Kirche aktuell

Synodalratspräsident Raphael Meyer über Konseqenzen aus dem Missbrauchsskandal «Wir sind gefordert, Druck zu machen!»

Nach den bestürzenden Enthüllungen der Pilotstudie zum Thema Missbrauch in der Katholischen Kirche Schweiz gibt es viel zu tun. Synodalratspräsident Raphael Meyer benennt die Baustellen und fordert grundlegende Änderungen im Personalwesen.
26. September 2023 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Die katholische Kirche Schweiz steckt in einer tiefen Krise. Wie gehen Sie damit um?

Raphael Meyer: Ich funktioniere. Mit meinem Amt habe ich eine grosse Verantwortung übernommen. Das ist wichtiger als mein persönlicher Schmerz über die Ereignisse der letzten Tage.

Ich spüre aber auch Ärger und Enttäuschung über die Reaktionen unserer Bischöfe auf die Veröffentlichung der Studie und auf die Berichterstattung. Denn wieder zeigt sich: Versäumnisse werden erst eingeräumt, wenn der mediale Druck zu gross wird. Man bekundet zwar Betroffenheit, scheut sich aber, Klartext zu sprechen.

Sind Sie darüber im Austausch mit Bischof Bonnemain?

Nein, bisher konnten wir uns nicht austauschen. Der Kanton Zürich ist der bevölkerungsreichste der gesamten Schweiz. Ich erwarte daher, dass wir bald die Zeit für ein vertieftes Gespräch finden.

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Synodalratspräsident Raphael Meyer blickt einer anspruchsvollen Legislatur entgegen. Bild: Magdalena Thiele

Worüber wollen Sie mit ihm sprechen?

Der angekündigte «Kulturwandel» darf nicht schwammig bleiben. Da müssen wir auch konkrete Massnahmen und Handlungsfelder definieren. Vordringlich ist im Moment, wie eine unabhängige Untersuchung der Vorwürfe gegen verschiedene Mitglieder der Bischofskonferenz organisiert werden kann. Das darf nicht allein eine innerkirchliche Angelegenheit sein, weil es sonst schlicht nicht glaubwürdig ist. Das muss jetzt sofort aufgegleist werden.

Was steht aus Sicht der Kantonalkirche jetzt an?

Am 27. September wird der Synodalrat seine Legislaturschwerpunkte diskutieren. Die konsequente Aufarbeitung der Missbräuche und deren Vertuschung sowie der von Bischof Joseph versprochene Kulturwandel in der katholischen Kirche gehören für mich zuoberst auf die Liste.

Wir als Kantonalkirche sind gefordert, Druck zu machen und die Einhaltung der Versprechen der letzten Woche einzufordern.

Die Geheimniskrämerei muss jetzt ein Ende haben. Ohne offene, vertrauensvolle Kommunikation wird die Kirche sich nicht reformieren können. Und dazu gehört insbesondere auch, über die Rolle der Frau zu sprechen: Wir wollen den Zugang der Frauen zu allen Weiheämtern – ohne Wenn und Aber.

Der Bericht der Zürcher Historikerinnen weist auch auf Defizite in der kirchlichen Personalverwaltung hin. Was muss hier angegangen werden?

Im Personalwesen hat es Baustellen, weil nicht auf allen Stufen sichergestellt ist, dass die staatskirchenrechtlichen Anstellungsbehörden Zugang zu den notwendigen Informationen haben (z.B. Einsicht in Personaldossiers, Einfluss auf Fördergespräche etc.). Hier muss noch mehr Transparenz geschaffen werden.

Ein «bischöfliches Geheimarchiv» für besonders heikle Personalakten steht für mich schief in der Gegend. Wir leben in einem Rechtsstaat mit Gewaltenteilung und Gewaltenkontrolle. Die Anstellungsbehörden müssen Zugang zu den für sie relevanten Personalakten haben. Persönlichkeitsrechte und Datenschutz sind für alle gleich garantiert, die Anstellungsordnung gilt für alle gleich.

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In diesen Tagen muss Synodalratspräsident Raphael Meyer viele Fragen beantworten. Bild: Magdalena Thiele

Vor diesem Hintergrund frage ich mich auch, ob wir in Zürich weiterhin zwei getrennte Personalverwaltungen führen wollen: eine für ‘gewöhnliche Angestellte’ und eine zweite für Seelsorgerinnen und Seelsorger. Das wirkt weder transparent, noch fördert es Vertrauen noch erscheint es mir effizient. Die Rolle der staatskirchenrechtlichen Anstellungsbehörden muss meiner Ansicht nach gestärkt werden und diese müssen ihre Verantwortung wahrnehmen.

Regierungsrätin Jacqueline Fehr regte im Sonntagsblick an, den Staatsbeitrag von 50 Millionen an notwendige Reformen zu knüpfen. Was sagen Sie dazu?

Ich kann die Forderung nachvollziehen. Der Reformstau besteht aber primär auf der innerkirchlichen Seite. Mit einer Kürzung oder einer strengeren Handhabung der Gewährung der Staatsbeiträge werden hingegen primär jene Kräfte bestraft, die sich für eine Erneuerung der Kirche einsetzen. Der Druck der Politik kann aber helfen, wenn wir die Bischöfe zu mehr Mut gegenüber Rom auffordern.

Wir müssen den Politikerinnen und Politikern noch nachdrücklicher erklären, dass der Staatsbeitrag nicht zum Bischof geht, sondern dass damit kirchliche Angebote und Leistungen finanziert werden, die der ganzen Gesellschaft im Kanton Zürich zu Gute kommen.

Und wenn wieder nichts passiert?

Wir müssen die strukturellen Ursachen von Missbrauch bekämpfen, sonst bleiben die angekündigten Präventionsmassnahmen wirkungslos.

Auf blick.ch hat es am Tag der Veröffentlichung der ersten Studienergebnisse eine Umfrage gegeben: «Glauben Sie daran, dass die Kirche die Trendwende schafft». Über 90 Prozent haben mit nein gestimmt. Wenn jetzt nichts von alledem passiert, dann könnten die 90 Prozent leider recht behalten. Ich setze aber alles daran, dass sich wirklich etwas ändert.

Was sagen Sie den Menschen, die der Kirche treu bleiben, und den haupt- oder ehrenamtlich Engagierten?

Ihnen danke ich von Herzen, dass sie dabeibleiben und die Hoffnung auf die Reformfähigkeit nicht aufgeben, so wie ich. Die Kirche, das ist mehr als dieser Skandal. Kirche ist ein essenzieller Beitrag zum Funktionieren der Sozialgemeinschaft. So viel Gutes, das jetzt leider überschattet wird.

Aber wir müssen uns daran erinnern, wofür und für wen wir das tun, nämlich die Schwächsten in unserer Gesellschaft, die Notleidenden, wir begleiten Menschen in schweren und auch schönen Momenten des Lebens, wir wollen eine Gemeinschaft sein, die sich für ein gutes und würdevolles Leben für alle einsetzt.