Filmpreis der Kirchen 2020 Mehr Träume in der Seele behalten…
Weder glitzernd noch glamourös liess sich die diesjährige Preisverleihung der beiden Kirchen am Zürcher Filmfestival an. Anstelle von Smalltalk mit Cüpli im Folium war Anstehen mit Maske im Vorraum des Kinosaals angesagt. Das Popcorn-Kino eröffne dafür mehr Zeit für den Film samt dargebotenem Fingerfood, hielt Kirchenratspräsident Michel Müller fest. In der Corona-Zeit seien Kirchen zum Kino geworden, sagte er, trotzdem bräuchten wir die physische Nähe, das Kino, in dem es eben ansteckend wirke, zu lachen und zu weinen und neue Erkenntnisse über sich und andere zu gewinnen.
„Es gilt im Kino wie in der Kirche: sehet und schmeckt.“
Der von der katholischen Informationsbeauftragten Kerstin Lenz eloquent begrüssten Gästeschar „aus Kino, Kultur und Kirche“ wurde allerdings erst einmal ein harter Brocken aufgetischt. Festredner Kurt Aeschbacher, selbsternannter „Unterhaltungsfuzzi ausser Dienst“, nahm die Chance wahr, eine Predigt zu halten, die sich gewaschen hatte. Nach einem Intro mit einigen Belanglosigkeiten über die alte Liason zwischen Kirche und Film zeigte der rührige Moderator, dass er auch anders kann. Messerscharf sezierte er anhand von Michelangelos Fresken den christlichen Erbsündenmakel und nannte die erlösende Taufe einen „Marketingtrick“, der den Kirchen steten Nachwuchs besorgt habe.
Das tradierte Gottesbild vom weissen, alten Mann und das Heteropaar Adam und Eva stünden für einen strukturellen Rassismus, merkte er an, um darauf eben diese Zuschreibung auch zu demontieren. Die heute gängige „neue Form der Erbsünde“ mache „Schuld“ allein an Geschlecht, Hautfarbe oder Zugehörigkeit fest, reduziere dadurch Menschen auf Äusserlichkeiten und verhindere einen Dialog. „Freiheit ist unteilbar“, so Aeschbacher, der zur Bereitschaft aufrief, sich dem Diskurs mutig und mit einer eigenen Meinung zu stellen. „Wer schweigt, macht sich mitschuldig“, sagte er und verwies auf totalitäre Ideologien. (Die gesamte Rede können Sie unten im Artikel nachlesen)
Schweigen und Reden
Um Schweigen und Reden in den Widrigkeiten des Alltags drehte sich auch der Film „Sami, Joe und ich“, den die Jury mit Lucie Bader, Simone Späni, Kirchenrat Andrea Marco Bianca und Synodalrat Tobias Grimbacher aus der zwölfteiligen Filmreihe „Fokus“ ausgewählt hatte. Die Qualität der begutachteten Filme sei dieses Jahr besonders hoch gewesen, sagte Jurypräsidentin Bader. In vielen Streifen sei es um Familien, Beziehungen und Lebensentwürfe gegangen, also um gesellschaftlich relevante und derzeit besonders aktuelle Themen.
Der mit 10 000 Franken prämierte Film aus heimischer Werkstatt überzeugt laut Jurorin und Filmproduzentin Simone Späni durch seine Präzision und Einfühlungsgabe und seine wunderbare Kameraarbeit, die die Gefühlswelt von Zürcher Teenagern beleuchte. Zwei der drei Jungschauspielerinnen, die in Basel geborene Regisseurin und Drehbuchautorin Karin Heberlein sowie Produzentin Claudia Wick erklärten sich auf der Bühne erfreut, dass der Kern ihres Spielfilms erkennbar sei, nämlich die Kraft von Freundschaft und Vertrauen.
Träume behalten
Diese Kraft kristallisiert sich aber erst in beklemmenden Widrigkeiten heraus, die den drei Protagonistinnen zustossen. Zuvor taucht die Regisseurin etwas langatmig in das belanglose Geplänkel der kichernden, gelangweilten Teenager ein und nähert sich darauf Szene um Szene ihren aufreibenden Herausforderungen in engen familiären Verhältnissen, multikulturellen Spannungen und belastenden Beziehungen.
Dort, wo das persönliche Grauen in den „chillig“ angedachten Sommer der drei Mädchen dringt, verknappt sich die Sprache, bleibt die Handlung scheinbar stehen und sprechen genial gesetzte musikalische Sequenzen und starke Momentaufnahmen wie etwa jene Sonnenstrahlen, die ihre Lücke durch einen ausladenden Baum suchen. Einfühlsam und stets respektvoll naht sich die Kamera den Mädchen, tanzt mit Joe um eine Ecke, keucht mit Leyla auf dem Fahrrad und streicht den im Bett Weinenden tröstend über den Rücken. Doch, sie finden ihre Sprache wieder, sie wagen den Mut, die Kraft des Miteinanders abzurufen und gemeinsam das erlittene Unrecht zu benennen und zu bekämpfen. Durch den eindrucksvollen Film der starken heimischen Akteurinnen zieht sich das Motto von Leylas verstorbener Mutter wie ein zarter Hoffnungsfaden:
„Behalte immer mehr Träume in deiner Seele, als die Realität zerstören kann.“
Text: Madeleine Stäubli-Roduner
Bilder: Gion Pfander
Rede Kurt Aeschbacher.docx — 19.1 KB
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