Kirche aktuell

Erneuerung der Kirche Verabschiedung von allen Strukturen der Macht

Albert Mantel

Albert Mantel, Jahrgang 1934, ist Pfarrer im Ruhestand und lebt in Winterthur.

 

Albert Mantel
Die Erneuerung der Kirche soll auf zwei Ebenen geschehen: im Leben des einzelnen Menschen durch die Vertiefung des christlichen Glaubens und in der grundlegenden Veränderung der kirchlichen Strukturen. Albert Mantel, Pfarrer i.R. in Winterthur, mit einer ganz persönlichen Wortmeldung.
02. Juli 2020

Die Erneuerung muss meiner Meinung nach auf zwei verschiedenen Ebenen geschehen: Einerseits in der Vertiefung des christlichen Glaubens im Leben des einzelnen Gläubigen und anderseits in der grundlegenden Veränderung der kirchlichen Strukturen in den Bistümern und in der Gesamtkirche. Ich meine damit, dass es um eine Vertiefung des religiösen Lebens, eine Vertiefung unseres Glaubens gehen muss. Ebenso dringlich braucht es aber auch eine Reform der Strukturen. Und hier werde ich für eine Kollegialität oder Synodalität auf allen Ebenen der Kirche plädieren, was konsequenterweise auch heisst: weg von jenem überspitzten Zentralismus, den uns erst das I. Vatikanische Konzil bescherte, hin zu mehr Regionalisierung, wie es das II. Vatikanum mindestens ins Auge fasste, wenn es von einer Aufwertung des Bischofsamtes sprach.

Glaube als persönliche Entscheidung

Entsprechend möchte ich Verschiedenes anmahnen: Das gläubige Leben des Einzelnen nährt sich in erster Linie vom täglichen Gebet, vom Gebet in der Familie, von der Schriftlesung und von der Teilnahme an den Gottesdiensten der Gemeinde, in der er oder sie lebt.

Glauben heisst nicht in erster Linie, eine bestimmte Anzahl von Dogmen, welche die Theologen im Laufe der Kirchengeschichte zur Verdeutlichung biblischer Befunde aufgestellt haben, anzunehmen und für wahr zu halten, sondern glauben heisst: sich für Gott und sein Wirken immer wieder neu zu öffnen und aus dieser persönlichen Begegnung mit Gott die Konsequenzen zu ziehen für ein Leben, das im Geiste Jesu da ist für die Mitmenschen in Nah und Fern.

Im Gegensatz zu den antiken und archaischen Religionen ist dieser Glaube zutiefst eine ganz persönliche Entscheidung. Die Teilnahme am Leben einer Gemeinde, an ihrem Gottesdienst und an weiteren Veranstaltungen wird mir dabei eine wertvolle Hilfe sein. Soviel zur inneren Erneuerung der Kirche.

Albert Mantel mit Bildern. Foto: Andrea Harlacher
Albert Mantel mit Bildern. Foto: Andrea Harlacher

Synodale Strukturen

Über ihre äussere oder strukturelle Erneuerung wurde schon sehr viel geschrieben und gesprochen. Ich meine, der Hauptpunkt wäre der generelle Abschied von allen Strukturen der Macht, seien sie gesamtkirchlich, diözesan oder auch gemeindlich. Alle, die in der Kirche einen Dienst ausüben, müssten sich immer wieder an das Wort Jesu erinnern, das wir bei Mt 24, 25-27 lesen: «Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Grossen ihre Macht gegen sie einsetzen. Unter euch soll es nicht so sein, sondern: Wer unter euch gross sein will, soll euer Diener sein, und wer unter euch der Erste sein will, sei euer Knecht!»

Die Kirche - ich spreche hier von der römisch-katholischen Kirche - müsste sich, den heutigen gesellschaftlichen Tendenzen entsprechend, auf allen Ebenen ihrer synodalen Strukturen neu bewusst werden.

Die Exegese und die Kirchengeschichte haben uns ja längst darüber belehrt, dass Jesus von Nazareth, auf den sich alle christlichen Kirchen berufen, keine Kirche mit bestimmten Strukturen ins Leben gerufen hat.

