Eröffnung Paulus Akademie In der Echokammer des Lockdowns
Zuerst die grosse Hektik, höchste Konzentration, Lampenfieber und viel Vorfreude. Dann Fassungslosigkeit und das Gefühl, definitiv im falschen Film zu sitzen.
So habe ich die ersten Märztage in Erinnerung, die Zeit vor der geplanten Eröffnung der neuen Paulus Akademie. Die Pendenzenliste wuchs von Stunde zu Stunde. Unser Neubau an der Pfingstweidstrasse war immer noch nicht in allen Belangen fertig. Und in knapp zwei Wochen sollten die beiden grossen Eröffnungsfeiern über die Bühne gehen.
Das pure Nichts
Und dann – Mitte März – hiess die Devise wie überall «Lockdown» und die Türen wurden bereits wieder geschlossen, bevor wir überhaupt genügend Schlüssel hatten. Innert Stunden sagten wir sämtliche Veranstaltungen ab und annullierten schweren Herzens die Eröffnungsanlässe.
Es dauerte bis in den April hinein, bis ich mir richtig bewusst wurde, was geschehen war. Ich schritt durch unsere schönen leeren Räume, roch die Frische des Holzes und die schwindelerregende Melange neuer Materialien. Bestenfalls tauchte eine Kollegin oder ein Kollege aus dem Team auf, und wir tauschten uns über das Virus aus und was es mit uns machte. Sonst: das pure Nichts. Die neue Paulus Akademie zeigte sich in ihrer ganzen Leere.
Wahrscheinlich war es nach Ostern, als ich mich mit desinfizierten Händen vom Home-Office wieder einmal ins neue Büro wagte und auf dem Weg dorthin im 2. Stock stehenblieb. Noch vor kurzem hatten sich auf dieser Etage am meisten Bauarbeiter aufgehalten. Nun war es ungewöhnlich ruhig. Keine Menschenseele. Ich öffnete die Türe zum Raum der Stille: Die Frühlingssonne füllte den quadratischen Raum mit nebulösem Licht. Ich setzte mich auf die Holzbank, lauschte meinen eigenen Atemzügen und begann die Stille zu erkunden. Kein Verkehrslärm, kein Vogelgezwitscher, keine Kinderschreie. Wäre nicht dieser feinmaschige Teppich von Lüftungsrauschen hörbar, könnte man sich vor der unendlichen Tiefe der Stille fürchten. Nichts zu hören gibt keinen Halt. Der Blick richtet sich nach innen.
Leeres Gebäude - verlangsamtes Leben
Im Innern des grossen Gebäudes an der Pfingstweidstrasse fühlte man sich in den Wochen des Stillstands wie in einer Echokammer des Lockdowns. Das Gebäude verstärkte die Erfahrung des verlangsamten Lebens draussen im Alltag. Die Leere wurde noch leerer und zeigte sich bisweilen von ihrer schönen, manchmal aber auch unheimlichen Seite. Die Stille wurde noch stiller und trug zu konzentriertem Arbeiten bei, gelegentlich aber auch zum Verlust der Lebenskonturen, wie wenn man nachts durch einen Wald geht und die Bäume nicht mehr erkennt.
Seit dem 6. Juni ist alles wieder anders. Das Haus hat wieder zu atmen begonnen. Die Türen stehen angelehnt, frische Luft strömt herein. Man hört Schritte auf den Holztreppen, Gelächter aus einem Kursraum, da und dort eine menschliche Stimme. Die grosse Erleichterung: Gemäss den behördlichen Vorgaben dürfen sich Gruppen wieder versammeln, wenn auch mit Abstand. Aber unsere Räume sind geschrumpft. Würde Paulus noch predigen, könnte er das im nach seinem wichtigen Wirkungsort Korinth benannten grossen Saal nur noch vor 35 Personen statt vor 200 tun. Die 2-Meter-Regel zwingt uns zur Unterbelegung unsere Räume.
Die Paulus Akademie startet zum zweiten Mal dieses Jahr. Mit grosser Verspätung und um die Erfahrung von Verlangsamung, Leere und Stille reicher. Dafür mit viel Energie und neuen Ideen und der Vorfreude auf Begegnungen und Gespräche mit dialogbereiten Menschen.
Kommentare anzeigen