Auszeit im Haus der Stille Rheinau: Ruhe statt Ferien
Die Umstellung dauert nur einen kleinen Fussweg vom Dorf Rheinau auf die Klosterinsel: Eben noch habe ich mit dem Pfarrer und Mitgliedern der Kirchenpflege über ein neues Logo im Pfarrhaus debattiert. Jetzt sitze ich mit einem dicken Buch – ein Antiphonal – im Andachtsraum im „Haus der Stille“ im Kloster Rheinau. Das Buch hat einen Ledereinband, der selbstgemacht aussieht, und liegt gut in der Hand.
Um mich herum nur Frauen, alle haben Socken an den Füssen – die Schwestern in ihren hellbeigen Gewändern (Jeansstoff für den Sommer, erfahre ich später) führen den Chorgesang an. Zaghaft stimmen alle anderen ein. Auch ich versuche mich an den ungewohnten Gesängen, die nur entfernt an das erinnern, was ich als normale Kirchgängerin aus dem Gottesdienst kenne. Es ist Mittagsgebet im „Haus der Stille“ in Rheinau – ganz unter dem Dach ist der Gebetsraum, liebevoll dekoriert, mit Kissen und Decken unter den eher wenigen Stühlen. Ich bewundere die jugendliche Singstimme von Schwester Josefa und versuche mich in den Rhythmus einzufinden: Wann ist die Vorsängerin „dran“, wann die kleine Gemeinde von vier Frauen? Noch nie habe ich an so einem Mittagsgebet teilgenommen, auch vorbereitet habe ich mich kaum auf den Besuch – ich bin mir sicher, das hätte mir gut getan. So stehe ich da und versuche etwas auf mich wirken zu lassen, was ich nicht verstehe. Die Texte sprechen von Gnade und Unterstützung – das spricht meine pragmatische Ader an. Ja, Unterstützung kann ich immer gebrauchen, im Beruf, in der Familie – bei den vielen Aufgaben in der derzeitigen „Rush Hour“ des Lebens. Ich beobachte mich, werde ruhiger, fokussiert, langsamer. Und ja, ich lasse mich dann doch kurz von den Gebeten ablenken – denn, da ist noch eine Frau. Sie ist Gast wie ich und sie brummt inbrünstig mit, wirklich nicht schön. Weghören gelingt dann irgendwie doch. Willkommen sein – sich angenommen fühlen. Schnell ist das Gebet vorbei – ich war tatsächlich ein wenig zu spät. Aber Schwester Josefa öffnete mir trotzdem die Tür und hiess mich herzlich willkommen.
Ja – willkommen gefühlt habe ich mich im „Haus des Stille“. Nicht auf professionelle Art und Weise wie in einem gehobenen Restaurant oder Hotel. Nein mit echter Wärme, Zuneigung, Interesse, ohne Vorurteile…. Als vor Beginn des Mittagessen kurz gebetet wurde, alle warteten, bis jeder geschöpft hatte. Als die Suppe in Stille gelöffelt wurde, da dachte ich an die Mahlzeiten am Familientisch, an den unbändigen Hunger der Kinder nach Schule und Kindergarten, die das Essen jeweils kaum abwarten können… Ich nehme mir vor, auch zu Hause bei den Mahlzeiten, bewusst ein wenig zu „entschleunigen“.
Reden und still sein: Alles im „Haus der Stille“ rührt mich irgendwie: Die Hüllen mit Namen für die Stoffservietten, die zwei sorgsam genähten Taschen am abgetragenen Ledergürtel, in denen eine Schwester die portablen Festnetztelefone trägt, die Aufmerksamkeit untereinander, die offenen Augen und Ohren, die Stille, die gar nicht so ungewohnt und so schwer auszuhalten ist, wie ich gedacht hatte. Allerdings: Nur die Gemüsesuppe wird im Stillen eingenommen, danach darf auch beim Mittagessen geredet werden. Und das tu ich auch ausgiebig – zunächst mit einer jungen Mutter, die mehrmals im Jahr für drei Tage ins „Haus der Stille“ kommt. „Ich möchte etwas ganz anderes erleben als den Alltag zu Hause mit der Familie, den Kindern“, erklärt sie lebhaft. „Ich möchte auch durch das Beten hier Nähe zu Jesus bekommen. Das bedeutet mir viel.“ Ferien? Ich bewundere ihren Glauben und die Klarheit und Dringlichkeit, mit der sie formuliert. Sicher bedeutet ihr auch ihre Familie sehr viel.
