Zeit, Kirche neu zu denken
Gerne trinke ich in einem Café, das an meinem Arbeitsweg liegt, einen Kaffee. Die Frauen, die das Café führen, kennen die meisten der Gäste. Sie sehen es einem an, ob es gerade gut läuft oder ob sich Sorgen im Herzen verbergen. Anteilnahme spüre ich heraus und Wertschätzung allen gegenüber. Auch ich fühle mich wohl da, manchmal nur kurz oder länger. Auch schon habe ich mein «Büro» dorthin verlegt. Jetzt ist das Café zu. Den Kaffee «to go» bekomme ich zwar, aber der Ort fehlt, das Stückchen Heimat.
«Der Vergleich hinkt, wie fast alle Vergleiche, und doch: Ist es nicht DIE Frage, die uns als Kirchenleute beschäftigen muss?»
Für mich ist dieses Café auch ein wenig Kirche. Der Vergleich hinkt, wie fast alle Vergleiche, und doch: Ist es nicht DIE Frage, die uns als Kirchenleute beschäftigen muss? Wie sind wir als Kirche im Leben präsent? Die Corona-Zeit bringt vieles an den Tag. Ist es getan, wenn wir unsere Gottesdienste aufrechterhalten? Jesus selbst hat sich unter die Menschen begeben und nachgespürt, was sie brauchen: Brot und Nähe, Zuwendung, Begegnung, ein heilendes Wort.
Ein reformierter Pfarrer hat mir vehement widersprochen, als ich schrieb, dass wir die Sonntagsgottesdienste in unserer Pfarrei, solange Läden und Restaurants geschlossen bleiben, sistieren und damit auch ein Zeichen setzen möchten. «Kirche sollte Hoffnungszeichen sein und sich nicht verkriechen», schrieb er. «Wir verkriechen uns nicht», schrieb ich zurück. «Gerade haben wir einen Aufruf gestartet für Nothilfe in Zürich. Ein Dach über dem Kopf für Frauen, die als Prostituierte nicht mehr arbeiten können und darum ihre Zimmer nicht mehr bezahlen können. Einen zweiten Aufruf für Lebensmittelsäcke, die Schwester Ariane und ihr Team täglich an Bedürftige mitten in Zürich verteilen. Das Echo auf beide Aufrufe war riesig und bewegend.» Er schrieb zurück: «Das sehe ich anders. Gottesdienste sind im Moment das Einzige, was wir als Kirche machen können. Schade, dass du dies nicht positiv nutzt und an deren Wirkung glaubst.»
«Ich glaube auch an die Kraft des stillen Gebetes. Ich glaube aber auch, dass es Zeit ist, Kirche neu zu denken, nachzuspüren, was Menschen wirklich brauchen.»
Ich glaube durchaus an die Kraft, die von einem Gottesdienst ausgehen kann. Mit Betonung auf kann … Ich glaube auch an die Kraft des stillen Gebetes. Ich glaube aber auch, dass es Zeit ist, Kirche neu zu denken, nachzuspüren, was Menschen wirklich brauchen. Mit den einen beten und mit den andern einen Kaffee trinken und dabei dem Leben auf die Spur kommen – und wieder andere brauchen dringend ein Lebensmittelpaket, einfach ein Lächeln, ein gutes Wort oder eine Hand, die hält. Gottesdienst hat viele Gesichter.
Diese Kolumne erschien erstmals am 30.01.2021 im Landboten
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