Zwingli-Stadt 2019 Zwingli – eine katholische Karriere
1. Januar 1484.
Ulrich Zwingli kommt zur Welt. In Wildhaus im oberen Toggenburg. Hinter den sieben Bergen. Den mächtigen Churfirsten. Noch ahnt niemand, dass der kleine Ueli Zwingli, drittes Kind des Ammanns Johann und der Margaretha, Jahrzehnte später als Huldrich Zwingli auch die Welt der Kurfürsten aus den Angeln heben wird. Ebenso wenig deutet darauf hin, dass das Kind in dieser Krippe die Kirche des Kindes aus der Bethlehemer Krippe in die grösste Krise ihrer Geschichte treiben wird.
Im Alter, in dem heutige Kinder in den Kindergarten kommen, reist der kleine Zwingli nach Weesen, auf die andere Seite der Churfirsten. Hier steigen sie nicht sanft in die Höhe wie im Toggenburg, sondern stürzen schroff und steil zum Walensee ab. In Weesen ist Onkel Bartholomäus Dekan und schult Ulrich, bis der Junge reif ist für die Lateinschule. Mit 10 wechselt Ulrich nach Basel und später nach Bern. Er ist fleissig, fromm und musikalisch. Vor allem letzteres gefällt den Dominikaner-Patres. Sie hätten Zwingli deshalb gerne bei sich behalten. Vater Zwingli ist dagegen. Und so kommt Zwingli 15jährig nach Wien, wo er sein Studium aufnimmt. Der Chor und das Altarhaus der Berner Klosterkirche werden gut 30 Jahre später im Zuge der von Zwingli angestossenen Kirchen-Umwälzung abgetrennt und zu einem Kornhaus umfunktioniert.
Ein katholisches Leben
Innert 15 Jahren aus der Krippe und der engen Obertoggenburger Welt an die Universität der Kaiserstadt Wien. Jetzt nennt sich der Ueli aus dem Toggenburg «Vdalricus Zwinglij de Glaris», später «Vdalricus Zwingling de Lichtensteig». Unter diesem Namen studiert er später dann auch in Basel die septem artes liberales. Nach dem Abschluss als Magister der Sieben Freien Künste hängt er noch sechs Monate Theologie dran – und lässt sich im Herbst 1506 zum Priester weihen und zum Pfarrer von Glarus wählen. Eine durch und durch katholische Karriere.
Zwingli kommt bei den Glarnern gut an. Und so volksnah er als Priester ist, so neugierig ist er im Selbststudium. Glarus, Riedern, Netstal, Ennenda und Mitlödi heissen die Gemeinden in seiner Pfarrei. Die Sprache ist rauh wie die Glarner Winter. Ganz anders als das Griechische, das sich Zwingli beibringt, um Erasmus von Rotterdams Urtext des Neuen Testaments lesen zu können. Und ganz anders als die Sprache und Gedanken in den Briefen, die er mit zahlreichen Gelehrten wechselt. Der Bauernsohn aus dem Toggenburg holt die weite Welt ins Bergtal. Und einen Splitter des Kreuzes Christi. Dafür erweitern die Glarner ihre Pfarrkirche um eine Kreuz-Kapelle, die im Volksmund noch lange Zwingli-Kapelle heissen wird. Weniger baufreudig war die Pfarrei dagegen beim Pfarrhaus. Dessen Zustand ärgert Zwingli während seiner ganzen Amtszeit. Ebenso ärgert ihn, wie nach der Schweizer Niederlage in Marignano die Eidgenossen mit den Franzosen einen «ewigen Frieden» schliessen. Zwingli, der Trommler des Papstes, lehnt das Abkommen ab – wortgewaltig und unerschrocken. Folge: 1516 wird er in Glarus für drei Jahre beurlaubt und wechselt an einen der grössten kirchlichen Hotspots: das Kloster Einsiedeln. Geplant ist: Zwingli wartet dort, bis sich die Gemüter in der Franzosenfrage beruhigt haben und kehrt dann wieder auf seinen Posten zurück. Doch daraus wird nichts.
Ein heiliger Zorn
Das geschäftstüchtige Treiben in Einsiedeln mit der Volksfrömmigkeit erzürnt Zwingli zunehmend. Und wieder schweigt er nicht. Kann und will nicht schweigen. Er predigte am Wallfahrtsort gegen Wallfahren. Legte sich an mit dem durch die Schweiz tourenden päpstlichen Ablassprediger Samson. Forderte die Bischöfe von Konstanz und Sitten auf, dafür zu sorgen, dass sich die Kirche genauer am göttlichen Wort ausrichte. Zornige sind unbequem. Menschen im Heiligen Zorn ganz besonders. Zorn verändert den Zornigen. Der Heilige Zorn ganz besonders.
