Katholische Kirche – das neue Bungee Jumping
Von der Migros in die Kirche – der neue Kommunikator des Dekanats Zürich Oliver Kraaz stellt sich vor.
«…oh… ja… spannend…». Begeisterung klingt anders. Die Reaktionen auf meinen Weggang vom alten Arbeitgeber hin in den Schoss der Mutter Kirche waren eine Mischung aus Irritation und peinlicher Berührtheit. Mehrheitlich jedenfalls. Zur Minderheit aber später.
Ich war während 10 Jahren in der Kommunikationsabteilung des grössten Detailhändlers tätig. Vieles, ja sehr vieles stimmte. Trotzdem stellte sich mir nach lebhaften und intensiven Berufsjahren irgendwann doch die Frage: Kommt noch was? Und wofür?
Es kam für mich die katholische Kirche. Eine bewusste Entscheidung. Weil diese Institution mir wichtig ist. Ohne falsche Verklärung. Aus Frust über sie war ich in meinen Sturm und Drang Jahren auch schon einmal ausgetreten. In der Folge habe ich mich zwar weniger geärgert. Aber: Nur noch bei schlechtem Wetter nach draussen zu gehen, um den Sonnenbrand zu vermeiden, kann auch keine Lösung sein. So trat ich nach meinem emotionalen, lauten Austritt wieder leise ein. Und das war gut so.
Warum aber nun gleich für die katholische Kirche arbeiten? Freiwillig? Das gewünschte «Viel Glück!» klang oft wie ein bedrückter letzter Salut an einen Bungee Jumper. Ohne Seil.
Nicht selten folgte im Gespräch die Bemerkung: «Ah, willst Du dann beim Kindsmissbrauch hinstehen und alles schönreden?» Nein, will ich nicht. Aber ich würde hinstehen. Es ist aber bezeichnend, dass man eine solche Meldung so sicher wie das Amen in der Kirche erwartet. Als ob es keine anderen und sogar erfreuliche Themen aus der Kirche gäbe. Oder interessieren die eventuell gar niemanden? Und wenn ja, warum nicht?
In meinem Fall war der Wechsel zur katholischen Kirche auch ein Outing. Ich habe meine Verbundenheit mit der Kirche nie versteckt. Eine berufliche, freie Entscheidung zugunsten der Kirche geht aber weiter. Weiter als für viele vernünftig.
Viele sind aber nicht alle. Es gab auch einige Menschen, die mich nach der Bekanntgabe meines Abgangs kontaktierten und in Ruhe mit mir sprechen wollten. Es ging um die Kirche, schlussendlich aber um den Glauben, einer Sehnsucht und der Frage: Wohin damit? Oft über eine Stunde lang.
Da merkte ich: Die Kirche, der Glaube – das ist ein grosses Thema. Tragischerweise ausserhalb und (zu) weit weg von der Kirche.
Woher kommt das? Ich habe unwohl eine dumpfe Ahnung.
Wenn ich jetzt in meiner neuen Funktion in Sitzungen bin, Menschen treffe, diskutiere – dann wirkt die Kirche und alles was mit ihr zusammenhängt, wie das Selbstverständlichste der Welt. Eine wohlige Fata Morgana, in der man es sich auch noch gemütlich einrichten kann.
Mal ganz ehrlich: Liturgie, Kirchenpolitik, Bistumsstreitigkeiten, Kirchenrecht, Feiertage und ihre Bedeutung, Ökumene – das sind alles wichtige Themen. Für uns!
Aber weiss die Kirche noch, was die Leute beschäftigt? Im prallen Alltag, fernab von den Amtsstuben und Kirchenbänken? Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, dass sie es leider zu wenig weiss. Oder sich bewusst bedeckt hält.
Die Kirche muss sich zu Wort melden und dieses halten. In einer Sprache, die alle verstehen und zu Themen, die alle beschäftigen. Sonst wird die Kirche endgültig zu Folklore. Dann ist das Heimatmuseum Ballenberg näher als das Himmelreich.
Die Kommunikation kann einen grossen Teil dazu beitragen. Jetzt muss ich mich auch beim Wort nehmen.
Ja, es wird spannend werden.
Oliver Kraaz (47) ist verheiratet und Vater zweier Töchter. Er lebt in Zürich. Als neuer Kommunikationsverantwortlicher des Dekanats Stadt Zürich unterstützt Kraaz die Kirchgemeinden sowie den katholischen Stadtverband in der Kommunikation. Das zweite grosse Tätigkeitsfeld ist das ökumenische Projekt urbaneKirche Zürich, das die katholische Kirche vor zwei Jahren lanciert hat.
Hallo Oliver, per Zufall bin ich auf deinen Artikel in kath.ch gestossen. Als ich gelesen habe, dass du beim orangen M gearbeitet hast, wurde meine Neugier mehr zu lesen, geweckt. Ich war 14 Jahre im Product Management Gastronomie der GM Luzern tätig und entschied mich meine Zelte abzubrechen und einen neuen Weg zu gehen. Einige deiner geschriebenen Erfahrungen sind mir wohlbekannt. Mir ist es als Pastoralassistent auch ein Anliegen verständlich und mit den Menschen unterwegs zu sein. Ich wünsche dir in deinem neuen Tätigkeitsfeld viel Energie, alles Gute und Gottes Segen. Herzliche Grüsse Walti
Ja, der Sehnsucht nach Glaube ist noch da. Aber man traut sich nicht mehr so recht und hat Vorstellungen von Kirche, die überhaupt nicht der Realität entsprechen. Ich frage mich immer wieder, wie reagiere ich, wenn man das Thema Missbrauch und Kirche angesprochen bekommt. Oder dem vielen Geld, dass die Kirche scheinbar hat. Zölibat und Frauenpriestertum. Und überhaupt? Wieso soll man sich an Regeln halten, die vor 2000 Jahren geschrieben wurden? Vielleicht deshalb? Weil trotz allem, die Kirche seit 2'000 Jahren immer noch besteht oder sollte man besser sagen, die Botschaft Jesu nach 2'000 Jahren immer noch interessiert. Manchmal ist es schwierig auszuhalten, dass unser Gott so wenig fassbar ist. Aber erlebbar, in meiner eigenen Geschichte. Vielleicht müsste man davon mehr Erzählen.
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