Schwester Veronika Ebnöther «Ich fotografiere einfach gern»
Schwester Veronika, was ist ein gutes Foto?
Eines, das beim Betrachten Emotionen auslöst, das inspiriert und berührt, das mich in meinem eigenen Lebensprozess weiterbringt.
Sie sind eine katholische Schwester und Fotografin, eine seltene Kombination. Seit wann fotografieren Sie?
Ich hatte in meinem Leben ein einschneidendes Erlebnis und habe mich deshalb für ein ganzes Jahr völlig von allem zurückgezogen. Das war 2012. Nach diesem Jahr spürte ich, dass ich den Menschen auf eine ästhetische Art von der Schönheit Gottes erzählen möchte. Die Fotografie lag mir da am nächsten. Ich bezeichne mich aber nicht als «Fotografin», ich habe auch keine Ausbildung darin. Ich fotografiere einfach gern.
«Der Mehltopf aus der Serie Kloster symbolisiert meine Vorliebe für das indirekte Licht. Das Licht trifft auf ein Objekt, das so wiederum zum Betrachtenden vom Licht spricht - also wieder ein Hinweis auf Gott. Auf das, was eben nicht im Bild und nicht sichtbar ist.» Foto: Schwester Veronika Ebnöther
Sind Ihre Bilder Ergebnis einer speziell weiblichen Sicht auf die Dinge oder vielleicht einer weiblich-christlichen Sicht?
Speziell weiblich würde ich nicht sagen. Die Sensibilität in der Fotografie können Männer genauso wie Frauen zum Ausdruck bringen. Aber speziell christlich vielleicht schon, auch wenn ich das nicht explizit für mich beanspruchen möchte. Aber natürlich, meine Bilder gründen letztlich in meinem christlichen Gottesbild. Von diesem Gott, an den ich glaube und dem ich mein Leben geweiht habe, möchte ich erzählen.
Ihre Bilder sind auf den ersten Blick sehr unspektakulär, Sie verzichten ganz auf imposante Effekte. Mir scheint, Sie suchen das Überraschende im scheinbar Unscheinbaren. Entspricht das Ihrer spirituellen Grundhaltung der Welt und den Menschen gegenüber?
Genau. Ich fotografiere Details, die andere oft übersehen oder nicht beachtenswert finden. Ich will den Blick verändern auf das scheinbar Unscheinbare, wie Sie es formuliert haben. Das trifft es gut. Das Unscheinbare ist wertvoll!
Wie verbinden Sie das mit ihrer täglichen Arbeit im Gefängnis, das ja eher ein dunkler Ort ist?
Ich arbeite im Gefängnis mit Menschen, die oft ausserhalb der Gesellschaft leben, die wir in unserem Alltag nicht sehen, denn sie sind ja weggesperrt. Sie fühlen sich oft wertlos, eben nicht beachtenswert. Ich versuche, in diesen Menschen das neu zum Blühen zu bringen, was zerschlagen und verschüttet ist, was Gott in ihnen angelegt hat, wie Er sie sieht, dass nämlich auch sie wunderschön sind, ein Abbild Gottes. Das versuche ich zeichenhaft in meinen Fotos auszudrücken. Das, was Menschen oft nicht sehen, versuche ich ins Licht zu setzen, zum Vorschein zu bringen. Auch die Gefangenen sollen erfahren dürfen, dass sie in den Augen Gottes wertvoll sind, dass Gott sie unbedingt liebt.
Ihre Bilderserie für unseren Jahresbericht trägt den Titel «Achtsamkeit». Ein Begriff, der ursprünglich aus dem Buddhismus kommt. Was verbinden Sie mit diesem Begriff?
«Achtsamkeit» ist zwar ein bisschen ein Modewort, aber ich habe bis heute keinen besseren Begriff aus der christlichen Tradition gefunden für das, was mir «Achtsamkeit» bedeutet: genau hinschauen, sich einlassen auf das Detail, in Resonanz mit dem Unscheinbaren treten, diesem Prozess die nötige Zeit und den Raum lassen. Nicht tausend Themen in ein Bild packen, sondern auf ein einziges Detail fokussieren und so entdecken, wie viel Reichtum und Schönheit in diesem Detail steckt.
Fühlen Sie sich in Ihrer Fotografie der kontemplativen «Miksang-Fotografie» verbunden?
Als ich zu fotografieren begann, habe ich Miksang gar nicht gekannt, insofern hat mich diese Kunstform auch nicht beeinflusst. Natürlich gibt es Parallelen zu meiner Art des Fotografierens. Ich brauche aber keine fernöstliche Ausformulierung, um meine Bilder zu beschreiben. Ich sehe mich selbst viel mehr in der Tradition der christlichen Mystik, die wiederum Parallelen zu vielem Fernöstlichen hat. Aber warum etwas Fernes aus einem völlig fremden Kulturkreis herbeibemühen, wenn es doch in den eigenen Wurzeln zu finden ist?
Haben wir in unserer christlich geprägten Welt hier Nachholbedarf?
Sicher! Wir leben in einer wahnsinnig schnelllebigen Zeit. Wir sind aber gar nicht gebaut für dieses Tempo. Wir brauchen unbedingt Entschleunigung. Ich möchte es mit einem Meterstab vergleichen. Darauf sind tausend kleine Millimeter-Striche eingezeichnet. Wir sind immer in der Versuchung, den ganzen Meter zu wollen, uns permanent abzurackern, weil wir alles wollen. Mir geht es um den einen, kleinen, winzigen Millimeter. Allein damit kann man sich ein ganzes Leben befassen, so viel gibt es in ihm zu entdecken!
Was bedeutet das für unser kirchliches Leben? Sollten wir da auch entschleunigen?
Unbedingt und vor allem auch entrümpeln. Die Strukturen vereinfachen, überflüssiges und ablenkendes Tamtam sein lassen, den Aktionismus bremsen und sich stattdessen auf das Wesentliche konzentrieren. Wir hätten die letzten zwei Jahre in der Pandemie die grossartige Chance dazu gehabt. Haben wir sie genutzt, uns zu besinnen? Oder soll jetzt alles so weitergehen, wie es vor Corona war? Singen wir, bildlich gesprochen, auch in Zukunft unverdrossen die gleichen langweiligen Lieder wie vorher? Die Pandemie ist noch nicht vorbei, die Chance auf Veränderung ist noch da.
Das Gespräch führte Simon Spengler.
Schwester Veronika Ebnöther (48) ist in Rüschlikon (ZH) aufgewachsen. Sie lebt nicht in einer klösterlichen Gemeinschaft, sondern als «Gottgeweihte Jungfrau» in freiwilliger Ehelosigkeit mitten in der Welt und will so Gott und der Kirche dienen. Schwester Veronika arbeitet seit 2014 als Gefängnisseelsorgerin in den Justizvollzugsanstalten Realta und Cazis Tignez (GR). Foto: Selbstporträt Schwester Veronika Ebnöther
Kommentare anzeigen