Raum der Stille im Sanatorium Kilchberg «Warum bin ich krank?»
Erst Badehaus, dann Gartenpavillon, jetzt Raum der Stille. Die Umgestaltung haben die beiden christlichen Kirchen mitfinanziert. Neben Stille und Rückzug wurde damit auf dem Klinikgelände des Sanatoriums Kilchberg auch die Feier von Gottesdiensten möglich.
Und das trotz des eher ungewöhnlichen Ambientes, das der etwa 25 Quadratmeter grosse Pavillon durch sein Deckenfresko verliehen bekommt. Thomas Manns «Zauberberg» ist dargestellt. Nackte Frauen am Strand – Protagonist Hans Castorp träumt von paradiesischen Gefilden. Thomas Mann selbst war 1912 zu Besuch in einem Davoser Sanatorium. Zwei Jahre später erschien sein Roman über die innere Suche nach dem Sinn in den Schweizer Bergen.
Das Ergebnis dieser Suche ist nicht gerade gottesfürchtig und doch nicht störend, um genau hier einen Gottesdienst zu feiern, sagt Seelsorger Stefan Arnold. Viele der Patienten, die den Raum der Stille aufsuchen, suchen ebenfalls nach Antworten, weiss Arnold. Die Fragen «Warum bin ich krank und wo ist Gott?» kämen sehr häufig.
Eine zufriedenstellende Antwort gäbe es darauf nicht. Aber selbst wenn es eine gäbe, würde sie dem Erlebten nicht gerecht, das Leiden nicht weniger, erklärt der Seelsorger. Häufig sei auch das Thema Trauerbewältigung – nach Schicksalsschlägen wie dem Tod nahestehender Angehörigen. Jede Klinik sollte einen solchen Raum der Stille haben. Schliesslich sei Seelsorge ein wichtiger Teil des angebotenen Behandlungsspektrums.
«Die Leute brauchen keine frommen Sprüche, sondern Hoffnung.»
Auch wenn die Gottesdienste und Gesprächskreise am Mittwochabend auch von zwei christlichen Seelsorgern betreut werden, reformiert und katholisch, soll der Pavillon am Ende des Klinikparks für alle Konfessionen offenstehen. Kontakt zu einem muslimischen Seelsorger kann bei Bedarf hergestellt werden.
Deshalb wurde bei der Neugestaltung bewusst auf religiöse Symbolik verzichtet, erklärt Tobias Ballweg, leitender Psychologe am Sanatorium Kilchberg. Alle Patienten seien eingeladen zum «Zauberberg» zu kommen und Abstand vom Alltag zu suchen und ihre Wünsche und Gedanken in das ausgelegte Buch einzutragen.
Von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends sind die Türen weit geöffnet. Nachts sei der Raum abgeschlossen, damit nichts beschädigt wird, sagt Ballweg. Insgesamt werde das Angebot aber sehr gut angenommen. Derzeit ist auch eine kleine Ausstellung im Raum der Stille zu sehen. Unter dem Titel «Ein Glück löste leuchtend vom Himmel sich los…» sind von einer ehemaligen Patientin gemalte Seelenlandschaften ausgestellt, die im Sanatorium entstanden sind.
Im Sanatorium in Kilchberg werden jährlich über 2300 Patienten und Patientinnen betreut. Auf den zehn psychiatrischen Stationen arbeiten rund 650 Beschäftigte. Gegründet 1867 von Johannes und Maria Hedinger als Pflegeanstalt Mönchhof-Kilchberg, entstand hier eine der ersten psychiatrischen Einrichtungen im Kanton Zürich.
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