Zur Vatikan-Instruktion Grüsse aus der Vergangenheit
Aus heiterem Himmel, ohne Vorankündigung oder Pressekonferenz, hat die Kleruskongregation pünktlich zum Fest der Kirchenpatrone Petrus und Paulus am 29. Juni die Instruktion «Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche» veröffentlicht.
Beim Lesen dieses Dokuments fragte ich mich zunehmend: aus welchem Jahrhundert stammt dieses Schreiben, das Impulse geben möchte, «neue Wege zu suchen für die Verkündigung des Evangeliums»(Nr. 1)? Aus dem Jahr 2020 oder doch eher 1960?
Seit 33 Jahren wirke ich mittlerweilen hauptberuflich im pastoralen Dienst. Meine Ausbildung zum Pastoralreferenten absolvierte ich 1987-90 in einer Seelsorgeeinheit, bestehend aus 2 Pfarreien mit 5 Gemeinden.
Seit 1993 habe ich, zunächst an diözesaner Stelle im Erzbistum Freiburg, ab 2007 im Generalvikariat Zürich, das Thema Pastoralentwicklung im wahrsten Sinn des Wortes beackert. Ich habe mich diesbezüglich an Projekten beteiligt, viel experimentiert und sehr viel gelesen. Und nicht zuletzt habe ich eine Dissertation geschrieben, die sich aus Sicht der Organisationsentwicklung und den Dokumenten des 2. Vatikanischen Konzils mit dem aggiornamento, der Vergegenwärtigung von Kirche, ihrem missionarischen Auftrag und den dazu passenden Strukturen befasste.
Wirklichkeit ist kein Referenzpunkt
Wenn ich die aktuelle Instruktion lese, dann frage ich mich:
In welchem Jahrhundert leben denn die Verfasser?
Wie mutig muss man sein, so etwas mit mehr als 30jähriger Verspätung noch zu publizieren?
Und: Haben diese je als Priester die Verantwortung für die Leitung einer grösseren Pfarrei übernommen?
Als in den 90er Jahren heiss diskutiert wurde, ob und wie viele Pfarreien man aufgrund des zunehmenden Priestermangels «zusammenlegen» könne und dürfe, wäre so ein Papier an vielen Stellen hilfreich und für andere – gerade in der Schweiz – auch bremsend gewesen.
Meinem damaligen Erzbischof Oskar Saier wäre es voll reingelaufen. „Über meinen Klerus lasse ich nichts kommen“, hat er immer wieder betont. Und so klingt auch der durchgängige Tenor dieser Instruktion.
Erste Analysen mit Titeln wie «Nur Pfarrer dürfen leiten. Rom zementiert den Klerikalismus» und «Rom zieht Grenzen bei der Leitung Pfarreien» bringen den Inhalt der treffenden Kommentare auf den Punkt.
Allein in den drei Jahrzehnten, in denen ich mich nun intensiv mit diesem Thema befasse:
- was wurde da nicht alles geforscht, theologisch penibel extrahiert und interpretiert, mit Pfarreien und pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ob hauptberuflich oder ehrenamtlich, experimentiert?!
- Wie viele gute, voranbringende Erfahrungen wurden dabei gesammelt, angefangen bei den Gemeindeleitern und -leiterinnen in der Schweiz und anderswo bis hin zu den Beauftragten für den Bestattungsdienst und dieTrauerpastoral (bspw. im Erzbistum Freiburg und anderen Diözesen)?!
Und jetzt soll das alles zur Makulatur verkommen? Weil es nicht dem kanonischen Recht entspricht?!
Die Herausforderungen der Gegenwart sind in den ersten fünf Kapitel der Instruktion gar nicht so schlecht dargelegt. Statt jedoch das Kirchenrecht der Zeit anzupassen, sollen sie jetzt in das enge Korsett des katholischen Gesetzbuches gezwängt werden. Dieses Gesetzeswerk wurde 1987 approbiert und hat mittlerweile so viele Jahre auf dem Buckel wie ich praktische Berufserfahrung.
