Fastenzeit Fasten und zunehmen
Es war am Aschermittwoch als Pfarrer Willy Mayunda in Engstringen in seiner Ansprache einen Impuls gab, der mich seither begleiten sollte: «Worauf können wir verzichten, um einen Gewinn zu erzielen?»
Das besondere «Osterei»
Nur wenige Tage, nachdem ich den Blog «Null Bock auf Fasten» geschrieben hatte, legte uns Papst Franziskus ein Ei ins Nest: den neuen Bischof, Joseph Bonnemain, dessen Name (gute Hand) hoffentlich auch ein gutes Omen für das Bistum Chur sein wird. Am 19. März wird das Ei ausgebrütet sein und mit vielen anderen vertraue auch ich darauf, dass der neue ‹Hahn im Hof› für Ruhe und Ordnung sorgen wird, dass das Gackern der Hühner sich auf ein erträgliches Mass reduziert. Allein diese Entscheidung verführt mich dazu, auf weiteres Klagen (vorerst) zu verzichten und zumindest an Hoffnung und Zuversicht zuzunehmen.
Hinausgehen statt festgefahren
Ein absoluter Gewinn für meine diesjährige Fastenzeit ist das Buch «Die Zeit der leeren Kirchen» von Tomáš Halík. Es tröstet, wenn er an mehreren Stellen beschreibt, dass es in der Kirchengeschichte schon mehrmals Zeiten der ‹geschlossenen Kirchen› gab:
«Es wurden keine Messen gehalten, es wurden keine Sakramente gespendet, es wurde trotz der Anwesenheit eines Priesters nicht getauft, nicht geheiratet, nicht begraben. Als sich dies jedoch häufte, haben die Menschen allmählich eine persönliche Beziehung zu Gott gesucht und gefunden, sie haben den Glauben ohne institutionelle Stützen der Religion entdeckt.» (S. 75)
Anlehnend an Papst Franziskus beschreibt er das Bild von Christus, der an die Tür klopft (Offenbarung 3,20), aber eben nicht von aussen, sondern von innen!
Der auferstandene Jesus möchte hinaus und nicht länger in den Kirchenräumen eingesperrt bleiben.
Viele Gestalten der Kirche, viele Kirchen und Gottesdienste und Predigten in ihnen, viele verzerrten Bilder Gottes, der jetzt auch noch für diese Pandemie verantwortlich gemacht wird, der damit diese Ach-so-schlimm-gewordene-Welt straft, erinnern ihn an Grabmäler eines toten Gottes und eines toten Glaubens:
«Viele Täter grauenhafter Taten, denen unlängst die Masken einer eifrigen Frömmigkeit von Gesicht gefallen sind [oder gerissen wurden], einschließlich der vergötterten Gurus mancher Bewegungen in der Kirche, erinnern uns wiederum an die Worte Christi über die Pharisäer, die wie Gräber aussehen: von außen weiß und rein, innen voller Fäulnis.» (S. 86)
Aber statt zu klagen und zu verdammen sollen wir lieber in die Welt hinausgehen und dort Jesus wahrnehmen bzw. ihn auferstehen lassen:
«Denken wir an die am Coronavirus Erkrankten und ihre Nächsten, an die Ärzte und das medizinische Personal, aber auch an viele andere, die von der gegenwärtigen Situation hart getroffen sind, die sie sozial isoliert und ihnen viel Schwierigkeiten bereitet. Denken wir an sie nicht nur im Gebet, sondern bezeugen wir ihnen persönlich Nähe und aufrichtiges Interesse; bemühen wir uns im Rahmen unserer Möglichkeiten, den anderen zu helfen. Erinnern wir uns daran, dass der Dienst an den Bedürftigen ein nicht zu vernachlässigender Bestandteil unseres Gottesdienstes ist, des Dienstes an Gott.» (S. 63)
Diese Passagen und das gesamte Buch sind für mich wie Fett und Mark, an dem meine Seele satt wird (Psalm 63,6) und mich zunehmen lässt ohne es auf der Waage bereuen zu müssen.
Ostern mit mehr Gewicht
Ich freue mich auf Ostern. Aber ich meine damit nicht nur das liturgische Fest vom 1. April an, sondern jeden Tag, an dem Christinnen und Christen nicht nur streamen, sondern strömen, nicht lethargisch, sondern kreativ sind und hinausgehen, um Jesus Hand und Fuss und Herz zu geben.
Der kantonale Seelsorgerat hat im Januar zusammengetragen, was derzeit Pfarreien leisten:
- Mittagstische für Bedürftige vor Ort oder als Take-Away,
- Nachbarschaftshilfe von Jung und Alt,
- Einsammeln von Lebensmitteltaschen und
- Zubereiten von warmen Mahlzeiten und Entsenden von freiwilligen Helfern für Bedürftige auch ausserhalb der eigenen Kirchgemeinde,
- Vorlagen für Gottesdienste in der Familie,
- Stationen-Wege für Kinder und Erwachsene zu Ostern oder Advent und Weihnachten,
- Gottesdienste im Freien,
- neue Formen von Spiritualität und Ritualen,
- Online-Gottesdienste mit guter Regie und Qualität,
- gemeinsame Spaziergänge statt Sitzungen,
- Waldweihnacht und Lagerfeuer,
- Zeichen der Aufmerksamkeit wie Briefe und Karten,
- Weihnachtsessen nach Hause geliefert,
- persönliche Gespräche am Telefon mit oder ohne Bildübertragung,
- Bibelteilen im Chat, Kontakt auf dem örtlichen Markt oder im Einkaufszentrum…
All das und vieles mehr belegt, dass Jesus die Tür geöffnet, der Stein vom Grab weggewälzt wird und er auferstehen darf mitten in unserer Welt.
Ich schliesse mich sehr gerne den Worten der Präsidentin a.i. des Seelsorgerats, Angelika Hecht, an, die sie in einem Brief an die Pfarreileitenden und Präsidentinnen und Präsidenten der Pfarreiräte schrieb:
«Wir vom Seelsorgerat möchten uns herzlich bedanken für all das Engagement, ob hauptberuflich oder freiwillig, für all die kleinen und grossen Dienste, die in dieser Zeit von Ihnen geleistet wurden, gerade auch die verborgenen, die nicht in unserem Bericht erfasst oder durch die Presse gewürdigt wurden.»
In diesem Sinn können wir als Kirche auch weiterhin enorm zunehmen, auch nach der Fastenzeit oder nach der Corona-Pandemie, ohne es nur ein einiges Mal bereuen zu müssen.
Ich danke Frau Prof. Dr. Silvia Dorn für wertvolle Impulse zu diesem Blog als Reaktion auf «Null Bock auf Fasten».
Kommentare anzeigen