Kapuziner verlassen Zürich Mit dem Wegzug der Kapuziner endet eine Ära
Für die Züglete haben jüngere Mitbrüder tatkräftig angepackt und Kisten geschleppt. Mit dem Umzug ins Kloster Wesemlin in Luzern wird Willi Anderau nun schrittweise in seine neue Aufgabe als Guardian des Klosters eingeführt. In dieser Funktion ist er für das Personal, für die Wirtschaft, für den gesamten Betrieb zuständig.
Sündige Stadt gefährdet Seelenheil
Willi Anderau war selbst nie auf Hausmission, seine Hauptaufgabe war die Medienarbeit. Trotzdem erinnert er sich bestens an das Konzept der Hausmission, das eigentlich von den Kapuzinern in Zürich «erfunden» und entwickelt worden war. Damals waren die Katholiken hauptsächlich in der Innerschweiz beheimatet, Zürich war tiefste Diaspora:
«Aus innerschweizer Sicht gesehen haben die Katholiken im sündige Stadtsumpf ein eigenes Bewusstsein entwickelt. Die Kapuziner haben sich um deren Seelenheil Sorgen gemacht und gefunden: Die müssen wir betreuen.»
Wer hat die Hausmission erfunden? Die Kapuziner!
Die Kapuziner haben es sich zur Aufgabe gemacht, den distanzierten Gläubigen nachzugehen. Sie haben mit den Pfarreien verhandelt und einen offiziellen Auftrag bekommen, auf Hausmission zu gehen. Mit den Pfarreiadressen in der Hand haben die Kapuzinerpatres systematisch die Strassen abgeklappert und haben Haus für Haus besucht. «Man stelle sich das heute mal vor: Am Anfang sind sie spontan und in der Kutte aufgetaucht», wundert sich Willi Anderau fünfzig Jahre später selber. Später haben sie ihren Besuch im Voraus angemeldet und waren dann auch zunehmend zivil gekleidet unterwegs.
Wer hat die Geh-Hin-Kirche erfunden? Die Kapuziner!
So manche Türe wurde gar nicht geöffnet oder wieder zugeschlagen. Trotzdem sind sehr viele Gespräche mit kirchenfernen Menschen zustande gekommen. «Gerade Menschen, die sich von der Kirche distanziert hatten, haben es sehr geschätzt, dass jemand von der Seelsorge zu ihnen gekommen ist, Zeit hatte und im persönlichen Gespräch ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Nöte», weiss Willi Anderau.
«Die Kapuziner verkörperten im eigentlichen Sinn das, was Jahrzehnte später den Begriff der Geh-Hin-Kirche prägte. Diese Seelsorge war und ist Menschensorge.»
Selbstkritischer Rückblick und Ermunterung für die Zukunft
Im Rückblick betrachtet Willi Anderau einen Teil des Wirkens der Hausmissionare auch selbstkritisch: «Die Kapuziner waren bekannt dafür, dass sie viele Konversionen gemacht haben, damals mit der – aus heutiger Sicht nicht sehr ökumenischen - Absicht, den reformierten Teil zum katholischen Glauben zu bewegen.»
Gefragt, was die heute in der Seelsorge Verantwortlichen von damals lernen können, weiss Willi Anderau rasch eine Antwort:
«Lebt eine Geh-Hin-Kirche! Es reicht nicht, in die Kirche einzuladen nach dem Motto ‘Hier sind wir, kommt zu uns’, sondern geht den Menschen nach. Hört ihnen zu, wo der Schuh drückt, was die wirklichen Probleme sind.»
Die Erfahrung zeige nämlich, dass durch dieses Zuhören sich auch die Seelsorger selber verändern.
Willi Anderau – eine unbequeme Stimme
Mit etwas Wehmut nimmt Willi Anderau dann doch Abschied von Zürich, denn das Stadtmilieu, in dem er aufgewachsen ist, wird ihm fehlen, ebenso viele Beziehungen und Verbindungen. Oftmals war er als Medienfachmann in der Öffentlichkeit das Gesicht und eine unbequeme Stimme der Kirche, nicht immer zum Gefallen der Kirchenoberen.
«Ich habe immer versucht, in der Medienarbeit der Kirche ein anderes Gesicht zu geben. Ich bin katholisch und gleichzeitig Vertreter der Kirche, sehe aber auch problematische Seiten der Kirche. Unter dem Klerikalismus und auch unter dem Formalismus der Ökumene leide ich bis heute.»
Ihm ist bewusst, dass er als Priester und Seelsorger in der Öffentlichkeit vieles zur Sprache bringen konnte, das Pfarrei-Seelsorgenden Probleme mit dem Bischof beschert hätte: «Als Ordensmann war ich da freier und ich habe mich verpflichtet gefühlt, diese Chance wahrzunehmen.»
Ein leiser Abschied und ein grosser Wunsch
In den letzten Jahren sind die Kapuziner langsam aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwunden. Sie hatten keinen Nachwuchs mehr und auch die Kräfte schwanden. So gibt es jetzt einen internen und leisen Abschied.
Welchen Wunsch lässt Willi Anderau in Zürich zurück, in der Hoffnung, dass er hier oder dort offene Ohren findet?
«Eine grosse Freude wäre es natürlich, wenn sich wieder mehr jüngere Leute für Ordensleben oder Kapuziner interessieren würden. Ich hatte ein schönes Leben, die Arbeit und das Ordensleben haben mich erfüllt. Ich bedaure es, dass die Orden aus der Wahrnehmung verschwinden.
Jede Generation muss Kirche auf ihre Art leben. Und keine Generation hat das Recht, der kommenden vorzuschreiben, wie sie zu leben hat.»
Sagts und macht sich auf Richtung Luzern.
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