Kommentar zum Vatikanschreiben Ein bisschen Mut und ganz viel Angst
Zunächst gilt es nüchtern festzustellen, dass da tatsächlich etwas Neues gilt. Noch vor genau einem Jahr war es für unsere kirchliche Obrigkeit unstatthaft, im Werbetext zur ökumenischen Kirchenpräsenz an der Hochzeitsmesse überhaupt von der Möglichkeit einer katholischen Segensspendung für gleichgeschlechtliche Paare zu schreiben. Pünktlich zur Hochzeitsmesse 2024 in zwei Wochen sieht die Welt anders aus. Ein Grund, sich über diesen Schritt zur Öffnung der Kirchenlehre für die reale Welt der Menschen zu freuen.
Liest man den römischen Text ein wenig genauer, kommen aber auch Zweifel. Ganz viele Einschränkungen werden gemacht, der oberste Glaubenswächter sorgt sich sogar um die zulässige Kleidung des um den Segen bittenden Paares. Die darf nicht den Eindruck erwecken, es handle sich um eine Hochzeit. Und überhaupt darf der Segen über «irreguläre» Paare (also gemäss kirchlicher Lesart geschiedene Wiederverheiratete, Schwule und Lesben oder Heteros im Konkubinat) nicht im Gottesdienst stattfinden und nicht vor dem Altar (also keine «Segensfeier»), der Priester soll kein liturgisches Gewand tragen und einen Ringtausch soll es auch nicht geben. Und überhaupt bedeute dieser nun erlaubte Segen keine Anerkennung der «irregulären Beziehung» an sich. Zu deutsch: Schwuler oder lesbischer Sex bleiben pfui und Sünde, ebenso Heterosex ausserhalb der kirchlichen Ehe. Daran soll bloss kein Zweifel bestehen. «Fiducia supplicans» trieft nur so von Homophobie! Dass mit diesem Schritt nun «die Kirche Menschen in unterschiedlichen Beziehungssituationen ernst nimmt», wie es die Schweizer Bischöfe interpretieren, wage ich zu bezweifeln. Eher im Gegenteil, aus dem Text spricht vor allem die Angst davor, die Menschen wirklich ernst zu nehmen, denn zu ihnen gehört auch ihre Sexualität. Im Ernst: Wäre ich ein schwuler Mann und lebte mit meinem Freund zusammen, ich würde auf diesen Segen dritter Klasse pfeifen. Ich vermute, dass viele Betroffene ähnlich denken.
Aber trotzdem: Die jüngste Vatikan-Erklärung bedeutet eine Öffnung, wenn auch nur einen kleinen Spalt weit. Einmal ist sie im Kontext der Weltkirche, wo in vielen Regionen homosexuelle Menschen noch heute verfolgt und diskriminiert werden, ein starkes Zeichen. Dann auch für die zahlreichen Seelsorgenden, die schon längst Schwulen und Lesben den Segen nicht verweigern. Sie müssen sich nicht länger mit selbsternannten Glaubenswächtern rumärgern, die sie bei Bischöfen, Nuntien oder sonstigen Würdenträgern verpfeifen.
Für mich zählt aber vor allem dies: Nämlich das Faktum, dass heute gilt, was gestern noch verboten war. Das klare Bekenntnis der obersten Glaubensbehörde, dass kirchliche Lehre nicht einfach starr und unverrückbar ist, sondern lebt, sich entwickeln und anpassen kann. Wie schreibt es Kardinal Victor Fernández so schön: «Der Wert dieses Dokuments besteht darin, (…) das klassische Verständnis von Segnungen zu erweitern und zu bereichern.»
Was für den Segen gilt, kann ja auch für Anderes segensreich werden.
Im Original: Erklärung Fiducia supplicans über die pastorale Sinngebung von Segnungen (Vatikan)
Kommentare anzeigen