Kirche aktuell

Diskussion über Kirchenaustritte «Wir haben ein massives Vertrauensproblem»

Mit wissenschaftlicher Forschung wird versucht, das Phänomen Kirchenaustritt zu verstehen. Die Ergebnisse einer Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung aus Deutschland sprechen eine deutliche Sprache und sind auf die Schweiz übertragbar.
24. August 2023 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Die Kurve geht steil nach oben. War ab Mitte der 60er Jahre noch von einer generationenbedingten Sockelerosion zu reden, zeichnet sich jetzt ein seit Jahren konstanter Trend ab: Immer mehr Menschen treten aus den christlichen Kirchen aus – reformiert oder katholisch, das macht hier keinen Unterschied.

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Wenig Überraschung bei der Vorstellung der Studienergebnisse. Bild: Magdalena Thiele

Wie kann die Institution Kirche damit umgehen, vielleicht noch die Trendwende schaffen, bevor sie in der Bedeutungslosigkeit versinkt? Auf der Suche nach Antworten waren am Mittwochabend circa 60 Gäste in die Paulusakademie gekommen. Dort diskutierten die Kirchen-Experten und Soziologen Edgar Wunder und Arnd Bünker auf dem Podium mit den Präsidentinnen der EKS (Evangelisch-Reformierte Kirche Schweiz), Rita Famos, und der RKZ (Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz), Renata Asal-Steger.

Eine grundlegende Erkenntnis der eingangs vorgestellten Ergebnisse der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchen von Edgar Wunder vom Sozialwissenschaftliches Institut der EKD in Hannover: Alle befragten Gruppen – mit sowie ohne Konfession – wünschen sich von den christlichen Kirchen mehr Demokratie bei der Besetzung von Ämtern, mehr Ökumene und allen voran deutlich mehr Beteiligung an öffentlich geführten Debatten. 

«Nach wie vor haben die Menschen eine grosse Erwartungshaltung gegenüber den Kirchen. Mitnichten kann man von Gleichgültigkeit sprechen.» 

Auch die Reichweite der Kirchen sei nach wie vor sehr gut. Allerdings habe insbesondere die katholische Kirche neben dem Relevanz- auch ein massives Vertrauensproblem. Wie die Studienauswertung zeigt, vertrauen die deutschen Katholiken ihrer Kirche sogar weniger als der reformierten. Konfessionslose sehen die katholische Kirche auch in puncto Vertrauen auf einer Stufe mit dem Islam. Die evangelische Kirche schneidet bei allen Befragten deutlich besser ab.

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Rita Famos, Edgar Wunder, Eva Baumann-Neuhaus (Moderation), Arndt Bünker und Renata Asal-Steger (v.l.n.r.). Bild: Magdalena Thiele

Wer ruhig bleibt, weil er Deutschland nur von Weitem sieht, täuscht sich. «Das Bild der rasant schwindenden Relevanz der Institution Kirche ist in der Schweiz kein anderes als im grossen Kanton», sagt der Leiter des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts St. Gallen, Arnd Bünker. Einzig die Sondersituation durch den hohen Anteil Konfessionsloser in den neuen Bundesländern (über 70 Prozent) beeinträchtige die Vergleichbarkeit.

Dennoch stelle auch in der Schweiz die Gruppe der «Distanzierten» die mit Abstand grösste Bevölkerungsgruppe dar. Diese Menschen gehören formal oft einer Kirche oder Religionsgemeinschaft an, im Alltagsleben spiele das jedoch kaum eine oder gar keine Rolle, erklärt Bünker. Ausserdem gäbe es hinsichtlich der kulturellen Verankerung der Kirchen kantonale Unterschiede.

Was ist mit der Kirchensteuer?

Als Soziologe gäbe Bünker der Kirche keine Ratschläge, wie sie ihr Image verbessern könnte. Als Theologe stelle er aber fest: «Die Kirche und ihre Verantwortlichen sollte sich der Tatsache stellen, dass die Botschaft für jede neue Generation neu ausbuchstabiert werden muss». An einer jahrzehntealten Sexualmoral festzuhalten und sich nicht mit den gesellschaftlichen Realitäten zu engagieren sei dagegen kontraroduktiv.

Dem stimmten die beiden Kirchenvertreterinnen zu. Sie plädiere als Präsidentin ihrer Landeskirche dafür, jetzt «die ganze Kreativität, die in der Religion steckt, in die Waagschale zu werfen, um die Kirche von innen heraus zu reformieren», sagte Rita Famos als Reaktion auf die Analyse der Wissenschaftler.

Was das konkret bedeutet, blieb allerdings offen. Ebenso wie die aus dem Publikum mehrfach gestellte Frage, welche Rolle die Kirchensteuer bei der Entwicklung der Kirchenaustrittszahlen spielt.