchten als Menschen wahrgenommen, die zwar durch gewisse Gegebenheiten beeinträchtigt sind, die aber dennoch selbst für sich sorgen und sprechen können und der Gemeinschaft auch etwas geben.

Mehr zum Thema:
- Die Behindertenseelsorge der Katholischen Kirche im Kanton Zürich unterstützt Pfarreien auf ihrem Weg zu einer barrierefreien Kirche.
- Die Moderatorin des Abends, Saphir Ben Dakon, unterstützt Unternehmen und Institutionen als Kommunikations- und Inklusionsexpertin.