Er hat durch seine Worte und sein Handeln eine Bewegung ausgelöst, hat Jüngerinnen und Jünger um sich versammelt, die nach Ostern und Pfingsten seine Botschaft von der anbrechenden Gottesherrschaft weiter trugen. Zuerst entstanden dann in Palästina, dann im übrigen Mittelmehrraum auf diese Weise Hausgemeinden und Stadtgemeinden, in denen die Christinnen und Christen versuchten, ihr Leben im Anschluss an die Botschaft Jesu zu gestalten, oft im Gegensatz zu den Anhängern der damals noch weit in der Überzahl befindlichen antiken Bevölkerung. Diese oft noch zahlenmässig kleinen christlichen Zellen wurden von einem Einzelnen (episkopos) oder von Mehreren (Presbyteroi) geleitet, denen mit der Zeit noch weitere Dienste zur Seite standen.

Also synodale, zur Mitverantwortung aufrufende Strukturen auf allen Ebenen der Kirche, radikale Abkehr von den monarchischen Strukturen, welche die Kirche seit dem unglücklichen Vatikanum I der heutigen Welt und den heutigen Menschen immer mehr entfremdet haben. Die Pfarreiseelsorger und Pfarreiseelsorgerinnen müssen ihre Pfarreien zusammen mit den Pfarreiräten leiten, die Bischöfe zusammen mit den Priesterräten und Seelsorgeräten und ev. weiteren Räten, der Bischof von Rom zusammen mit den Präsidenten der verschiedenen Bischofskonferenzen.

Auf die gleiche synodale Art hat auch die Wahl der Verantwortlichen auf allen Stufen der Kirche zu geschehen.

Aus diesen synodalen Strukturen ergibt sich von selbst, dass die Kirche eine viel mehr in den einzelnen Regionen verankerte Gemeinschaft wird, da werden nicht mehr von einer Zentrale aus Befehle und Gesetze erlassen, sondern die verschiedenen Bischofskonferenzen der einzelnen Sprachregionen erhalten endlich die Verantwortung und die Kompetenzen, welche es ihnen gestattet, ihren Diözesen nach den Bedürfuissen ihrer Gläubigen zu dienen.

Auf doppelter Ebene also müsste die Kirche erneuert werden, auf der inneren geistigen und auf der äusseren organisatorischen oder strukturellen. Was ich hier, kurz zusammengefasst, geäussert habe, das haben kompetentere Leute schon längst ausführlicher in Wort und Schrift geäussert.

Deshalb meine ich, die Zeit des Nachdenkens und Überlegens ist jetzt vorbei, jetzt muss gehandelt werden!

Ideal des Ursprungs

Sozusagen als Anhang möchte ich noch etwas anfügen, was mir wichtig scheint. Die Kirche in unseren Breitengraden erscheint den Menschen vorwiegend als Gottesdienst-Organisation,  als Organisation, die Gottesdienste anbietet, sei es für die ganze Gemeinde oder anlässlich einer Bestattung, einer Hochzeit, einer Taufe. Das ist eine starke Verengung, wenn wir die christlichen Gemeinden des Anfangs betrachten und wenn wir unseren Blick weiten hin zu Ländern, wo die Gemeinden weit mehr sind als das Genannte.

Ursprünglich sollte eine christliche Gemeinde ja eine Lebensgemeinschaft sein, eine Gemeinschaft, in der man miteinander das Leben teilt und versucht, es gemäss dem Leben des Jesus von Nazareth zu gestalten.

In Zeiten der Kirchengeschichte, in denen dieser ursprüngliche Entwurf immer mehr abhanden kam, haben die Orden wenigstens dieses Ideal des gemeinsamen Lebens zu verwirklichen versucht. Selbstverständlich ist es mir bewusst, dass man geschichtliche Realitäten nicht einfach über Jahrhunderte hinweg kopieren kann, man müsste sich also überlegen, wie eine solche pfarreiliche Lebensgemeinschaft in unseren Breitengraden aussehen könnte. Das Ideal des Ursprungs müssten wir jedoch im Auge behalten!

 

Albert Mantel (86) ist in Zürich aufgewachsen und studierte erst Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte an der Uni Zürich. Nach seinem Theologiestudium am Priesterseminar Chur wurde er 1961 zum Priester geweiht. Seine berufliche Karriere begann er in Glarus als Kaplan und Spitalseelsorger, dann wirkte er vier Jahre als Vikar in Zürich-Schwamendingen, ehe er 1969 in der St. Laurentiuspfarrei in Winterthur-Wülflingen zum Pfarrer gewählt wurde. Nach seiner Pensionierung 2004 war Mantel Autor einer Schriftenreihe in der Edition NZN bei TVZ. Wie das Einstiegsbild dieses Textes zeigt - ein Aquarell aus dem Jahr 2016 - beschäftigt er sich noch immer gerne mit der Malerei.