Aktuelle forum-Ausgabe Ein Tag im Leben eines Bischofs
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Joseph Maria Bonnemain, Bischof von Chur, hat mitten im Zentrum von Zürich an der Schienhutgasse übernachtet. Hier steht ihm ein Zimmer zur Verfügung, wenn die Anreise aus Chur zu umständlich ist. Ein Stockwerk über ihm ist die Kommunikationsabteilung der «Katholischen Kirche im Kanton Zürich» untergebracht. Eines darunter die Leitung der Spitalseelsorge.
Es ist Montagmorgen. Aber wann die Woche anfängt und wann sie aufhört, dürfte für Bonnemain schwierig zu definieren sein. Am Wochenende hat er vier Firmungen gehalten. Offensichtlich keine Pflichttermine. Voller Begeisterung erzählt der Bischof von den Begegnungen mit jungen Menschen. Sie gehören zu den wertvollsten Mutmachern in seinem bischöflichen Arbeitspensum.
Das Tagesprogramm startet nur wenige Meter von der Schienhutgasse entfernt im Centrum 66 mit einer Sitzung das Fachgremiums «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» der Schweizer Bischofskonferenz. In dieser Fachgruppe sind die Kirchenleute in der Minderheit. Drei Vertreter der Kirche beraten sich mit fünf Fachleuten aus Psychologie und Recht. Sofort wird spürbar, dass Bonnemain mit diesem Gremium einen langen Weg gegangen ist. Fast zwanzig Jahre lang war er dessen Sekretär – und wohl sein einflussreichstes Mitglied, weil er sich mit viel Einsatz vor allem für die Opfer starkgemacht hat. Die Diskussionen im Fachgremium lassen ahnen, wie komplex diese Aufgabe ist und wie viele – nicht nur kirchengemachte – Hürden es dabei zu überwinden gilt.
Anschliessend bespricht Bonnemain mit Arnold Landtwing seine Medientermine. Der Kommunikationsbeauftragte des Generalvikariats nimmt diese Aufgabe interimistisch wahr, bis die neue Medienstelle im Ordinariat wieder besetzt ist. Zusammen gehen sie die Agenda durch. Wann hat der Bischof Zeit für ein Interview zur Missbrauchsfrage? – Steht er einem Dokumentarfilmer zur Verfügung, der ihn über seinen persönlichen Glauben befragen will? – Wird er mit seiner Rede, die er am Abend halten wird, das Publikum erreichen? – Ein effizientes Checklistengespräch, keine Zeit für Plaudereien. Die Agenda ist bis in den Herbst hinein verplant.
Kaum hat der Bischof seinen Laptop im Rucksack verstaut, zieht er ihn auch schon wieder daraus hervor. Nun sitzt er – immer noch im Centrum 66 – am gleichen Schreibtisch, an dem er schon als Richter des Bistums sass. Ein schlichter Raum ohne jeden Repräsentationscharakter. Der Möblierung kann man mit viel Wohlwollen etwas Retrochic abgewinnen.
Aber Bonnemain scheint ohnehin keinen Wert auf ein bischöfliches Upgrade zu legen. Einzig das Kreuz vor der Brust weist auf sein Amt hin. Was er jetzt braucht, ist einfach ein Raum, der seinen Zweck erfüllt: Sich in Ruhe hinsetzen können, Laptop öffnen, Mails beantworten und Briefe schreiben. Die Mittagspause fällt heute aus, sonst geht das Tagespensum nicht auf.
Dennoch wirkt Bonnemain entspannt und gut gelaunt, als er um halb zwei Angelica Venzin begrüsst. Sie ist Präsidentin des Fachgremiums «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld». Er hat dieses Fachgremium schon unter seinem Vorgänger betreut. Nun ist er Bischof. Was ändert sich dadurch an seiner Rolle? – Wie soll die Arbeit weitergehen?