Zwingli wird vom Propagandisten des Papstes zum immer heftigeren Kritiker der kirchlichen Zustände.
Und, für den weiteren Verlauf genau so wichtig: Er, der zu seiner Glarner Zeit erfolgreich dafür gekämpft hatte, dass die Burschen des Standes als Söldner für den Papst in die Kriege zogen, wendet sich unterdessen auch gegen das Reisläuferwesen.
Diese Haltung gefällt der Zürcher Regierung. Weil es ihrer eigenen entspricht. Und sie holt Zwingli als Leutpriester an den Grossmünster-Stift. Das Grossmünster! Dieses Grossmünster. Der zweitwichtigste Stift im Bistum Konstanz, gleich nach der Kathedrale. Welche Bühne für Zwingli! Und wie er sie zu nutzen weiss! Seine Auslegungen des Evangeliums überzeugen Volk und Obrigkeit gleichermassen.
Ein katholischer Aufstand
Zwingli wird immer mutiger und seine Kritik an den herrschenden Kirchenzuständen immer radikaler im Wortsinn. 1522 erscheint seine Abrechnung mit dem Fastenhalten. Beim legendären Zürcher «Wurstessen» am 9. März dieses Jahres ist er zwar dabei, beisst aber all seiner theologischen Rechtfertigungen zum Trotz an diesem Fastensonntag (noch) nicht in die Wurst. Doch die Provokation sitzt, die Lunte brennt. Aus den drei Zürcher Disputationen geht Zwingli mit seinen Ansichten als Sieger hervor.
Januar 1523 («Ketzerei»), Oktober 1523 («Bilderverehrung»), Januar 1524 («Messe»): Zwingli vs. Katholisches Establishment 3:0.
Am 19. April heiratet Zwingli Anna Reinhart. Der Rest ist geteilte Kirchengeschichte – katholische und reformierte. Und auch Landesgeschichte: Zwinglis Zürcher Bibel erscheint fünf Jahre vor jener Luthers. Und anders als jener will Zwingli nichts von einer Aufgabenteilung von Kirche und Staat wissen. Auch hier bleibt er zeitgenössisch katholischer, als ihm eigentlich lieb sein kann. Unter Anleitung Zwinglis reformiert Zürich nicht bloss seine Kirche, sondern auch Schul- und Eherecht. Die ebenfalls von Zwingli angeregten Sittengesetze sind heute zwar im Detail kaum mehr bekannt, dafür aber sprichwörtlich.
Ein reformierter Kreuzzug
Es sind Jahre des kirchlichen Aufruhrs mit politischen Folgen. Im Verbund mit äusseren Mächten stellen die reformierten und die katholischen Orte ihre Armeen zusammen. Der erste Zusammenstoss 1529 ist noch keiner und endete mit der Kappeler Milchsuppe friedlich. Der Friede hält nicht lange. Zwingli will – nachdem alles Disputieren nicht half – die Reformation mit dem Schwert in der katholischen Innerschweiz durchsetzen. Ein innereidgenössischer Kreuzzug quasi, auch dies ein durchaus katholisches Konzept. Wenn auch keines, auf das man heute Stolz sein kann. Zwingli kann den Zürcher Rat vom Kriegszug überzeugen. Doch diesmal gibt es keine Milchsuppe bei Kappel am Albis, sondern ein Massaker. Am 11. Oktober 1531 schlagen die katholischen Truppen die reformierten vernichtend. Zwingli kämpft mit. Als Soldat, nicht als Offizier. Er wird gestellt, getötet, gevierteilt und verbrannt.
Zwingli wurde 47 Jahre alt. 41 Jahre davon hat er gelernt, gewirkt und gestaltet. Bis auf sieben Jahre alles innerhalb der römischen Kirche. Und auch danach noch katholischer, als es auf den ersten Blick scheinen mag.
Überlebensgrosse Zwingli-Figuren stehen in den nächsten Monaten in allen Zürcher Stadtkreisen. Sie sind Teil des Projekts «Zwingli-Stadt 2019», in dem Zwingli 500 Jahre nach der Reformation das Gespräch mit den Menschen der Stadt Zürich sucht. Das Projekt trägt auch die Katholische Kirche im Kanton Zürich mit.
Den Auftakt der Zwingli-Gsprööch macht zum «Bischofs-Zwingli» eine Diskussion zwischen Abt Urban von Einsiedeln, Synodalratspräsidentin Franziska Driessen-Reding, dem christkatholischen Bischof Harald Rein und Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist. 23. August, 18.30 Uhr, Wasserkirche. Anschliessend Einladung zum Apéro mit Zwingli-Wurst und Zwingli-Bier.
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