Kirche aktuell

Perspektiven der katholischen Kirche Hoffnung oder Enttäuschung?

In der Kirche des Kloster Fahr diskutierte der Journalist Michael Meier mit dem ehemaligen Abt des Kloster Einsiedeln, Martin Werlen, über die Frage «Kirche wohin?» Basis waren die von beiden Autoren erst kürzlich veröffentlichten Bücher.
17. Mai 2024 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Gerade eben haben die Nonnen im Kloster Fahr noch die Vesper gefeiert. Die feinen und manchmal auch altershalber ein wenig zittrigen Stimmen lullten die Klosterkirche in eine mystische Stimmung ein. Kurz darauf strömten rund neunzig Gäste zur angekündigten Diskussionsrunde unter der Leitung von Tages-Anzeiger-Journalistin und Autorin Hélène Arnet; mehr als erwartet, wie Gastgeberin Priorin Irene Gassmann vom Kloster Fahr bei der Begrüssung erfreut feststellte.

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Diskussionrunde in der Klosterkirche Fahr mit Hélène Arnet als Moderatorin. Foto: Sibylle Ratz

Keine Erwartungen mehr an den Papst

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Autor Michael Meier ist von Papst Franziskus enttäuscht. Foto: Sibylle Ratz
«Papst Franziskus hat zwar viele Zeichen gesetzt. Für mich bin ich aber zum Schluss gekommen, dass keine grossen Veränderungen in der katholischen Kirche zu erwarten sind», antwortet Michael Meier auf die Frage von Hélène Arnet, was das Fazit aus seinem neuen Buch «Der Papst der Enttäuschungen» sei. Das mit dem Zeichen setzen sei etwas, dass Bergoglio aus seiner Zeit während der Militärdiktatur in Südamerika geprägt habe. Franziskus habe es zwar geschafft, das Klima und die Gesprächskultur zu verändern. «Auch wenn er beispielsweise zum dritten Mal eine Komission zum Thema Diakonat der Frau einberufen hat, ändert das nichts daran, dass er in den Lehrschreiben, die auch für die künftigen Päpste gelten, eine andere Position vertritt», stellt Meier fest.

«Zeichen alleine nützen nichts»
Michael Meier

Katholische Kirche als Baustelle

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Martin Werlen, ehemaliger Abt des Klosters Einsiedeln und jetzt Vorsteher der Propstei St. Gerold, sieht die katholische Kirche als Baustelle. Foto: Sibylle Ratz
Martin Werlen, der heute der Propstei St. Gerold in Österreich vorsteht, hat ebenfalls vor kurzem ein Buch veröffentlicht: «Baustellen der Hoffnung». Darin visualisiert er die katholische Kirche als eine sich immer wieder verändernde Baustelle. Gemäss eigenen Worten zeigt er auf diesem Bild aufbauend einen konstruktiven Weg zur Hoffnung auf. Es sei aber auch zu beachten, dass jeder findet, sein Anliegen sei auf einer Baustelle das jetzt Wichtigste. Alles gleichzeitig ginge aber nicht.

Er hält fest, dass der jetzige Papst ihn inspiriert: «Ein Buch, wie es vor wenigen Jahren erschienen ist, in dem sich auch Kirchenmänner, Priester, Bischöfe, Diakone, Ordensleute und Laien aus mehreren Generationen und aus dem gesamten deutschen Sprachraum für Frauen in Weiheämtern aussprechen, wäre vor Franziskus schlicht unmöglich gewesen.» Sie hätten wohl alle ihre Stelle verloren.

«Alle Veränderungen gleichzeitig: Das geht nicht»
Martin Werlen

Kein «Haus voller Glorie»

Michael Meier sagt im Laufe der Diskussion, die sehr auf Augenhöhe und ausgewogen verläuft: «Ich habe Achtung davor, was ihr macht.» Aber er sehe eben nicht nur die Barmherzigkeit, sondern die Strukturen. Die Moral in der katholischen Kirche sei auf der «societas perfecta» aufgebaut, die perfekte Gesellschaft, mit Dogmen und Imperativen. Martin Werlen nimmt den Faden auf und fragt: «Du meinst, wir müssten gleich das Kirchenrecht ändern?» Das verneint Meier, hält aber fest: «Der Widerspruch zwischen Kirchenrecht und gelebter oder geforderter Lebensweise darf nicht zu gross sein.»

Die katholische Kirche sei aber kein «Haus voller Glorie» wie es in einem umstrittenen Kirchenlied besungen wird, betont Werlen. Das werde es nie geben, auch wenn sich konservative Kreise darauf stützen würden. Es gäbe aber Personen, die bei der kleinsten Änderung gleich auf die Barrikaden gingen. «Das sind zwar nur wenige, aber die sind laut. Wenn Leute sich jeder Reform widersetzen, dürfen wir nicht einknicken. Das hat auch Jesus nicht getan.» Papst Franziskus versuche, alle bei den Veränderungen mitzunehmen. Das seien eben nicht nur ein paar wenige, sondern weltweit eine Milliarde Gläubige. Das brauche Zeit.

Wir alle sind Kirche

Einig sind sich beide darüber, dass die Kirche ohne Reformen keine Überlebenschance habe. Der eine glaubt nicht mehr an Reformen, der andere sieht die Verantwortung für die Reformen bei allen Gläubigen zusammen. Alle Getauften seien Kirche und es gehe nicht darum, dass man sonntags den Gottesdienst besuche, stellt Martin Werlen klar: «Ich fühle mich von diesem Papst verstanden.» Michael Meier gibt zu, dass Papst Franziskus sympathisch rüberkomme, «aber ich frage mich, wie nachhaltig das ist».

Das Fazit, das Hélène Arnet nach der Diskussionrunde zieht, ist: Beide Bücher sind lesenswert, zeigen verschiedene Perspektiven auf und bieten konstruktiven Gesprächsstoff. Das denken sich auch viele Besucherinnen und Besucher, die beim Apéro die Bücher kaufen und diese von den Autoren noch signieren lassen.

  • Michael Meier, «Der Papst der Enttäuschungen», Verlag Herder, ISBN: 978-3-451-39716-5
  • Martin Werlen, «Baustellen der Hoffnung»,  Verlag Herder, ISBN: 978-3-451-39591-8