Mystiker von Flüe wieder im Kino Mein Bruder Klaus
Im Dezember 1991 gelangte mein Kinodokumentarfilm «Bruder Klaus» erstmals in die Kinos. Der Film wurde in den Jahren 1988 bis 1991 im 16mm-Filmformat gedreht. Mein zweiter Film nach «Rothenthurm – Bei uns regiert noch das Volk», einem «Interventionsfilm».
Ende der 80er Jahre war der Kalte Krieg an sein Ende gekommen, aber in der offiziellen Schweiz war davon noch nicht viel zu spüren. Das Land ehrte mit den «Diamant-Feiern» die Aktivdienst-Generation, die Armee-Abschaffungs-Initiative der GSOA wurde in die kommunistische Ecke gedrängt, die Fichen-Affäre stand vor der Tür und Max Frisch schrieb kurz vor seinem Tod noch vom «verluderten Staat». Mit der Figur von Niklaus von Flüe hatte ich nichts am Hut. Selbstverständlich war er mir ein Begriff als «Landesheiliger», und unter der Leitung des Dorfpfarrers sind wir Erstkommunikanten seinerzeit nach Sachseln gepilgert, wo wir in der Kirche die Kutte des Heiligen berühren und in seiner Zelle im Ranft das «steinerne Kopfkissen» bewundern durften.
Vision und Vielseitigkeit
Jahre später bin ich zufällig auf Hans Rudolf Hiltys erzählerische Recherche «Bruder Klaus oder Zwei Männer im Wald» gestossen. Im Zentrum des Buches steht die Brunnenvision. Bisher hatte ich noch nie davon gehört, dass Niklaus von Flüe Visionen gehabt haben soll. Theologen und Historiker haben sie in ihren Sekundärwerken kaum je erwähnt. Sie passten nicht ins Bild des entrückten Neutralitäts-Heiligen und seinem angeblichen Spruch vom Zaun, der nicht allzu weit gemacht werden soll.
Hilty lieferte eine politische Interpretation der Brunnenvision. Grob gesagt, kritisiert sie die Käuflichkeit der Behörden und die Geldmacherei bei Wallfahrtsorten. Hilty: Klaus habe nur noch «den einen Gedanken gehabt, er müsse zu den Leuten hinaus und ihnen klarmachen, dass sie beschissen würden.» Bruder Klaus habe sich aufgelehnt gegen das «Machtkartell der Obrigkeiten.»
Ich wollte mehr wissen und bin einerseits auf die Studien von Heinrich Stirnimann zur Mystik des Gottesgelehrten Bruder Klaus gestossen, vor allem zu seinem Betrachtungsbild mit dem sechsspeichigen Rad, und andererseits auf das Buch «Die Visionen des Niklaus von Flüe» von Marie-Louise von Franz. Sie hat seinerzeit eng mit C.G. Jung zusammenbearbeitet und deutet die Visionen als Tiefenpsychologin und ausgewiesene Kennerin der Alchemie. Klausens Visionen weisen laut von Franz «auf das Dunkle, Böse sowie die kosmische Natur und ihre Sinnoffenbarungen in synchronistischen Ereignissen» hin. Sie betont die «Naturbeziehung in Bruder Klausens Leben», die bewirkt habe, «dass er nicht nur den Typus des christlichen Heiligen abbildet, sondern dass er auch zugleich das alte Urbild des primitiven Medizinmannes, des nordischen Schamanen und des Propheten wieder verkörpert.» Wesentlich ist also «dieses In-die-Natur-Hineinreichen» als Ausgleich «zur beginnenden Entwurzelung des europäischen Menschen und seiner Naturentfremdung durch die Technik sowie durch den Verlust des christlichen Glaubens». Von Franz deutet die Brunnenvision unter anderem als «Wandlung des bloss natürlichen und somit unbewussten Menschen in ein bewusstes Wesen». In Bruder Klaus verkörperte sich der vergeistigte Heilige und der völlig mit der Natur verbundene, instinkthafte Mensch in einer Person.
Die Erkenntnisse und Interpretationen der Tiefenpsychologin, von Stirnimann und Hilty faszinieren mich noch heute.
Meine Beschäftigung mit Niklaus von Flüe machte mir klar, dass es in einem Film nicht darum gehen kann, den allzu eng auf die Rolle des Landesvaters reduzierten Menschen vom Denkmalsockel zu holen.
Die Möglichkeiten für einen Spielfilm lagen ausser Reichweite, und die Herausforderung bestand für mich darin, einen Menschen, der vor Jahrhunderten gelebt hat, quasi imaginär, indirekt und ohne theatralisches Reenactment vor die Kamera zu holen. Also beschränkte ich mich auf wirkungsgeschichtliche Aspekte und einige seiner Visionen.
Aus alt mach neu
Nach über dreissig Jahren, mit meiner entsprechenden Erfahrung als Filmemacher und den heutigen Möglichkeiten der digitalen Filmtechnik, ist für mich das Thema «Mystik» immer noch reizvoll, vielleicht ergänzt um Vorstellungen der «Alchemie». Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung von Memoriav, der Katholischen Kirche im Kanton Zürich, dem Kanton Obwalden und anderen Förderstellen, die es ermöglicht haben, dass mein «Filmzweitling», eigentlich mein Gesellenstück, digitalisiert, neu erschlossen und dem heutigen Kinopublikum zugänglich gemacht werden kann.
Bruder Klaus im Kino
Sonntag, 15. Mai: Kino Riffraff Zürich
Sonntag, 15. Mai: Kino Bourbaki 2 Luzern, 11 Uhr, anschliessend Gespräch mit Charles Martig (Direktor kath. Mediendienst), Cécile Vilas (Direktorin Memoriav) und Edwin Beeler (Filmregisseur)
Sonntag, 15. Mai: Kino Gotthard Zug, 14.30 Uhr, anschliessend Gespräch mit Pirmin Meier und Edwin Beeler
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