Ökumene Eine Stunde des Heiligen Geistes im Grossmünster
Gleich doppelt verdient der Sonntag (20. Januar) das Prädikat eines historischen Meilensteins: Erstmals seit 500 Jahren hatten die beiden Konfessionen gemeinsam zu einem ökumenischen Festgottesdienst, zu einer Feier des Reformationsgedenkens eingeladen. Mit der Vorstellung der erweitern Zürcher Bibel liegt jetzt eine fast vollständige ökumenische Ausgabe vor.
Choralschola und Prozession im Grossmünster
Zu Beginn des Gottesdienstes wähnte man sich beinahe in einer katholischen Liturgie: In einer feierlichen, von Kerzen begleiteten Prozession, wurden je eine Ausgabe der Froschauer-Bibel und die erweitere Ausgabe der Zürcher Bibel ins Grossmünster getragen und nebeneinander im Chorraum aufgestellt. Eine Choralschola sang gregorianischen Introitus, der vom Chor als Kanon aufgenommen wurde und schliesslich als Gemeindegesang das ganze Grossmünster erfüllte.
Dialogpredigt mit Tiefgang und Humor
In einer Dialogpredigt führten Kirchenratspräsident Michel Müller und Generalvikar Josef Annen in tiefgründigen Gedanken durch die Geschichte der Bedeutung der Bibel vor, während und nach der Reformation. Als Stichwortgeberin kam die Bibel dabei auch selber zu Wort. Selbstkritisch stellte Michel Müller fest: „In einer Art reformatorisch-humanistischem Übereifer hat man auf reformierter Seite später diejenigen Bücher des Alten Testaments aus der Bibel geworfen, die im Original nicht Hebräisch geschrieben wurden. Aber heute an diesem Tag ändert das: Wir feiern die Vernissage der erweitern Ausgabe der Zürcher Bibel mit den sogenannten deuterokanonischen Schriften. Damit wird die Zürcher Bibel zu einer fast vollständig ökumenischen Ausgabe.“ Dass die katholische Körperschaft sich finanziell daran beteiligt hatte, freute ihn als schönes Geschenk zum Reformationsjubiläum.
Biblische Geschichten als „Heilige Resilienz“
Generalvikar Josef Annen legte den Gläubigen die Lektüre der Bibel ans Herz und wies darauf hin, dass die wissenschaftliche Methode der Bibelauslegung zur Selbstverständlichkeit geworden sei. „So dürfen wir heute – zum Fest 500 Jahre Reformation in Zürich – sagen: Katholiken und Reformierte versammeln sich gemeinsam um das Wort Gottes. Die Bibel ist Richtschnur unseres Glaubens.“ Er bedauerte es auch als Kulturverlust, wenn Kinder und Jugendliche heute ohne Kenntnis der biblischen Geschichten aufwachsen, da dies auch ein Verlust an Sinn und Orientierung sei. Die biblischen Geschichten seien „Heilige Resilienz“, darum träten die Kirchen auch mit gemeinsamen Stellungnahmen an die Öffentlichkeit. „Getragen von der Kraft der biblischen Botschaft wagen Christinnen und Christen den Widerstand, wo sie Leben und Würde in Gefahr sehen.“
Einbezug der Gebetswoche für die Einheit der Christen
Ökumenisches Miteinander atmete auch das Fürbittgebet, welches von Vertreterinnen und Vertretern anderer Religionsgemeinschaften vorgetragen wurde, die heute in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen im Kanton Zürich (AGCK) zusammengeschlossen sind. Der offizielle Festgottesdienst fand deshalb in der Gebetswoche für die Einheit der Christen statt und klang in ökumenischer Vielstimmigkeit aus.
Mushafen, Druckerpresse, Singen und Vernissage
Nach dem Gottesdienst rundete ein vielfältiges Rahmenprogramm den Festtag ab: Mittelalterlicher Mushafen (Speisung der Armen von der Kirche) und Glühwein sorgten für leibliches Wohl, ein offenes Singen lud in die Wasserkirche und die Gutenbergpresse zum Drucken einer Bibelseite ein – und im Kulturhaus Helferei fand die Vernissage der erweiterten Ausgabe der Zürcher Bibel statt.
Persönlich ergriffen und nachdenklich brachte ein Historiker die Bedeutung des Tages auf den Punkt: „Ich musste 75 Jahre alt werden, um das zu erleben und ich gebe zu, ich war gestern doch etwas stolz, Zürcher zu sein, weil sich da auch eine Kultur des Miteinanders und der Gegenseitigkeit zeigte. An der ausgezeichneten Dialog-Predigt von Josef Annen und Michel Müller habe ich geschätzt, dass sie Gemeinsamkeiten und Entwicklungen im Verständnis der Bibel aufzeigte als Richtschnur für das persönliche Glaubensleben und die Ausgestaltung von Kirche und Gesellschaft.“
Das Schlusswort der Bibel in der Dialogpredigt ist Ermunterung und Auftrag an alle: „Traut meinem Wort etwas zu! Auch heute! Bringt mich ins Gespräch! Erzählt meine Geschichten! Und stellt mein Licht nicht unter den Scheffel, sondern lasst mich leuchten als Licht auf eurem Weg!“
Für alle, die nicht dabeisein konnten - oder die noch einmal die Stimmung wahrnehmen wollen hier ein kurzes Video zum Gottesdienst:
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