Flüchtlingsschicksal in Zeiten von Corona Warten - worauf?
Was für uns menschlich, gesellschaftlich und wirtschaftlich eine grosse Herausforderung ist, ist für Flüchtlinge eine Verlängerung ihres Elends.
«Wir sind aus unserem Land geflüchtet, der Krieg vertrieb uns. Nun sind wir in der Schweiz, und jetzt ist da dieses Virus.»
Diese Worte sitzen. Sie wurden nicht vorwurfsvoll gesprochen, eher hilflos und traurig. Während ich aus meinem Trott herausgerissen wurde, meine Freiheit für den Moment eingeschränkt ist, weiss ich mich aber in einem staatlichen und gesellschaftlichen Gefüge gehalten. Das heisst nicht, dass ich mir nicht Sorgen mache um mir nahestehende Menschen, die an der gesundheitlichen und ökonomischen Krise leiden. Aber für Flüchtlinge, die diese Tage mit uns erleben, stellen sich noch einmal ganz andere Fragen.
Jung, fremd...
Da ist die Minderjährige, die in den letzten Monaten viel Stärke bewiesen hat. Sie kommt aus einem Flüchtlingscamp in Griechenland. Ihre Familie ist noch dort. Die Eltern haben viel Geld bezahlt für einen Schlepper. Als sie hier ankam wollte sie nur eines: Lernen! Sie ging zur Schule, lernte auch am Wochenende mit einer App auf dem Handy deutsch. Sie bekam eine vorläufige Aufenthaltsbewilligung aber ihr wurde auch gesagt, dass ihre Familie nicht nachkommen könne. Sollte sie nun glücklich sein über den Bescheid oder traurig, dass sie ihre Familie noch lange nicht sieht, wenn überhaupt je wieder?
...und mit ungewisser Perspektive
Kurz nachdem der Bundesrat den Lock down beschlossen hat, ruft sie mich an. Sie weint und teilt mir mit, dass sie nun in einen anderen Kanton verlegt wurde. Die gute Nachricht ist, dass sie aus dem Bundesasylzentrum in ein kantonales Asylzentrum verlegt wurde, was einen weiteren Schritt der Integration möglich macht.
Die schlechte Nachricht ist, dass die momentane Situation einen Kontakt mit anderen Menschen sozusagen verunmöglicht. Auch ich kann sie im Moment nicht besuchen. Einmal mehr wurde sie in ihrem jungen Leben aus ihrem bekannten Umfeld herausgerissen – wie schon so oft auf ihrer jahrelangen Flucht – sie ist isoliert an einem Ort den sie nicht kennt, unter ihr fremden Menschen mit einer ungewissen Perspektive.
Was ist Isolation?
Eine wahrhaft andere Isolation als meine Quarantäne in meinen eigenen vier Wänden mit Computer und Büchern, netten Nachbarn und Freunden, die anrufen. Allein in einer fremden Umgebung, Eltern und Geschwister in einer desolaten Situation und immer in der Nacht die Traum-Bilder der Flucht: eingepfercht in einen Lastwagen, kaum Sauerstoff, dann das Camp mit Tausenden von anderen Flüchtlingen, und mitten drin die eigene Familie, der man nicht helfen kann. Hart für eine Achtzehnjährige.
Warten auf das Ungewisse
Inzwischen sind die Asylverfahren, bzw. die Interviews mit den Asylsuchenden ausgesetzt, jetzt geht gar nichts mehr.
Einmal mehr ist nur warten angesagt, aber nicht warten, dass wieder Normalität einkehrt, sondern warten auf das Ungewisse.
Das musste ich auch jenem Mann erklären, der die Seelsorge sprechen wollte, weil er – endlich in einem freien Staat – christliche Mitbrüder und Mitschwestern kennen lernen wollte. Da wo er herkommt, gehörte er als Christ einer verfolgten Minderheit an. Nun ist er in der Schweiz angekommen und sehnte sich nichts so sehr, als mit einer christlichen Gemeinschaft Gottesdienst zu feiern. Als ich ihm sagte, dass das nicht geht, weil zur Zeit keine Gottesdienste stattfinden, verstand er die Welt nicht mehr. Keine Gottesdienste in der Schweiz, in einem freien Land? Ich erklärte ihm die Situation, dass es nichts mit Glaubensfreiheit zu tun habe, sondern ein Virus, eine Krankheit schuld sei an dieser Massnahme. Auch ihm bleibt nun nichts anderes übrig als zu warten auf den Moment, an dem er mit Brüdern und Schwestern seinen Glauben feiern kann.
Warten auf Normalität
Alle warten wir in diesen Tagen auf Normalität. Nur ist meine Perspektive was Normalität ist eine andere als die der Flüchtlinge. Gleich bleibt die Sehnsucht, Sehnsucht nach gelingenden Beziehungen, nach Sicherheit, auch ökonomischer Sicherheit und der Wunsch nach Gesundheit.
Ich bin zuversichtlich, dass es unserem Staat und unserer Gesellschaft gelingt diese Krise solidarisch durchzustehen, so dass wir entspannt in die Zukunft blicken können. Weniger zuversichtlich bin ich da für die Asylsuchenden, sie können weniger hoffnungsvoll in ihre Zukunft blicken. Ihre Sehnsucht nach einem gelingenden Leben braucht wohl noch einen längeren Atem als unser Warten auf das Ende der Corona-Krise.
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