Spital-Seelsorge in Pandemie Tragödien und zerbrochene Träume
Sabine Zgraggen ist Leiterin der Dienststelle und im engen Kontakt sowohl mit ihren Seelsorgerinnen und Seelsorgern als auch mit den Leitungen der verschiedenen Einrichtungen.
Aus den Eindrücken der Seelsorgenden: Wie ist derzeit die Lage in den Spitälern?
Jede Woche bekomme ich ein Update von den Regionalverantwortlichen. Letzte Woche begannen sich die Intensivstationen mit den COVID19-Fällen etwas zu leeren. Das war bis vor Kurzem wirklich anders. Aber was wir feststellen ist, dass viele Fälle viel schwerer verlaufen als im ersten Lockdown. Belastend ist die Betreuung der Angehörigen, die diesen rapiden Verlauf mit ansehen müssen. Ältere Menschen, die eigentlich sehr fit sind, sind innerhalb von wenigen Tagen am Sterben. In den Akutspitälern war die Seelsorge in den letzten acht Wochen extrem gefordert.
Wie läuft eine Betreuung der Angehörigen denn ab?
Wir gehen in die Intensivstationen, in die COVID-Stationen und sind im engen Kontakt mit der Pflege. Vor Ort darf ein Angehöriger mit einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger am Krankenbett stehen. Wir versuchen den Gedanken aufrecht zu erhalten, dass die Patientinnen und Patienten Biographien haben, die jetzt einen Bruch erfahren. Das sind eben nicht nur Fälle – sondern Tragödien, auch wenn es ältere Menschen betrifft, aber auch 60-65jährige. Sie hatten Pläne und Träume, stehen in Beziehungen. Diesen schnellen Abbau mitzuerleben, ist erschütternd. Wir versuchen innezuhalten und das zu würdigen. Die Pflegenden und Ärzte sind sehr dankbar, dass wir uns dafür die Zeit nehmen.
Wie geht es dem Personal in den Akutspitälern?
Der Marathon, der seit fast einem Jahr läuft, zehrt an den Kräften. Die Hoffnung, dass die Auswirkungen der Pandemie abflachen und vorbeigehen, ist definitiv vorbei. Jetzt scheint es eine «Dauereinrichtung» zu sein, das Licht am Ende des Tunnels ist noch nicht zu sehen. Der Durchhaltewillen ist sehr stark herausgefordert. Von Pflegedirektionen habe ich gehört, dass aufgrund der täglich neuen Planungen bestehende Teams auseinandergerissen wurden – das ist nicht ohne und verschlechtert die Arbeitszufriedenheit. Die Fluktuation beim Personal ist weiterhin hoch, es gibt keinen Nachschub auf dem Markt beim Pflegepersonal, heisst es. Jetzt muss eine Klinik das Wunder leisten, auch noch rentabel zu arbeiten, nachdem im letzten Jahr viele Eingriffe, die Geld bringen, abgesagt werden mussten. Das ist eine grosse Belastung, auch für die Spitaldirektionen und die Gesamtleitungen, die die Bettenplanung machen. Sie machen einen Wahnsinns-Spagat.
Spitalseelsorger Bernd Siemes bei einem Patientenbesuch im Universitätsspital Zürich
Die psychischen Probleme nehmen momentan ebenfalls stark zu – hat dies Auswirkungen für die Arbeit der Seelsorgenden in den Kliniken?
Es ist eine Zusatzbelastung wahrnehmbar in dieser Pandemie-Situation. Viele Vorbelastete leiden zusätzlich, zum Beispiel Menschen mit Angststörungen oder Depressionen. Sie sind empfänglich für die Pandemie-Thematik. Viele Möglichkeiten zur Lebensgestaltung sind ja auch nicht mehr möglich, so fehlt Beschäftigung und Ablenkung. Die Psychiatrien sind voll und haben die Kapazitätsgrenzen erreicht. Die psychisch Kranken trifft es besonders. Es gibt auch ein soziales und seelisches Sterben.
Die Nachfrage nach Seelsorge hat sich auf allen Ebenen gesteigert – auch weil weniger Kontakte und Besuche möglich sind. Überall sind die Schutzmassnahmen hoch, aber bei Bedarf können wir persönlich vorbeigehen. Wir fangen viel auf. Das läuft sehr gut.
Wie geht es den Mitarbeitenden in den Psychiatrien?
Es gibt Patienten, die brauchen viel Bewegung, Berührung und Gespräche. Wenn man innerlich im freien Fall ist, dann braucht man einen physischen Halt. Die Pflegenden sind immer in der Spannung, dass sie dies meist aufgrund der Abstandsregelungen nicht so gewährleisten können, wie sie möchten. Es ist eine Frage von Nähe und Distanz. Jetzt ist man zurückgebunden und muss trotzdem Nähe vermitteln. Das ist für alle Beteiligten eine Herausforderung.
Wie ist die Stimmung gegenüber der Seelsorge?
Der erste Lockdown war unsere Feuerprobe. Jetzt sind alle in den Spitälern froh, dass wir dabei sind, dass wir im Betrieb integriert sind, dass wir Seelsorge auch für Mitarbeitende anbieten. Die Zusammenarbeit hat sich bewährt. Die Spitalseelsorge dient wirklich allen und kann als eine Art «Joker» eingesetzt werden.
Praxistipp einer Spitalseelsorgerin, wenn der Lockdown runterzieht?
Wir müssen derzeit sehr auf uns achten. Alle Seelsorgenden haben eine gewisse Sorge, dass sie jemanden anstecken könnten oder auch selbst erkranken. Es ist wichtig, alle Abläufe ganz bewusst zu machen und sich Ängste einzugestehen, dies auch zu formulieren und darüber zu reden. Wir müssen und können nicht alles im Griff haben. Man kann sich selbst ein Coaching oder eine Beratung gönnen. Da gibt es inzwischen super Angebote auch online.
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