Kirche aktuell

Macht und Partizipation Wie sich Kirche in die Gesellschaft einbringen kann

Mitten in den synodalen Prozess der Weltkirche fällt in der Schweiz das 50-Jahr-Jubiläum der Synode 72. Martin Spilker vom Verein tagsatzung.ch hat mit Jeannette Behringer und Odilo Noti gesprochen. Sie werden an der Tagung vom 11. Juni in der Paulus Akademie Impulsreferate halten zu «Macht und Partizipation» bzw. als Expertin beteiligt sind.
16. Mai 2022 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Vor 50 Jahren ging die Synode 72 zu Ende, die einen wahren Aufbruch in der Kirche ausgelöst hatte. Was ist davon heute noch spürbar?

Odilo Noti: Wir sollten die Synode 72 im Rückblick nicht verklären. Das Gedächtnis ist eine Fälscherwerkstatt, die vieles rosarot zeichnet. Etwas pointiert formuliert: Die Synode 72 hat in der Kirche keinen Aufbruch ausgelöst. Sie war dieser Aufbruch. Die Synode 72 hat die bekannten innerkirchlichen heissen Eisen aufgegriffen, sie hat aber auch zu gesellschaftlichen Fragen in einer zukunftsweisenden Art Stellung bezogen. Und sie hat die Ortskirche nicht nur als eine diözesane Struktur, sondern zugleich als gesamtschweizerische Grösse verstanden. Die diözesane Kleingeisterei mit ihrem unverbindlichen «Laissez faire, laissez aller» von heute lag ihr fern.

Damals war die Kirche Bestandteil der Gesellschaft. Kann das wieder so werden?

Jeannette Behringer: Dass die Kirche in die Gesellschaft gehört, dem stimmen immer noch viele zu. Die Frage ist, welche Rolle sie darin einnimmt. Und das heisst auch, wie politisch sie in gesellschaftlichen Belangen sein soll. Für mich ist klar: Eine unpolitische Kirche gibt es nicht, denn auch Schweigen ist politisch. Politisch heisst für mich: Beteiligung an den öffentlichen Angelegenheiten. Ich war zur Zeit der Synode vier Jahre alt. Im Rückblick betrachtet stelle ich fest, dass bedeutende gesellschaftliche Prozesse an der Kirche vorübergegangen sind.

Woran stellen Sie das fest?

Jeannette Behringer: Die Menschen – auch in der Kirche – wollen wahrgenommen und beteiligt werden. Wenn Beteiligung gelebt wird, werden automatisch Themen in einer Organisation behandelt, die die Basis beschäftigt. Damit ist sie auch näher an der Gesellschaft. Bei einem Prozess wie der Synode 72 konnten sie mitreden und mitgestalten. Der gegenwärtige synodale Prozess in der katholischen Kirche ist paradox: Mitsprache ist in diesem Prozess gegeben – und sie ist überfällig – jedoch müssen sich für eine hohe Qualität an Mitsprache auch Strukturen verändern, die qualitätsvolle Beteiligung dauerhaft erlauben.

Sie beteiligen sich an der Tagung «Macht und Partizipation». Kann ein solcher Anlass Veränderungen in der Kirche bewirken?

Odilo Noti: Es gibt keinen Königsweg der Kirchenreform. Alles, was zum Thema «Macht und Partizipation» gedacht, gesagt, debattiert und getan wird, ist wichtig und notwendig. Es ist leider so: Ohne Druck bewegt sich in der katholischen Kirche rein gar nichts. Dieser Druck muss von innen und von aussen, aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Und er muss von unten kommen. Kirchliche Freiheit wird einem nicht von oben gewährt. Freiheit muss, wie uns ein Blick in die Geschichte lehrt, immer und überall erkämpft werden.

Kann die Kirche diese Wende schaffen?

Jeannette Behringer: Dass im synodalen Prozess die Kirchenmitglieder zu ihrer Meinung befragt werden, ist schon sehr viel. Doch dann braucht es auch den nächsten Schritt, die Begegnung auf Augenhöhe. Es gilt zu fragen, was die Leute unter Kirche verstehen und daraus neue Schritte wagen. Die Welt ist nicht atheistisch, die Menschen sind an Religion und Spiritualität interessiert. Aber sie lassen sich nicht vor vollendete Tatsachen stellen. Und hier habe ich Zweifel, ob die Kirche dafür neue Formen findet.

Odilo Noti: Zwei Dinge sind entscheidend: Erstens Machtteilung und Machtkontrolle einführen. Es liegen genügend Vorschläge auf dem Tisch, wie das zu bewerkstelligen ist. Zweitens aufgrund der gleichen Würde aller auch mit den gleichen Rechten für alle ernstmachen. Es sind jene Errungenschaften, die wir als mündige Bürgerinnen und Bürger eines demokratischen Staates für unverzichtbar halten. Wir sind doch keine Schafe.

Interview für den Verein tagsatzung.ch: Martin Spilker

 

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Jeannette Behringer ist promovierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin. Sie ist Projektleiterin Nachhaltige Entwicklung in Forschung und Lehre an der Universität Zürich und Vice-Chair des Projekts «European Christian Convention» sowie Mitglied der Redaktion FAMA.

 

 

 

 

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Odilo Noti ist promovierter Theologe und war von 1988 bis 2018 bei Caritas Schweiz tätig (u.a. als Leiter Kommunikation und Mitglied der Geschäftsleitung). Er ist Präsident der Herbert Haag Stiftung für Freiheit in der Kirche.

 

 

Informationen zur Tagung «Macht und Partizipation»

Anmeldung via Webseite: www.synode22.ch oder Telefon/Whatsapp: +41 79 639 99 14 oder postalisch:
Verein tagsatzung.ch, Postfach 4120, 6002 Luzern