«La mif» erhält Filmpreis der Kirchen 2021 Kino pur!
Die Jury hat sich an 6 Tagen 12 Filme angeschaut und aus diesen einen ausgewählt. War dies die Qual der Wahl?
Die Filme im «Fokus»-Wettbewerb waren superstark. Das hat sich auch an der Schlussdiskussion gezeigt. Die Jury hat nochmals über sieben Filme vertiefter gesprochen, obwohl wir irgendwann eine Entscheidung treffen mussten. Jeder hatte einen bis fünf Favoriten. Darüber mussten wir uns austauschen. Am Schluss stellte sich die Frage: Welchen Film möchten wir als Kirchenjury auszeichnen?
Wie seid Ihr vorgegangen?
Die Filme, die diskutiert wurden, waren alle künstlerisch hochwertig. Ausserdem waren Filme in der engeren Diskussion, die alle etwas Wichtiges über unsere Gesellschaft, unser Handeln und unser Verantwortungsgefühl gegenüber Anderen und unserer Umwelt aussagen. Grundsätzlich gebe ich jedem Film die gleiche Chance, aber ich reflektiere: Was war beeindruckend? Was war fragwürdig, was kontrovers? Wie wird die Geschichte erzählt? Das sind professionelle Kriterien, die ich in der Jury vertreten kann – über meinen persönlichen Eindruck hinaus. Natürlich schaue ich privat anders Filme als in meiner Rolle als Jurorin, hinzukommt, dass ich als Medien- und Filmwissenschaftlerin einen anderen Blick einnehme, geprägt durch eine «deformation professionelle».
Die Kirchen haben den Film «La Mif» ausgezeichnet – warum gerade diesen Westschweizer Film, der in einem Heim für Mädchen spielt und sexuellen Missbrauch thematisiert?
Der Film schlägt sozusagen viele Fliegen «uf einen Tätsch». Die Geschichten der jungen Frauen stehen nicht in der Zeitung, sie sind auf erschreckende Art und Weise alltäglich. Das passiert nicht irgendwo weit weg, sondern so ist der Alltag in vielen Jugendheimen.
Was mir so gefallen hat, ist die Gemeinschaft, die gezeigt wird. Sie ist eine Zwangsgemeinschaft, die nicht ausgewählt ist wie eine Ersatzfamilie. Die Familie sucht man sich ja auch nicht aus, da wird man hineingeboren. Die Mädchen und ihre Erzieherinnen und Erzieher müssen auf Gedeih und Verderben durch Hochs und Tiefs. Sie haben Konflikte, müssen sich immer wieder verzeihen. Und das tun sie auch. Das finde ich so eindrücklich. Da sind diese jungen Frauen manchmal weiter als viele Familien zu Hause, wenn man nicht mehr redet und nicht mehr aufeinander zu geht.
Die Figuren sind super authentisch, schonungslos ehrlich und dadurch glaubwürdig. Man merkt in der Unmittelbarkeit, dass Laien gespielt haben.
Und was hat das mit Kirche zu tun?
Alle Mädchen sind Opfer und Täterinnen zugleich. In den grässlichen Konflikten, die gezeigt werden, gibt es auch immer wieder Momente der Nähe, des Verzeihens, des Aufeinanderzugehens. Das ist für mich ganz menschlich, das Leben anzuerkennen so wie es ist: mit vielen guten Dingen aber auch mit den negativen Seiten. Dieser Aspekt von Gemeinschaft sollte für die Kirchen als Hort der Gemeinschaft ebenso relevant sein.
Sie waren ja zum ersten Mal in der Kirchenjury. Wie ziehen Sie Ihr Fazit?
Ich war von der guten Auswahl der Filme am ZFF überrascht und war froh, dass die Jury so professionell zusammengesetzt war. Das muss auch so sein – gerade bei einer Kirchenjury. Ich habe schon erlebt, dass Journalisten gefragt haben, wie wir als ökumenische Jury zum Ergebnis gekommen sind, und ich im Spass geantwortet habe: «Wir haben ganz viel gebetet und dann kam die Eingebung vom Himmel!» und die Journalisten glaubten dies zunächst. Das ist natürlich Quatsch!
Schön war, dass Festivaldirektor Christian Jungen zur Preisverleihung des Filmpreises der Kirchen gekommen ist und sich als Christ geoutet hat. Grundsätzlich hätte ich noch mehr Sichtbarkeit unserer Jury am Festival gewünscht, aber das kann ja noch kommen!
Die Jury hat fast alle Filme an normalen Kinovorstellungen geschaut – wie war das nach der längeren Kino- und Festival-Abstinenz?
Es war herrlich, fantastisch und ein Traum, wieder ins Kino zu gehen und dieses Gemeinschaftserlebnis zu haben. Das kann man nicht vergleichen mit einem Serienabend zu Hause auf dem Sofa! Zusammen zu lachen, gespannt sein, traurig sein….all diese unmittelbaren Reaktionen vom Publikum – das ist das einzigartige am Kinoerlebnis! Dazu kommen die grosse Leinwand, die tolle Projektion, der gute Ton und sich auf diese Kinosessel-Reise zu begeben, quasi als Gruppenreise mit Leuten, die man nicht kennt. Das ist das Schönste! Das kann süchtig machen!
Kommentare anzeigen