Kirche wohin? «Man darf von der Kirche nicht Utopisches erwarten»
Christian Rutishauser, was ist ihre Quintessenz der Veranstaltung?
Ich habe mich über die konkreten und pointierten Beiträge aller Podiumsteilnehmer sehr gefreut. Die Stossrichtung, die allen Aussagen zugrunde liegt, ist eindeutig: Frauen und Männer müssen in gleicher Art und Weise an Entscheidungsprozessen und Machtstrukturen teilhaben.
Die Diskussion über die Zukunft der Kirche wurde abseits der breiten Masse in einer Universität geführt wurde. Müsste diese Diskussion nicht öffentlicher sein?
Überhaupt nicht. Wer nur den Zeitgeist heiratet, ist rasch wieder geschieden! Gerade für den Glauben und die Kirche wäre dies aber tödlich. Um aus dem Glauben fundierte Entscheidungen zu treffen, braucht es den geschützten Raum, damit in die Tiefe gegangen werden kann. Dies allein ist nachhaltig.
Und wo ist dieser Raum in unserer lauten Zeit?
Er liegt im gegenseitigen Zuhören. Nur dort kann auch Gottes Stimme im Stimmengewirr gehört werden. Gerade darauf legt auch Papst Franziskus in der gegenwärtigen Debatte grossen Wert. Dann müssen klare Entscheidungen getroffen werden. Es braucht Zeit zu ihrer Implementierung.
Trotzdem finden die Kirche und die Gesellschaft scheinbar immer weniger zueinander. An wem liegt es?
Es liegt sicher an beiden Seiten. Die Technologie und Wissenschaftsgläubigkeit, der Machbarkeitswahn und Fortschrittsglaube, die Suche nach dem raschen Erfolg etc. hat in unserer Gesellschaft dazu geführt, dass das Verständnis für Glaube stark zurückgegangen ist. Es gibt zwar eine Rückbesinnung auf das Religiöse, auf übermenschliche Kräfte. Doch das hat vielerorts noch wenig mit Christentum zu tun.
Kann die Kirche, die selber in einer Krise steckt, Motor für das Wiederentdecken des Christentums sein?
Wir als Kirche werden immer fehlerhaft sein. Man darf von der Kirche daher nicht Utopisches erwarten. Das ist eine Gefahr und dann sind viele Menschen enttäuscht. Ich denke oft daran, welche Jünger Jesus berufen hat: Petrus ein Feigling, Judas ein Verräter, Matthäus ein Finanzgauner… Welch’ Glaubwürdigkeit hatte seine Entourage?
Die Jugendlichen sind die Zukunft der Kirche. So gesehen bauen die Jesuiten mit ihrer Jugendarbeit an dieser Zukunft. Wie sind die Jugendlichen ansprechbar?
Oft steht bei den jungen Menschen nicht der Glaube an erster Stelle. Es sind soziale Werte, das Klima, die Gerechtigkeit etc., die sie beschäftigen. In diesen Anliegen begleiten wir sie. Die wöchentlichen Anti-Food-Waste-Aktionen des aki Zürich haben zum Beispiel eine riesige Resonanz bei den Studierenden.
Und der Kern, der Glaube, die Spiritualität?
Dann schaffen wir aber auch Raum für Meditation und Gottesdienst, für Glaubensreflexion. Die Frucht dieser Arbeit wird sich erst in späteren Jahren zeigen. Diese jungen Menschen werden ihre Form von Kirche bilden müssen. Diese wird anders sein als die Kirche, die wir im Augenblick kennen.
Was heisst dies?
Es wird neue Sozialformen des Christseins geben. In der letzten Zeit gibt es auch wieder vermehrt junge Männer, die an die Tür des Jesuitenordens klopfen. Das Interesse für geistliches Leben ist gross. Lebensentscheidungen zu treffen, ist aber für viele etwas Fremdes. Wir leben in einer zu rasch sich wandelnden Gesellschaft und die neuen Optionen, die immer wieder auftauchen, führen dazu, Entscheidungen herauszuschieben.
(Interview: Oliver Kraaz)
Die Podiumsdiskussion fand im Rahmen des Besuchs des obersten Jesuiten Arturo Sosa statt. Eine Zusammenfassung der Podiumsdiskussion und Berichte zu den weiteren Besuchsstationen von Arturo Sosa lassen sich hier nachlesen.
Kommentare anzeigen