Abschied von Tatjana Disteli Vom Labor ins Generalvikariat
Zunächst Seelsorgerin im Spital, dann für die Kantonalkirche Leiterin der gesamten Spital- und Klinikseelsorge und schliesslich im Generalvikariat zuständig für acht Seelsorgebereiche von der Spital-, HIV-Aids-, Behinderten-, Gefängnis-, Flughafen--und Polizei-Seelsorge bis hin zur Seelsorge in den Asylzentren Juch und Embrach und der Bahnhofkirche. Ein beachtenswerter Werdegang einer Frau in der Kirche…
Tatjana Disteli: Die erste Station fehlt noch: Mit der medizinischen Laborantin erlernte ich zuerst einen naturwissenschaftlichen Beruf. Begegnungen mit schwerkranken Menschen weckten in mir den Wunsch, Theologie zu studieren, um in der Seelsorge wirken zu können.
Ich würde also eher sagen: Es ist mein persönlicher Weg. Er war nicht geplant, vielmehr zeigt sich eine natürliche Weiterentwicklung. An allen Stationen konnte ich wertvolle Erfahrungen sammeln, die ich in der nächsten Funktion wieder einbringen konnte. Als mich der damalige Generalvikar Josef Annen als Bereichsleiterin ins Generalvikariat berief, war ich zuerst überrascht – und habe mich dann sehr gefreut, dass er mir diese Schlüsselstelle anvertraute.
Welches waren die überraschendsten Erfahrungen?
Auf jeder Verantwortungsstufe arbeitete ich mit der jeweiligen Perspektive für die bestmöglichen Bedingungen für die Seelsorge. Dabei weitete sich mein Blick: Die grossen strategischen Linien sind ebenso wichtig, wie das operative Detail im Alltag. Alles hängt zusammen.
Positive Entwicklung ereignet sich automatisch, wenn man die Bedingungen dafür schafft: Oft haben die Menschen, denen man wenig zuhört, die sensibelsten Eingebungen und besten Ideen.
Auf das gute Zusammenspiel kommt es an, so können grosse Visionen Realität werden.
Und auf welche hätten Sie gern verzichtet?
Ganz ehrlich? Auf Machtpolitik und Kompetenzgerangel und zwar auf beiden Seiten des dualen Systems. Im Hintergrund liegt das Verständnis des dualen Systems als dualistisches Kirchenbild: hier die Guten, da die Bösen. Ich betrachte diesen Umstand als Langzeitfolge der speziellen Bistumsgeschichte. Beide Seiten haben ihre je blinden Flecken. Das bedaure ich sehr, und ich nehme mich da auch selber in die Pflicht. Es geht doch darum, sich bewusst auszurichten auf die gemeinsame kirchliche Verantwortung gegenüber Mensch und Gesellschaft. Alles ist gemeinsamer Dienst am Nächsten. Daran müssen wir alle sensibel arbeiten, mittlerweile in der gesamten Schweizer Kirche: Das Erkennen der eigenen Motivation, die klare Definition von Zielen und das vernünftige Verteilen von Kompetenz und Verantwortung hilft dabei.
In einem Interview in der NZZ plädiert Simon Peng-Keller dafür, dass das Konfessionelle in der Spitalseelsorge in den Hintergrund treten soll, weil sie spezialisierte Spiritual Care sei. Was meinen Sie dazu?
Das Interview ist komplex und je nach Lesart kann es zu Missverständnissen führen, vor allem weil Titel und Inhalt auseinanderklaffen. Für mich gibt es in diesem Bereich nicht den Gegensatz „entweder - oder“, sondern vielmehr ein „sowohl als auch“.
Heutige Spitalseelsorge ist verwurzelt in der eigenen Konfession, Praxis und Reflexion - und ist gerade dadurch befähigt, in grösster Weite offen zu sein für jegliche Art der Begegnung.
Das ganze Spektrum der Klaviatur ist in der seelsorglichen Begleitung abrufbereit. Entscheidend und „modern“ ist der Anspruch auf die Freiheit der Person: Den Weg geben nicht wir vor, sondern das Gegenüber - mit offenem Ausgang.
Spitalseelsorge soll also Ihrer Meinung nach auch künftig konfessionell organisiert und ausgerichtet sein?
Ja! Die Kirchen haben sich seit jeher mit den grossen existenziellen Fragen zu Leben und Tod befasst. Menschen, die andere auf Augenhöhe begleiten, sollten aus dieser Tradition und ihrer persönlichen Erfahrung schöpfen können. Diese Verankerung ist wertvoll, weil sie das gesamte Spektrum des Menschseins abdeckt. Sie ermöglicht auch, sich zurückzunehmen und gleichzeitig das Gegenüber auf dessen ganz individuellen Weg in den Mittelpunkt zu stellen.
Als Generalsekretärin der Katholischen Kirche im Kanton Aargau wechseln Sie nicht nur den Kanton, sondern auch die Seite – von der pastoralen zur behördlichen. Was reizt sie an der neuen Funktion?
Eine Kollegin meinte: „Du scheinst immer die zu sein, die zum ersten Mal eine neue Autobahn baut – damit nachher auch andere darauf fahren können.“ Wer weiss, vielleicht hat sie recht. Ich wechsle im selben Dienst an der Kirche und für die Menschen in eine andere Funktion und betrachte dies explizit als Führung auf meinem Weg. Dazu bringe ich viele Jahre Erfahrung und Aufbauarbeit mit, die Ausbildung in Non Profit-Management des VMI an der Uni Fribourg und das Vertrauen in das neue Umfeld, das mich sehr freundlich empfing. Natürlich habe ich den nötigen Respekt vor der neuen Verantwortung. Ich packe sie zuversichtlich und motiviert an, denn mein Ziel bleibt immer dasselbe: den Menschen Sinn und Wert von Kirche und Seelsorge erfahrbar zu machen.
Generalvikar Luis Varandas dankt Tatjana Disteli herzlich für den langjährigen und wertvollen Einsatz: „Mit ihrem Wirken hat sie in vielen Bereichen mit grossem persönlichem Engagement wichtige Meilensteine gesetzt. Ich bedaure, dass die Katholische Kirche im Kanton Zürich eine geschätzte Mitarbeiterin verliert, die eine wichtige Führungsrolle innehatte. Für die neue Herausforderung als Generalsekretärin der Katholischen Kirche Aargau wünsche ich Tatjana viel Glück, Kraft und den Segen Gottes.“
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