Drinnen und draussen – das Leben im Kloster „Mutter Maria, die Reine“
Schwester Paula lebt seit über sieben Jahren im Kloster und hat vor wenigen Tagen ihre Ewige Profess, das Ordensgelübde, abgelegt. „Ich hatte eine gute Arbeit `draussen` und konnte tun, was ich wollte, aber das war es nicht, was ich gesucht habe“, erzählt sie mir, als wir durch den Rosengarten gehen, in dem die Blütenpracht des Frühsommers gerade am Verblühen ist. „Hier `drinnen` aber habe ich gefunden, tiefer zu Gott und zu mir selbst, vieles durfte heilen – es war die richtige Entscheidung“. Ich erschrecke über die Ausdrücke von „drinnen“ und „draussen“.
Ist das Kloster wie ein Gefängnis?
Schwester Paula lacht: „Auf keinen Fall.“ Am Anfang des Klosterlebens könne man jederzeit gehen, es ist eine Zeit der Prüfung und der Berufun. Man arbeitet lange Jahre an sich und auch an der Entscheidung zur Ewigen Profess. „Das ist ein Prozess, eine sehr intensive Vorbereitung, und natürlich gibt es auch einmal Unstimmigkeiten zwischen den Schwestern“. Sie erzählt von der Unterstützung der anderen Schwestern, von ihrem Namen im Kloster, den die Frauen sich in Abstimmung mit der Oberin selbst geben, weil eine besondere Verbindung zu diesem Namen oder Namenspatron entstanden ist. „Nach diesem Namen sucht man nicht, er kommt zu einem“, sagt Schwester Paula. Andererseits: Schwester Jacoba – meine Tischnachbarin zur rechten mit den feinen Gesichtszügen – hätte ihren Taufnamen gern behalten, aber auch sie hat einen speziellen Bezug zu ihrem Schwesternnamen. In den Pässen oder auf den Krankenversicherungskarten stehen die Taufnahmen der Schwestern.
Hotel? Nein. Gastfreundlich? Ja!
Fast das ganze Jahr hindurch sind Menschen zu Gast im „Haus der Stille“. Es gibt 10 Gästezimmer, die meisten sind Einzelzimmer. Viele von ihnen haben die Fenster Richtung Rhein. Wollen die Menschen Ferien an diesem Ort machen?
„Nein ganz bestimmt nicht. Wir sind kein Hotel“, sagt Schwester Paula resolut. „Das wissen unsere Gäste auch. Aber Ruhe suchen sie alle, auch sich selbst und oft auch Gott.“
Die Schwestern bieten Seelsorgegespräche an. Die Gebetszeiten sind klar kommuniziert, jeder kann, aber keiner muss teilnehmen. Hilfe in Haus, Garten und Küche sind immer willkommen. „Grundsätzlich machen wir Schwestern aber Vieles selbst“, sagt Schwester Paula und es müssten Prioritäten gesetzt werden. Dabei deutet sie auf die Kieswege im Rosengarten, die doch ein wenig verunkrautet sind. Wir spazieren zur wunderschönen Spitzkirche am Ende der Klosterinsel. Sie ist angenehm kühl an diesem gewittrig-schwülen Tag.
Dann sitzen wir auf der Terrasse am Rhein, dicke Fische stehen träge im Wasser, ein Kahn mit einem Mann, der freundlich winkt, zieht vorbei. Sind das Ferien? Tja – irgendwie dann schon, finde ich. Obwohl sie nur ein paar Stunden lang waren.
Das Haus der Stille im Kloster Rheinau beherbergt Gäste auf Anfrage. Die Schwestern leben von Spenden. Als Orientierungspreis für eine Übernachtung mit Essen wird als untere Grenze 50 Franken angegeben. Die spirituelle Weggemeinschaft hat auch Häuser in Kehrsiten und in Dobrac in Albanien.
Mit diesem Beitrag verabschiedet sich die Blog-Redaktion der Katholischen Kirche im Kanton Zürich in die Ferien – wir wünschen Ihnen einen erholsamen Sommer!
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