Kirche aktuell

Gedanken zum Festtag Allerheiligen Wer sind Heilige?

Synodalrat Tobias Grimbacher verfasst für die vor allem in Deutschland aktive Reform-Initiative «Wir sind Kirche» regelmässig kurze besinnliche Texte zu Feiertagen oder sonntäglichen Bibeltexten. Heute denkt er über das Fest «Allerheiligen» nach und was der Psalm 24 uns dazu sagt.
01. November 2022 Katholische Kirche im Kanton Zürich

 

«Dem Herrn gehört die ganze Erde
mit allem, was darauf lebt (…)
Wer hat Zutritt zum Berg des Herrn?
Was für Menschen dürfen heiligen Boden betreten?
Nur Menschen, die unschuldige Hände haben und ein reines Gewissen.
(…) So sind die Menschen, die nach Gott fragen und in seine Nähe kommen dürfen.
So sind die wahren Nachkommen Jakobs.»

aus Psalm 24 nach der Übersetzung «Gute Nachricht» 

 

Wer sind eigentlich Heilige? Diese Frage stelle ich mir, wenn ich mal wieder von einer Heiligsprechung höre, wenn ich zufällig auf Wikipedia einem Heiligen begegne, und natürlich besonders heute, zum Fest Allerheiligen.

Heilige sind Menschen, von denen wir glauben können und wollen (oder im Sinne einer lehramtlichen Dogmen-Kirche: glauben müssen), dass sie bei Gott sind. Dazu gehören Päpste, Kirchenlehrer, Ordensleute, Märtyrerinnen. Für mich gehört dazu auch meine Oma – so wie ich sie erlebt und in Erinnerung habe. Natürlich glaube ich gern, dass die mir allesamt unbekannten sechs Männer und vier Frauen, die dieses Jahr zu Heiligen gesprochen wurden, im Jenseits in Frieden leben. Aber von meiner Grossmutter glaube ich es lieber und unbedingter, und es ist für mich sogar persönlich relevant.

Psalm 24 nennt als Kriterium dafür, wer heiligen Boden, den Berg des Herrn betreten darf: «Menschen, die unschuldige Hände haben und ein reines Gewissen». Ein reines Gewissen alleine reicht also nicht, man muss das Gute auch tun. Ebenso reicht die gute Tat aus Versehen auch nicht unbedingt. Das ist ein hoher Anspruch. Niemand von uns – die offiziellen Heiligen nicht, und auch nicht meine Oma – hatten immer ein reines Gewissen und richtig gehandelt. Wenn der Psalmist schreibt, Gott «wird sie segnen und ihnen Hilfe senden», dann gilt das nicht nur für die Heiligen, die schon auf dem «Berg des Herrn» sind, sondern ist auch Zuspruch für uns, die wir uns redlich – und manchmal doch mit schlechtem Gewissen – bemühen.

Allerheiligenkirche in Zürich

Die Kirche Allerheiligen in Zürich wurde in den 1960ern in der Nähe eines grossen städtischen Friedhofs gebaut. Sie erhielt ihr Patrozinium auch im Vertrauen darauf, dass die Menschen auf dem Friedhof alle Heilige seien, egal ob sie nun reformiert oder katholisch oder etwas anderes sind. Ein schöner Gedanke, finde ich, als Grundhaltung. Natürlich hat die Allerheiligenkirche im Altarstein trotzdem eine Reliquie, einen kleinen Knochen irgendeines richtigen, heiliggesprochenen, Heiligen liegen, der die Verbindung zum Himmel herstellen soll, wie in jeder Kirche. Fast. Die Mönche im Kloster Engelberg haben auf eine solche Reliquie verzichtet. Ihr Altar steht direkt über der Krypta, in der die sterblichen Überreste der verstorbenen Mitbrüder aufbewahrt werden. Das genügt ihnen als Sicherheit, auch wenn kaum einer der Mönche, die dort liegen, formaler ein Heiliger ist.

Und noch etwas: Heilig ist man nicht alleine für sich selbst. Heilig ist und wird man in Gemeinschaft, wird man mit anderen und für andere. Heilige werden wir miteinander und aneinander - oder eben nicht.

«Dem Herrn gehört die ganze Erde mit allem, was darauf lebt.» In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen geheiligten Feiertag.