YESH! Filmtage in Zürich «Jüdische Kultur ist mehr als der Nahost-Konflikt»
Magdalena Thiele: Kommende Woche startet das erste Yesh! während der jüngsten Eskalation des Nahost-Konflikts. Inwieweit überschattet der Krieg das Filmfestival im fernen Zürich?
Brigitta Rotach: Der 7. Oktober 2023 hat alles verändert – natürlich auch die Vorbereitung des Yesh! Wir haben in diesem Jahr besonders intensiv und kontrovers diskutiert, welche Filme wir zeigen wollen und welche nicht. Dabei ging es auch um die Frage:
Wie solidarisch und wie israelkritisch sollen und dürfen die Beiträge sein?
Wir zeigen als kritisch bewertete Filme wie«Israelism» und Friedensfilme wie «Children of Peace». Wichtig ist dabei die Einbettung mit Gesprächen. Besonders wichtig ist uns daher das Podium im Anschluss an « Israelism» am Sonntag. Schliesslich soll das Festival bleiben, was es abseits der Cineastik auch ist: eine Gesprächsplattform. Und dazu gehört aus unserer Sicht, - da spreche ich für das ganze Team, - auch eine gute Streitkultur. Die Stimmen in der jüdischen Community sind sehr vielfältig, für alle soll Platz beim Yesh! sein.
Wahrscheinlich eine Plattform, die derzeitig nötiger ist denn je…
Genau, gerade in diesen Zeiten müssen wir miteinander im Gespräch bleiben. Und gerade jetzt braucht es das Yesh!, um zu zeigen: jüdische Kultur, das ist viel mehr als der Nahost-Konflikt und die Geschichte des Staates Israel –Yesh! will eine Fülle aktueller jüdischer Themen auf die Leinwand bringen.
Um auch möglichst viele junge Menschen mit unserer Botschaft zu erreichen, haben wir unser Schulprogramm ausgebaut. An sechs - bisher waren es vier – Vormittagen zeigen wir jeweils 100 Jugendlichen einen Film, der nicht im normalen Programm läuft. Anschliessend ist Raum für Fragen und Diskussion. Fast alle Termine sind bereits ausgebucht.
Auf der Yesh! -Homepage beschreiben Sie einen zunehmenden Antisemitismus, dem sich jüdische Menschen in der Diaspora ausgesetzt sehen. Haben auch Sie Hassbotschaften erhalten?
Nein, offener Hass wurde uns persönlich nicht entgegengebracht. Allerdings hat sich ein Filmverleih geweigert, uns einen Film für das Festival zur Verfügung zu stellen, den wir sehr gerne gezeigt hätten. Inwieweit das in diesem konkreten Fall Ausdruck von Antisemitismus ist, vermag ich jedoch nicht zu beurteilen.
Was bedeutet es Ihnen, dass auch die katholische und die reformierte Kirche Partner des Yesh! sind und es finanziell unterstützen?
Das ist ein schönes Zeichen des Miteinanders und des gegenseitigen Respekts.
Haben Sie einen Programmfavoriten, den sie allen Besuchern ans Herz legen?
Oh, das ist schwierig. Alle Filme sind sehenswert!
Ein Werk, das mich persönlich sehr berührt hat, ist «Home», der zweimal mit den Israeli Film Academy Awards 2023 ausgezeichnet wurde.
Ein junger Mann baut sich im orthodoxen Viertel Jerusalems, Geula, ein Geschäft auf und stösst dabei auf den Widerstand der strengen Sittenwächter und auch der eigenen Familie. Ich selbst kenne eine ähnliche Geschichte, die sich so zugetragen hat. Das Thema zeigt sehr eindrücklich die Vielstimmigkeit und die Kontroversen innerhalb der israelischen Gesellschaft.
Brigitta Rotach ist Mitorganisatorin der Yesh! Filmtage und seit Mai 2023 Co-Präsidentin der Jüdisch-Liberalen-Gemeinde in Zürich. Sie ist ausserdem Mitglied der Jury des Filmpreises der Kirchen, der im Rahmen des Zürcher Film Festivals vergeben wird. Als Religionswissenschaftlerin und Kulturjournalistin war sie viele Jahre Redakteurin des SRF-Formats «Sternstunde Religion» und Programmleiterin des Hauses der Religionen in Bern.
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