Eine Stunde später ein weiteres Gespräch. Mit einem Diözesanpriester. Ein vertrauliches Gespräch. Mehr verrät der Bischof nicht.
Um halb vier trifft man sich auf dem Parkplatz wieder. Der Tag ist noch lange nicht gelaufen. Immer stärker wird der Rucksack des Bischofs zum Sinnbild: Bonnemain ist als mobiles Ordinariat ohne Firlefanz und Entourage unterwegs. Jetzt gerade in Richtung Zentralschweiz. Bonnemain steigt in seinen Kleinwagen und gibt Stans als Fahrtziel ein. Er sitzt selbst am Steuer. Was soll er mit einem Chauffeur?
Selbst im dichten Stadtverkehr strahlt er eine entspannte Fröhlichkeit und Nahbarkeit aus. Lässt sich auf jede Diskussion ein. Sein Humor macht es leicht, auch freche Fragen zu stellen. Was beschäftigt ihn jetzt gerade? Das Schreiben von Papst Franziskus, mit dem dieser auf das Rücktrittsgesuch von Kardinal Reinhold Marx reagiert hat. Bonnemain ist glücklich über diesen Brief, denn er bietet auch ihm Rückhalt gegenüber all jenen, die immer noch nicht eingestehen wollen, dass die Kirche selbst Mitschuld an sexuellem und geistlichem Missbrauch hat. Seine Sorge der letzten zwanzig Jahre wird offensichtlich auch seine Sorge als Bischof bleiben.
Ins Stans angekommen, gehört der Abend dem sogenannt dualen System. Der Bischof ist Gast bei der Römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Nidwalden. Bei der Begrüssung durch den Kleinen Kirchenrat und beim gemeinsamen Abendessen wird sichtbar, was dem Bischof besonders liegt – und weshalb er am derzeitigen Papst so grosse Freude hat: Bonnemain ist ein Menschenfreund. Er begegnet den Menschen ohne Attitüde und mit spontanem Interesse.
An der herzlichen Atmosphäre dieses Abends haben allerdings auch die Mitglieder des Kirchenrats rund um Präsidentin Monika Rebhan Blättler ihren grossen Anteil. Sie machen es dem Bischof leicht, sympathisch zu sein. Und ihre Erleichterung ist spürbar, dass sie endlich einem Bischof begegnen, der ihnen auch begegnen will.
In diesem Sinne gestaltet Bonnemain auch seinen Auftritt an der Versammlung des Grossen Kirchenrates. Keine elaborierte Rede, sondern ein kräftiges Danke für das unermüdliche Engagement. Er strahlt dabei. Diese engagierte Direktheit tut den hier versammelten Frauen und Männern gut. Sie erwarten von Bischof Joseph Maria Bonnemain keine Wunder. Sie wissen wohl, dass er weder Revoluzzer noch Reformturbo ist. Aber immerhin können sie nun wieder von «ihrem Bischof» sprechen, ohne dabei zu heucheln.
Auf der Heimfahrt nach Zürich erzählt Bonnemain dann von einer Sorge, die von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird, ihm aber doch die eine oder andere schlaflose Nacht beschert: Was soll mit dem Bischofspalast in Chur geschehen?
Das Gebäude müsste dringend saniert werden. Die Kosten dafür gingen in den zweistelligen Millionenbereich. Aber als Bischof braucht er keinen Palast. Weder zur Repräsentation noch zur Arbeit. Ein langsam zerfallender Prunkbau, der vor allem als Last empfunden wird. Auch das ein Sinnbild.
So zieht sich vom Morgen bis zum Abend ein roter Faden durch den Tag: Bischof Joseph Maria Bonnemain würde Kirche gerne von den Menschen her denken und nicht von der Organisation. Das sagt sich immer wieder leicht und schön. Im Alltag jedoch ist es eine unablässig fordernde Mission ohne Erfolgsgarantie. Zu Ende ist um 22 Uhr bloss ein weiterer Arbeitstag.
Text: Thomas Binotto
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