Ob man sich hinter den vatikanischen Mauern noch daran erinnert, dass es schon bei der Veröffentlichung etliche Proteste gab, da die «Volk-Gottes-Vision» viel zu wenig Berücksichtigung erfahren habe? Oder ist man immer noch geblendet von der Masse an Talarträgern in diesem Kleinststaat?
Klerikalistische Verengung
Regelrecht erschrocken bin ich, als ich in Nr. 66 lesen musste: «Ausgehend von den Bestimmungen des can 517 §§ 1-2 ist besonders darauf hinzuweisen, dass das Amt des Pfarrers nicht einer aus Klerikern und Laien bestehenden Gruppe übertragen werden kann.»
Das ist ganz klar ein Schuss in Richtung Trier, wo man ursprünglich das Leitungsteam der neuen XXL-Pfarreien einem Team übertragen wollte, in dem der Pfarrer vielleicht moderiert (wenn er dies denn kann…), aber nicht allein leitet. Dass das Leitungsmodell in St. Gallen dies seit einigen Jahren bereits mit Erfolg praktiziert, haben die Römer wohl noch nicht mitbekommen. In den Abschnitten Nr. 87 – Nr. 93 gehen die Verfasser dann nochmal ausführlicher auf diesen umstrittenen Canon des Kirchenrechts ein, um jeglichen «Schaden» zu vermeiden: an der Leitungsgewalt des Pfarrers bzw. moderierenden Priesters darf kein Körnchen entfernt werden. Deshalb: Bitte nur im alleräussersten Notfall Laien beteiligen und - wenn überhaupt - dann den Begriff «Leitung» tunlichst vermeiden! Oh, wie habe ich diese uralten Diskussionen satt!
Wo bleibt die von Papst Franziskus gepriesene Synodalität?
Das allerschlimmste an diesem Dokument kommt für mich jedoch ganz am Schluss: «Der Heilige Vater gar das vorliegende Dokument der Kongregation für den Klerus am 27. Juni 2020 approbiert.» Papst Franziskus, der sich bei jeder Gelegenheit dagegen wehrt, «Heiliger Vater» genannt zu werden, soll also tatsächlich damit einverstanden sein? Ich bekomme das mit meinem Bild von Franziskus nicht zusammen.
Am Anfang wird er selbst zitiert mit dem wegweisenden Wort: «Ich hoffe, dass uns mehr als die Angst, einen Fehler zu begehen, die Furcht davor bewegt, uns einzuschliessen in die Strukturen, die uns einen trügerischen Schutz gewähren, in die Normen, die uns in unnachsichtige Richter verwandeln, in die Gewohnheiten, in denen wir uns ruhig fühlen, während draussen eine hungrige Menschenmenge wartet und Jesus uns pausenlos sagt: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ (Mk 6,37)» Dieser Papst, der die Situation von Pfarreien in Lateinamerika, die zum Teil flächenmässig so gross sind wie der Kanton Zürich, nur zu gut kennt, der soll das alles approbiert, gutgeheissen haben?
Vielleicht war es schon ein Fehler, überhaupt über dieses Dokument etwas zu schreiben. Vielleicht wäre es besser gewesen, es klammheimlich in die Schublade zu legen und es später, wenn niemand danach fragt, zu schreddern.
Aber ich kann und möchte solche «Instruktionen» einfach nicht ignorieren, vor allem, wenn unser bewährtes System in der Schweiz und in anderen Ländern so massiv bombardiert wird.
Und ich möchte Klarheit:
- Was gilt nun?
- Die Destruktivität mancher vatikanischer Dikasterien?
- Oder der mutige Aufbruch eines Papstes, dem ich bislang gerne gefolgt bin?
Auf Antworten bin ich gespannt.
Hochachtung vor Ihrer Ausbildung und Begleitung der Kirche. Es schmerzt mich aber trotzdem Ihre abwertende Haltung gegenüber der Instruktion. Eben wohl wird die Gemeindeleitung auch mit Laien ob Männer oder Frauen mit zu leiten sein. Das verbietet diese Instruktion nicht!
Es gibt aber keine Loslösung von kirchlichen Grundsätzen, indem man selbständige autonome Kirchgemeinde gründet, die mit der römisch katholischen Sukzession nicht übereinstimmt. Denn dann wäre das Rückkehr zur Reformation.
Kommentare anzeigen