Bekenntnis einer verhinderten Priesterin «Yes, I am»
Barbara Lehner segnet und salbt, sie steht bei in der Trauer und feiert das Gottesgeheimnis. Das alles darf die Theologin aber nicht in der Kirche tun. Betroffen reagiert sie deshalb auf den bischöflichen Brief, der auf die Einhaltung der geltenden Kirchenregeln pocht.
13. Januar 2023
Zum Jahresbeginn haben alle Seelsorgenden der Deutschschweizer Diözesen einen Brief ihrer Bischöfe erhalten. In diesem Neujahrsschreiben werden sie aufgefordert, die geltenden liturgischen Regeln nicht zu überschreiten und vor allem sollen nichtgeweihte Männer und Frauen keine Handlungen vornehmen, die einem geweihten Priester vorbehalten sind. Besonders bei katholischen Frauen hat dieser Brief tiefe Betroffenheit ausgelöst, weil Frauen nach wie vor von der Priesterweihe ausgeschlossen sind. Frauen bleibt priesterliches Wirken in der Kirche untersagt.
Barbara Lehner* ist eine betroffene Frau. Der katholischen Theologin und Seelsorgerin blieb zusätzlich eine Anstellung in der Kirche verwehrt, weil sie zu ihrer Liebe zu einer Frau stehen will. Deshalb wirkt Barbara Lehner als freiberufliche Theologin ausserhalb der Kirche. Als Reaktion auf das bischöfliche Liturgieschreiben hat sie folgenden Text verfasst.
Yes, I am
ja, ich bin
ich bin, die ich bin
geweiht vom volk
gerufen
im innersten
vom
ich bin, der:die ich bin
ja, ich bin
ich bin eine von denen
die gegangen sind
weil sie keine
hoffnung und zukunft
mehr sahen
in dieser kirchenstruktur
die wandel und wandlung
verhindert
ich bin eine von jenen
die sich gerufen fühlten
zum dienst
die sich ausbilden liessen
wie die geweihten
und die hofften
die begeisterung
einbringen zu können
ich bin, die ich bin
und mag mich nicht
verstecken
kleinducken
anpassen
ja, ich bin, die ich bin
und lebe
mein charisma
meine berufung
meinen glauben
jenseits
der struktur
ich brauche
keine kanzel mehr
um das befreiende
hoffnungsvolle wort
zu verkünden
ich brauche
keinen altar mehr
um die zeichen
der gottesnähe
zu segnen
zu teilen
ich brauche
keine liturgischen kleider
und keinen status mehr
um die gegenwart des göttlichen
in diese welt zu tragen
ich brauche
keine beauftragung mehr
um trauernde zu trösten
und tote zu begraben
um seelsorge zu leben
im begleiten von menschen
yes, i am
ja ich bin
ich bin eine von denen
die gegangen sind
weil die luft zu dünn
und der geist zu eng
wurde
in dieser
katholisch
allumfassenden
kirche
in dieser kirche
deren geist
und ausrichtung
wesentlich
vom glaubenshüter
und späteren papst
josef ratzinger
und seinem vorgänger
johannes paul II
geprägt wurde
der radikal
zurechtstutzte
anprangerte
und ausschloss
was der freie geist
wagte
an lebendigkeit
in wort und tat
im heute gottes
der mit
ängstlicher ausrichtung
inquisitorisch
auf die eine reine lehre
auf die eine reine kirche
auf die eine reine
lebens- und liebesform
pochte
wo doch
das gottesgeheimnis
dreifaltig
dreieinig
sein kann
und
vielstimmig
lebt
liebt
und wirkt
der
wie im aktuellen
bischofsschreiben
das lebendige wirken
des geistes
zähmen und brechen
wollte
und zurückstufen
zugunsten einer
weltkirche
die doch
bitteschön
uniform
bleiben sollte
der preis dafür
ist hoch
denn
wir sind viele
die gegangen sind
barbara lehner am 10. Januar 2023
* Zur Person:
Die Walliserin Barbara Lehner (55) studierte in Freibung i.Ue. katholische Theologie und Ethnologie. Da sie offen zu ihrer Liebe zu ihrer Frau stehen wollte, wurde sie für eine Seelsorgestelle abgelehnt. Weil in der offiziellen Kirche kein Platz für sie war, bietet sie mit ihrer Partnerin Antoinette Brem unter dem Label Lebensgrund als freiberufliche Seelsorgerin Trauerbegleitung, spirituelle Beratung und Ritualgestaltung an und bildet Interessierte in diesen Bereichen aus. Das Motto der beiden Theologinnen: «Unsere Angebote fördern die Grundhaltung von Akzeptanz der Vielfalt von Leben und befähigen zu Selbstsorge und solidarischem Mitmenschsein.»
Barbara Lehner lebt mit ihrer Partnerin in Luzern. Den hier veröffentlichten Text hat sie als Reaktion auf den Brief der Deutschschweizer Bischöfe verfasst, die zum neuen Jahr ihre Seelsorgenden anmahnen, die geltenden liturgischen Regeln einzuhalten. Barbara Lehner publizierte ihren Text zuerst auf ihrem Facebook-Profil. Wir dürfen ihn mit ihrem Einverständnis hier wiedergeben.
Wirkliche und somit wirkende Berufung kommt aus der eigenen inneren Quelle - aus der Wahrhaftigkeit des Seins in Verbindung mit der Göttlichkeit, die uns ins Leben berufen hat und uns damit bereits ermächtigt hat, zu sein, wer wir sind. Diese Macht ist stärker als jede Institution und sie wirkt bestärkend, heilend, erleuchtend und lebensfördernd.
Welcher Gott könnte gegen Liebe sein?
Welcher Gott könnte gegen Diversität sein?
Die Schöpfung selbst ist Diversität.
Wer könnte gegen uns sein, wenn Gott für uns ist?
Danke liebe Powerfrauen, dass Ihr frei seid.
Danke für die starken Worte, liebe Barbara - mögen sie Augen öffnen und Geister befreien.
Die Kirchen, die den Wahrhaftigen/die Wahrhaftige preisen, sollten selbst wahrhaftig werden - es gibt nur eine Wahrheit und die ist Liebe. Durch Machtgehabe und rigide Strukturen und Regeln, durch Verurteilung und Ausgrenzung sowie mit der Angst, wird bestimmt nicht die Botschaft Jesus verbreitet.
Möchte die Kirche als Institution überleben, muss sie sich auf Augenhöhe mit den Menschen gehen und ihre Tore öffnen. Sie muss sich lösen vom Gedanken der Macht und der Klassifizierung und sich der bedingungslosen Liebe zuwenden und den Menschen die wahre Macht aufzeigen - nämlich die des eigenen Geistes, genährt von der Göttlichkeit, durch die Verbindung mit der eigenen inneren Quelle - der Schöpferkraft. Wir brauchen keine Regeln und Gesetze, sondern viel mehr Werte. Selbstverantwortung können wir übernehmen, wenn wir uns selbst, unsere Macht und unsere Werte kennen und uns dessen bewusst sind. Dann sind wir bereit für die Antwort die in uns liegt bzw. die wir selbst sind - SELBSTverANWORTung. Das ist die Antwort, welche die Kirche liefern sollte. Das ist was zum Leben befähigt - das Selbst in Gott oder Gott im Selbst. Das ist wahre Freiheit und Unabhängigkeit - die den kirchlichen Institutionen vermutlich selbst Angst macht, weil sie sich fragen, wo dann ihre Macht über die Menschen bleibt. Vielleicht wäre Vertrauen und wahre Liebe der bessere Ansatz als Macht? Nur so ein Gedanke!
Eine, die an die Religion glaubt und den Glauben an die Kirche (noch) nicht ganz aufgegeben hat - weil schlussendlich sind wir Menschen die Kirche.
Irene Ardüser
Liebe Barbara, liebe katholische Kirche,
Es wird Zeit, dass sein kann, wer ist.
So kann die Kirche vielleicht wieder glaubwürdig sein.
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